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Standard "Erkennung von Depressionen"

Traurig, dement oder schon depressiv? Durch Erfahrung und Einfühlungsvermögen können Pflegekräfte zwischen normalen Stimmungseintrübungen und psychischen oder gar neurologischen Krankheitsbildern unterscheiden. Mithilfe eines Standards sollten Sie festlegen, wann ein Betroffener besser in Ruhe gelassen wird - und wann er therapeutische Hilfe braucht.


Standard "Erkennung von Depressionen"


Definition:

  • Eine Depression ist eine psychiatrische Störung des gesamten Gefühls- und Gemütslebens. Betroffene leiden unter einer krankhaft gedrückten und freudlosen Grundstimmung, Hoffnungslosigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen. Weitere häufige Symptome sind Antriebsschwäche, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwäche, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen.
  • Eine Depression liegt vor, wenn die traurige Stimmung mindestens zwei Wochen anhält und der Bewohner unter zusätzlichen Begleiterscheinungen einer Depression leidet.
  • Es wird geschätzt, dass 15 Prozent aller Menschen zumindest einmal im Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression erkranken.

Grundsätze:

  • Das Stellen der Diagnose "Depression / keine Depression" ist Aufgabe des Arztes. Dieser jedoch sieht den Bewohner nur jeweils wenige Minuten und ist daher auf unsere Informationen angewiesen. Es ist somit unsere Aufgabe, den Arzt mit verlässlichem und belastbarem Hintergrundwissen zu versorgen.
  • Eine Depression ist keine natürliche Folgeerscheinung des Alterns, sondern eine ernst zu nehmende Krankheit, die in jedem Fall von einem Facharzt behandelt werden muss.
  • Nicht jeder Bewohner, der auf uns über einen längeren Zeitraum traurig und niedergeschlagen wirkt, ist gleichzeitig depressiv. Wir sind uns bewusst, dass Depressionen noch immer mit einem sozialen Stigma verbunden sind. Wir gehen mit diesem Thema daher sehr umsichtig und verschwiegen um.
  • Wir sind uns aber auch der Verantwortung bewusst, die wir auf uns laden, wenn wir einen möglicherweise depressiven Bewohner mit seinen Gefühlen allein lassen.

Ziele:

  • Eine Depression wird schnell und richtig erkannt.
  • Eine wirksame und angemessene Therapie wird eingeleitet.
  • Eine Depression wird sicher von anderen Krankheitsbildern unterschieden, die zu ähnlichen Symptomen führen, aber anders therapiert werden.
  • Das Recht des Bewohners, eine gewisse Zeit ungestört traurig zu sein, wird respektiert.

Vorbereitung:

Organisation

  • Zwei Pflegefachkräfte unserer Einrichtung verfügen über eine Weiterbildung zur gerontopsychiatrischen Fachkraft.
  • Wir sensibilisieren auch andere Berufsgruppen für dieses Thema, etwa Hauswirtschaftskräfte oder Ergotherapeuten. Wir bitten diese, entsprechende Beobachtungen an die Pflegekräfte weiterzugeben.
  • Das Thema Depressionen wird beim Aufnahmegespräch eines neuen Bewohners thematisiert. Wir befragen auch Angehörige, ob es im bisherigen Lebensverlauf des Bewohners depressive Phasen gab und wie sich diese bemerkbar gemacht haben. Eine Depression kann erblich bedingt sein. Gibt es Hinweise in der Bewohnerbiografie auf Verwandte, die ebenfalls depressiv waren oder sind?

Informationssammlung

Wir sammeln relevante Hinweise, die für oder gegen eine Depression sprechen. Wir suchen nach Faktoren, die eine Depression fördern oder hemmen. Diese Anamnese erfolgt nach dem Heimeinzug sowie immer dann, wenn das Verhalten eines Bewohners auffällig wird. Körperliche Ursachen:

  • Gibt es Hirnschädigungen wie Demenz, Hirnarteriosklerose, Apoplexie, Hirntumor oder Parkinsonsyndrom?
  • Gibt es Auslöser wie Herzinsuffizienz, Leber- oder Nierenleiden?
  • Gibt es eine Schilddrüsenunterfunktion oder Schilddrüsenüberfunktion?
  • Leidet der Bewohner an einer Infektion, wie etwa an einer Pneumonie, Hepatitis oder Pankreatitis?
  • Leidet der Bewohner unter dauerhaften Schmerzen, etwa bei chronischem Rheumatismus?
  • Nimmt der Bewohner Medikamente ein, deren Nebenwirkungen Depressionen auslösen könnten, etwa Neuroleptika, Blutdrucksenker oder Kortison?
  • Konsumiert der Bewohner in großen Mengen Alkohol oder Drogen?
  • Liegt ein Vitaminmangel vor?
  • Leidet der Bewohner unter einer Krebserkrankung, die mit einer Strahlentherapie behandelt wurde?
Psychische und soziale Ursachen:
  • Hat der Bewohner in letzter Zeit einen Familienangehörigen oder einen Freund verloren? Hat er den Verlust bislang nicht verarbeitet?
  • Gibt es Gefühle der Isolation, etwa nach dem Umzug in das Heim oder in eine andere Stadt?
  • Gibt es Eheprobleme? Gibt es Streit mit der Familie? Leidet der Bewohner unter einer überfürsorglichen Familie?
  • Hat der Bewohner noch Pläne, die er nun nicht mehr umsetzen kann?
  • Gibt es einen Verlust der gewohnten sozialen Rolle, etwa als Ernährer der Familie, Hausfrau oder Großmutter?
  • Ergeben sich aus der Bewohnerbiografie Hinweise auf eine problematische Kindheit und Jugend? Etwa: Kriegstraumata, lieblose Umgebung, mangelnde Anerkennung, überfürsorgliche Eltern usw.
  • Ist der Bewohner arm und leidet er darunter?

Durchführung:

Symptombeobachtung

Wir beobachten das Verhalten des Bewohners und achten insbesondere auf typische Hinweise für eine Depression. Wahrnehmung und Denken:

  • Der Bewohner nimmt gezielt negative Aspekte seiner Umgebung wahr. Erfreuliche Ereignisse werden ausgeblendet.
  • Das Denken des Bewohners ist verlangsamt. Er muss wie unter Zwang über einige wenige Themen nachgrübeln, die für ihn sehr belastend sind.
  • Der Bewohner bezieht alle Wahrnehmungen auf sich.
  • Der Bewohner denkt in "Entweder-oder-Schemata" (etwa: "Entweder du hörst mir jetzt zu, oder ich rede nie wieder mit dir").
  • Das Zeiterleben ist verändert. Der Bewohner glaubt, dass der Tag "nicht enden will". Die Zeit empfindet er als gedehnt.
  • Der Bewohner unternimmt Gedankenreisen, während derer er völlig in sich gekehrt ist.
Kommunikation und Interaktion:
  • Der Bewohner zieht sich von der Umwelt zurück. Er verbringt seine Zeit mit sich allein. Er kann und will keine emotionale Bindung herstellen oder aufrechterhalten.
  • Der Bewohner redet wenig und dann sehr einsilbig.
  • Über sich selbst und über seine Umwelt redet er zumeist schlecht. Die Aussagen sind generalisiert ("Es ist alles sinnlos!").
  • Der Pflegebedürftige wiederholt immer wieder die gleichen Fragen.
  • Der Bewohner klagt offen, laut und häufig ohne Pause.
  • Wichtige Themen für den Erkrankten sind der Tod, Selbstmord und eigene Fehlleistungen.
Antriebslosigkeit:
  • Dem Bewohner ist alles gleichgültig. Ihm fehlt häufig bereits morgens die Energie, um aufzustehen.
  • Er ist nicht in der Lage, wichtige Entscheidungen zu treffen.
  • Dem Pflegebedürftigen ist das eigene Äußere zunehmend gleichgültig.
  • Der Bewohner gibt ihm wichtige Hobbys auf.
Körperliche Beschwerden und Beobachtungen: Hinweis: Bei einer larvierten (also maskierten) Depression sind die körperlichen Beeinträchtigungen sehr prägnant. Das auslösende depressive Syndrom wird dabei überdeckt, bleibt unbemerkt und wird daher auch nicht behandelt. Der körperliche Schmerz ist also gewissermaßen eine Ausdrucksform des tief sitzenden seelischen Schmerzes.
  • Der Bewohner klagt über Erschöpfung, über Kopfschmerzen und über Schwindelgefühle.
  • Er leidet ohne offensichtlichen Grund unter Schweißausbrüchen, Übelkeit und Herzbeschwerden.
  • Der Bewohner beschreibt ein Engegefühl in der Brust. Er klagt über Herzrasen, über Ohrgeräusche und über Gesichtsschmerzen. Es kommt zu Rückenbeschwerden.
  • Die Glieder sind "schwer". Der Bewohner bewegt sich wenig. Im fehlt dazu der Antrieb. In der Folge steigt die Druckbelastung der Haut. Letztlich kann also auch ein Dekubitus die Folge einer Depression sein.
  • Der Bewohner hat deutlich weniger Appetit, leidet unter Verstopfungen und verliert an Körpergewicht.
  • Der Bewohner ist ständig müde, kann aber in der Nacht nicht durchschlafen. Er ist morgens bereits sehr früh wach.
  • Der Gesichtsausdruck ist leidend und erstarrt. Beim Gehen ist der Kopf nach vorne gekippt; der Blick richtet sich auf den Boden.
  • Der Bewohner ringt die Hände, er knetet also die ineinander gelegten Hände.
  • Der Bewohner hat keinerlei sexuelles Interesse mehr. Frauen klagen über Unterleibsschmerzen.

Abgrenzung zur Trauer

Eine aktuelle Trauerphase kann in eine Depression übergehen. Wir grenzen beide Zustände mit folgenden Kriterien voneinander ab: Depression:

  • Die Traurigkeit ist lang anhaltend. 
  • Der Bewohner weint selten und gibt seiner Traurigkeit wenig anderen Ausdruck. 
  • Das Gefühlsleben des Pflegebedürftigen ist verflacht. Er weiß aber nicht, welche Faktoren dafür ursächlich sind. Eine Selbstreflexion ist kaum möglich.
  • Die Schuldgefühle und die Selbstvorwürfe sind ständig in gleicher Stärke vorhanden. 
  • Der Bewohner zieht sich von Freunden und von anderen Bezugspersonen zurück. 
  • Der Bewohner passt sich der veränderten Situation nicht an und findet keinen neuen Sinn für sein Leben. 
  • Der Bewohner hält sich für minderwertig.
Trauer:
  • Die Traurigkeit dauert deutlich kürzer. 
  • Die Trauer wird offen ausgedrückt, etwa durch Reden oder durch Weinen.
  • Die Gefühlslage ist chaotisch. Dem Bewohner ist die eigene mentale Lage bewusst. Er versteht die Zusammenhänge.
  • Schuldgefühle werden Schritt für Schritt aufgearbeitet. 
  • Der Bewohner behält soziale Kontakte bei, lässt sich etwa von Verwandten trösten.
  • Der Pflegebedürftige kann für sich schrittweise neue Lebensinhalte entdecken. Er kann Entscheidungen treffen.
  • Der Bewohner erhält sich letztlich sein positives Selbstwertgefühl.

Abgrenzung zur Demenz

Eine Demenz und Depressionen können ein teilweise sehr ähnliches Krankheitsbild entwickeln. Wir grenzen beide Krankheiten nach folgenden Kriterien voneinander ab: Depression:

  • Der Beginn der Krankheit kann zeitlich klar eingegrenzt werden. Der Bewohner ist von Anfang an traurig und antriebslos. Die Krankheit schreitet schnell voran.  Bei einer rezidivierenden depressiven Störung können die einzelnen Phasen Tage oder gar Jahre dauern; die Durchschnittsdauer liegt bei sechs Monaten.
  • Der Bewohner ist in Grenzen kooperativ, ggf. verweigert er aber die Therapie.  Er ist sozial kompetent, versucht aber, sich unauffällig zu verhalten.
  • Der Bewohner betont sein Versagen. Er ergeht sich in Selbstanklagen und stellt seine Fehler hervor. Misserfolge werden überbetont. Die Pflegekräfte finden Verletzungsspuren, die auf eine Selbstschädigung hinweisen.
  • Der Bewohner isst zu wenig.
  • Der Sprachfluss ist lediglich verlangsamt, ansonsten aber intakt. Er ist in der Lage, Sachverhalte detailliert zu beschreiben.
  • Die motorischen Fähigkeiten bleiben vollständig erhalten. Der Bewohner weiß, wozu bestimmte Gegenstände dienen. Er kann diese problemlos verwenden.
  • Die Symptomatik ist oftmals am Morgen besonders intensiv ("Morgentief"). Am Abend klingen die Beeinträchtigungen ab ("abendliche Aufhellung").
  • Der Bewohner findet sich in seinem räumlichen Umfeld problemlos zurecht. Auch in fremder Umgebung kann er sich orientieren.
  • Die Wahnideen sind einfühlbar. Sie spiegeln das negative Erleben des Bewohners wider. Sie drehen sich also um das persönliche Verschulden, um Verarmung oder um hypochondrische Ängste. Beispiel: Ein Bewohner glaubt, dass er am Unfalltod der Exfrau Schuld ist, weil er sich zuvor mit ihr gestritten hatte.
Demenz:
  • Die Störungen steigern sich allmählich und bleiben ggf. zunächst lange unentdeckt. Der Bewohner ist zuerst kognitiv beeinträchtigt. Die Stimmungseintrübungen folgen später. 
  • Der Bewohner ist unkooperativ und uneinsichtig; dieses vor allem, wenn er den Sinn und Zweck einer Therapie nicht mehr kognitiv erfassen kann.
  • Der Bewohner ist unkonzentriert und unaufmerksam. Bei Schilderungen von Sachverhalten kann der Pflegebedürftige diese nur vage und lückenhaft wiedergeben. Die Sprachfähigkeiten verfallen zunehmend. 
  • Der Bewohner versucht, seine Handicaps zu überspielen oder zu verbergen. 
  • Der Bewohner fühlt sich alles andere als schuldig, insbesondere nicht an seiner Krankheit. Selbstschädigungen sind eher selten. Kommt es doch zu einer Verletzung, so handelt es sich i.d.R. um einen Unfall als Folge der nachlassenden kognitiven und körperlichen Fähigkeiten.
  • Die feinmotorischen Fähigkeiten reduzieren sich langsam aber stetig. Es kommt letztlich zu einer Apraxie.
  • Die Dauer des Schlafs ist bei Demenzpatienten nicht reduziert. Allerdings kann es zu einer Tag-Nacht-Umkehr kommen.
  • Der Appetit ist intakt und oftmals sogar gesteigert. Der Bewohner isst ungehemmt.
  • Der Pflegebedürftige wirkt hilflos, wenn er seinen Wohnbereich verlässt. Auch innerhalb der vertrauten Umgebung schwindet das Orientierungsvermögen. 
  • Die kognitiven Ressourcen sind i.d.R. am Morgen am besten erhalten. Im Tagesverlauf steigert sich die Symptomatik. Am Abend sind die mentalen Einschränkungen am größten.
  • Die Stimmung des Bewohners ist schwankend. Seine Ablehnung richtet sich vor allem gegen andere. 
  • Die Wahnideen sind vollständig irrational. Der Bewohner beschuldigt etwa grundlos andere Menschen, ihn zu bestehlen. 
  • Der Bewohner wirkt ungepflegt, etwa weil er mit der Handhabung von Pflegeutensilien und Kosmetikprodukten überfordert ist. Er betreibt bereitwillig Körperpflege, wenn er daran erinnert und entsprechend angeleitet wird.

Nachbereitung:

  • Alle Beobachtungen werden dokumentiert.
  • Falls es hinreichende Anzeichen für eine Depression gibt, wird der Hausarzt des Bewohners informiert und eine psychiatrische Untersuchung angeregt. Dafür stellen wir alle relevanten Informationen zusammen und übergeben diese an den Hausarzt.
  • Wichtig ist auch ein konsequenter Ausschluss anderer Auslöser, etwa durch internistische sowie durch neurologische Untersuchungen. Auch Blutanalysen, EKG, EEG sowie eine bildgebende Untersuchung des Gehirns können ggf. sinnvoll sein.
  • Wenn die Untersuchung ergibt, dass eine Depression vorliegt, wird der Standard "Pflege von Bewohnern mit Depressionen" umgesetzt.
  • Wenn zudem die Gefahr einer Selbsttötung besteht, wird der Standard "Pflege von suizidgefährdeten Bewohnern" umgesetzt.
  • Selbst wenn der Bewohner nicht depressiv ist, ist eine lang anhaltende Traurigkeit immer auch ein Anlass, die Pflege und Betreuung zu überdenken. Ggf. können Gespräche und mehr menschliche Wärme den Bewohner schneller wieder in die Gegenwart bringen.

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • Pflegeplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Pflegekräfte



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