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Pflegegrade: Tipps für die Umsetzung (Teil 1)
Zwei
nicht anerkannte Punkte hier, drei verlorene Punkte da ... und schon
ist der gewünschte Pflegegrad verfehlt. Wer die Kniffe und Fallstricke
der MDK-Richtlinien nicht kennt, wird bei der Eingradung stets nur der
zweite Sieger bleiben. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Ihre Position
gegenüber dem Gutachter durchsetzen.
Pflegegrade: Tipps für die Umsetzung (Teil 1)
Beutelschneiderei mit Pflegegradrechner
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Das bisherige System der Pflegestufen war zwar
häufig ungerecht, aber doch zumindest einfach anzuwenden. Es mussten
einfach die für die Versorgung erforderlichen Pflegeminuten
zusammenaddiert werden. Das Ergebnis ergab dann die alte Pflegestufe.
Wer gut im Kopfrechnen ist, brauchte nicht mal einen Taschenrechner.
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Das neue System der Pflegegrade ist deutlich
komplexer und erfordert diverse Rechenschritte. Abhilfe versprechen
Anbieter von Pflegegradrechnern. Diese werden auf DVD geliefert. Manche
benötigen zusätzlich Microsoft Excel, andere sind eigenständige
Programme. Die Preise schwanken zwischen 70 bis 120 Euro. Dieses Geld
können Sie sich sparen.
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Wenn Sie auf Google das Stichwort "Pflegegrad
Rechner" eingeben, finden Sie schon unter den ersten drei Treffern
verschiedene kostenlose Onlineangebote, die das Gleiche leisten und
durchweg korrekte Ergebnisse liefern. Im schlimmsten Fall müssen Sie
mit etwas Werbung leben.
Start mit Hindernissen:
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Schon bei der Umstellung auf das neue
Strukturmodell / SIS wurde deutlich, dass das Fortbildungssystem beim
Medizinischen Dienst lückenhaft ist. Offenbar wurden viel zu wenig
Mitarbeiter intensiv für die entbürokratisierte Pflegedokumentation
geschult. Viele Leser haben uns von erheiternden Dialogen mit dem MDK
berichtet. Auf der einen Seite Pflegekräfte, die das komplette
Multiplikatorenprogramm durchlaufen haben. Auf der anderen Seite
MDK-Teams, die die Dokumentation prüfen, ohne das dahinter stehende
System wirklich zu verstehen. Um die eigenen Wissenslücken zu
kaschieren, haben viele MDK-Mitarbeiter bei Qualitätskontrollen den
Punkt "Pflegedokumentation" daher recht fix abgearbeitet und sich auf
andere Prüfkriterien konzentriert.
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Bei der Umstellung auf die Pflegegrade wird es
wohl kaum besser laufen. Auch hier gab und gibt es viel zu wenig
Fortbildungen. Anders als bei der SIS-Umstellung ist diesmal aber nicht
mit Nachsicht zu rechnen. Denn hier geht es nicht um die (ohnehin
gescheiterten) Pflegenoten, sondern um viel Geld. Daher erwarten wir in
den ersten Monaten jede Menge fehlerhafte Gutachten und somit falsche
Eingradungen.
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Pflegebedürftige sollten konsequent Widerspruch
einlegen, wenn die Eingradung nicht wie erwartet ausfällt. Falls das
Gutachten nicht vorliegt, sollte der Widerspruch zunächst nicht
begründet werden und formlos erfolgen. Etwa: "Hiermit widerspreche ich
dem Bescheid vom 4. Februar 2016." Die genaue Begründung wird
nachgeliefert, sobald das Gutachten eintrifft. Hier steht, wie der
MDK-Prüfer die Selbstständigkeit eingeschätzt hat.
Teures Fassadenverhalten im Modul 3
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Die Begutachtungssituation ist nur selten
deckungsgleich mit der Alltagssituation. Diese Erfahrung mussten
Pflegekräfte bei der MDK-Einstufung bis 2016 vielfach machen. Der
absolute Klassiker: Ein hochbetagter Mensch leidet an Arthrose im
Schultergelenk. Er kann sich wegen der Schmerzen also weder die Haare
kämmen, noch die Zähne putzen oder das Gesicht waschen. Sobald jedoch
die junge MDK-Mitarbeiterin vor der Tür steht, zeigt sich der
Pflegebedürftige von der besten Seite, ignoriert die Schmerzen und
zeigt ungeahnte Fähigkeiten. Ergebnis: Die Pflegestufe war futsch.
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Diese Falle schnappt bei den Pflegegraden nun
auch im Modul 3 zu. Folgende Situation: Eine Seniorin ist dement. Sie
leidet unter Ängsten und unter Wahnvorstellungen. Sie neigt zu verbalen
Attacken und ist aggressiv gegenüber Mitbewohnerinnen. Sie greift auch
Pflegekräfte an, wenn diese sie waschen oder lagern wollen oder wenn
ihr die Nahrung eingeben wird. Dazu nächtliche Unruhe,
Sachbeschädigungen und Selbstschädigung. Das ganze Programm. Insgeheim
rechnet die Bezugspflegekraft in diesem Block mit einem Wert nahe der
Höchstpunktzahl. Dann jedoch kommt der Gutachter des MDK, ein
charmanter grau melierter Herr mit dem Lächeln eines TV-Arztes. Die
Bewohnerin ist plötzlich lammfromm. Zudem ist die Begutachtung am
Morgen, ein Tageszeitpunkt, an dem die Bewohnerin ohnehin
vergleichsweise kooperativ ist.
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Hier kommen zwei Faktoren der Demenz zum
Tragen: Das Krankheitsbild demenzieller Erkrankungen unterliegt starken
Schwankungen. Das kann dazu führen, dass ein Demenzpatient an einem Tag
"gut drauf" ist. Am nächsten Tag ist er "völlig durch den Wind". Dazu
kommt die Aufregung durch die Prüfungssituation. Auch wenn die
Bewohnerin wohl nicht versteht, was genau der MDK-Prüfer von ihr will,
so merkt sie doch die Angespanntheit der anwesenden Bezugspflegekraft.
Vielleicht ist sogar die Tochter anwesend. Das alles ist sehr
verdächtig! Die Bewohnerin ist jetzt ungewöhnlich konzentriert und
orientiert. Natürlich hält dieses Hoch nur eine halbe Stunde an; danach
ist die Bewohnerin verwirrter als jemals zuvor. Da aber ist der
Gutachter schon wieder weg. Der Pflegegrad übrigens auch.
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In solchen Fällen ist eine lückenlose
Pflegedokumentation wichtig. Pflegekräfte müssen belegen, dass es sich
um ein untypisches Verhalten handelt. Im Idealfall kann man darlegen,
wie sich bei der Bewohnerin die unterschiedlichen Tagesformen
darstellen. Zudem muss die Pflegeplanung (AEDL) bzw. die
Maßnahmenplanung (neues Strukturmodell / SIS) den Zustand der
Bewohnerin auch in diesem Punkt widerspiegeln. Hier sollte eine
Pflegedienstleitung nacharbeiten. Bedingt durch die alte Prüfsystematik
konzentrieren sich viele Pflegekräfte auf die körperlichen
Einschränkungen, vernachlässigen darüber jedoch die mentalen
Beeinträchtigungen. Hier kann es sich durchaus lohnen, das Team
hausintern ein wenig nachzuschulen.
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