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Der neue Pflege-TÜV (Teil 3): Qualitätsaspekte, Fachgespräche und Plausibilitätskontrollen

Bislang war die Pflegedokumentation der Dreh- und Angelpunkt jeder MDK-Prüfung. Der neue Pflege-TÜV stellt dieses Prinzip radikal auf den Kopf. Mündliche Auskünfte durch die Pflegekräfte werden nun als gleichwertige Informationsquellen anerkannt.


Der neue Pflege-TÜV (Teil 3): Qualitätsaspekte und Plausibilitätskontrollen

Gesetzliche Grundlagen

  • Mit einer Radikalreform endete am 1. November 2019 das Trauerspiel der gescheiterten Pflegenoten. Mit dem zweiten Pflege-Stärkungsgesetz (PGS II) wird verhindert, dass Pflegeheime mit desaströser Versorgungsqualität weiterhin Bestnoten abräumen.
  • Vor allem die neuen Qualitätsindikatoren stehen dabei im Blickpunkt der Pflegewelt. Mit diesen werden zentrale Qualitätsaspekte gemessen. Als Vergleichsmaßstab dienen dabei die Versorgungsergebnisse der Mitbewerber. Das führt automatisch zu einer Spreizung der Ergebnisse. Für jeden Gewinner gibt es grundsätzlich immer auch einen Verlierer. Auf dem Siegertreppchen wird der Platz knapp. Die verantwortlichen Forschungsinstitute IPW und aQua haben hier also tatsächlich ein wirklich effektives System erdacht, das einen permanenten Qualitätswettbewerb der Pflegeheime auslösen könnte.
  • Deutlich weniger Aufmerksamkeit erfährt derweil die Umgestaltung der zusätzlichen externen Qualitätsprüfung. Auch hier gibt es einen totalen Systemwechsel, wenn auch mit Einschränkungen. Blicken wir dazu zunächst auf das abgelöste Prüfsystem.
Die alte Transparenzprüfung:
  • In der überholten Kontrollpraxis hatte der MDK-Prüfer hauptsächlich einzuschätzen, ob bestimmte Kriterien erfüllt waren. Er arbeitete sich dafür durch seitenlange Fragenkataloge, die zumeist drei Antworten zuließen:
    • Das Kriterium ist erfüllt. (Kreuzchen bei “ja”)
    • Das Kriterium ist nicht erfüllt. (Kreuzchen bei “nein”)
    • Das Kriterium ist für den Bewohner nicht relevant. (Kreuzchen bei “t.n.z.” für “trifft nicht zu”)
  • Die allermeisten Punkte konnte der MDK-Prüfer ausfüllen, ohne auch nur einmal den (von der Pflegedienstleitung beschlagnahmten) Schreibtisch zu verlassen. Denn als Quellen dienten dabei primär die Pflegedokumentation und das Qualitätsmanagementhandbuch. Eine lückenlose Dokumentation und ein prall gefülltes QMH waren dadurch das Fundament einer guten Bewertung. Das führte in der Praxis zu Verzerrungen, wie sich etwa bei der Sturzprophylaxe zeigt:
    • Der MDK wollte wissen, ob das individuelle Sturzrisiko erfasst wurde und ob das Ergebnis in der Pflegedokumentation hinterlegt war. Wichtig war auch, ob die erforderlichen Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt wurden, also etwa mittels Sitzgymnastik oder Seniorentanz. Und natürlich sollte der gedruckte Expertenstandard zur Sturzprophylaxe im Bücherregal stehen. Ob diese Vorsorgemaßnahmen erfolgreich waren, blieb hingegen Nebensache. Tatsächlich wertete niemand statistisch aus, wie häufig die Bewohner in der Einrichtung stürzten und sich dabei alle möglichen Frakturen zuzogen.
    • Das gleiche Bild beim QM-Handbuch: Der MDK erwartete bislang für jede denkbare Pflegemaßnahme einen Standard. Ob diese in der Realität auch verwendet wurden, war nicht von Belang. Und so kam es, dass in vielen Einrichtungen ein umfangreiches QMH auslag, das vom Pflegeteam jedoch konsequent ignoriert wurde. Keine Pflegekraft las die Standards, keiner verstand sie und keiner setzte sie um. Warum auch? Für die Prüfung war das nicht wirklich von Bedeutung.
Und was ist jetzt anders?
  • Das neue System geht einen anderen Weg und bewertet direkt die Versorgungsergebnisse. Im Zentrum stehen die Gesundheit des Bewohners, die daraus resultierenden Pflegeprobleme sowie seine Wünsche und seine Bedürfnisse.
  • Der Prüfer muss dafür einschätzen, ob durch die Handlungen der Pflegekräfte und durch die Organisation des Trägers für den Pflegebedürftigen Risiken oder gar negative Folgen entstehen. Nur dann wird zukünftig von “Qualitätsdefiziten” gesprochen. Zu diesen negativen Folgen zählen drei Situationen:
    • Es kommt zu gesundheitlichen Schädigungen. Damit sind etwa Druckgeschwüre gemeint, die entstehen, weil es keine effektive Dekubitusprophylaxe gibt. Oder Senioren dehydrieren als Folge einer mangelhaften Flüssigkeitsversorgung.
    • Es erfolgt keine bedarfsgerechte Versorgung des Bewohners. Der Pflegebedürftige erhält also nicht die Unterstützung und die Hilfe, welche er basierend auf seinen Beeinträchtigungen eigentlich benötigt. Beispielhaft dafür wäre die fehlende Mobilisierung von bettlägerigen Bewohnern oder die mangelhafte Körperpflege bei unselbstständigen Senioren.
    • Es gibt keine bedürfnisgerechte Pflege. Die Versorgung entspricht durchweg nicht den Bedürfnissen des Senioren. Dazu zählen die wiederholte Verweigerung der Selbstbestimmung und die regelmäßige Missachtung von explizit geäußerten Wünschen.
  • Mitunter stoßen die MDK-Prüfer auf Mängel, die bislang noch keinen konkreten Schaden (“negative Folgen”) angerichtet haben. Um potenzielle Gefahrenquellen sanktionieren zu können, gibt es nun auch das “Risiko des Eintretens einer negativen Folge”. Bestes Beispiel dafür sind Hygienemängel, die bis dato zu keiner Keimübertragung führten, was sich aber jederzeit ändern könnte.
  • Beide Punkte, die potenziellen ebenso wie die bereits eingetretenen Schädigungen, werden im Prüfbericht als “Defizite” gewertet.
  • Angesichts dieser Drohkulisse ist es ganz angenehm, dass der MDK bei Bagatellen nachsichtiger sein will. Zu diesen Lappalien zählen etwa Dokumentationslücken, wenn diese für die Versorgung des Bewohners nicht relevant sind. Der MDK-Prüfer wird hier nur auf den Fehler hinweisen und das Pflegeheim bei dessen Beseitigung beraten. Diese unerheblichen Defizite nennen sich “Auffälligkeiten” und erscheinen auch nicht im Prüfbericht. Wo die Grenze zwischen “relevant” und “nicht relevant” zu ziehen ist, muss sich erst erweisen. Aber zumindest bei der Pflege- und Maßnahmenplanung ist die Schriftform weiterhin sehr wichtig. Diskussionen zwischen der Pflegedienstleitung und dem MDK-Prüfer sind jedenfalls garantiert.
Werden die Besuche jetzt angekündigt?
  • Die bisherige Prüfung funktionierte nur, wenn diese unangekündigt erfolgte. Wann immer ein Pflegeheim bislang von einem MDK-Besuch am nächsten Morgen erfuhr, wurde es am Abend zuvor hektisch. Nicht selten legten die Qualitätsbeauftragte und die Pflegedienstleitung eine Nachtschicht ein, um die Pflege- und Maßnahmenplanungen instand zu bringen. Lücken in der Dokumentation wurden eiligst geschlossen.
  • Im neuen System sind solche Manipulationen nicht mehr möglich, da sich der Zustand der Bewohner nicht kurzfristig ändern lässt. Kein Pflegebedürftiger wird über Nacht mobil oder seine Druckgeschwüre los.
  • Auf der anderen Seite hat die Vorankündigung auch Vorteile für den MDK. Das Pflegeheim wird alle notwendigen Unterlagen am Morgen um 9 Uhr verfügbar haben. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der MDK kompetente Mitarbeiter für die neuen Fachgespräche vorfinden wird.
  • In den meisten Einrichtungen steht das “offizielle” Faxgerät in der Verwaltung. Der MDK ist also gehalten, das Fax innerhalb der üblichen Bürozeiten zu versenden. Doch was passiert, wenn der MDK das Fax außerhalb der Bürozeiten verschickt? Beispiele:
    • Das Fax wird am Dienstag um 22 Uhr zugestellt. Am Mittwochmorgen steht der MDK vor der Tür.
    • Der MDK versendet das Fax am Sonntag und will am Montag prüfen.
  • In solchen Fällen sollte sich die Einrichtung energisch über die Verletzung der Ankündigungsfrist beschweren. Das sollte unter Zeugen erfolgen. Die Prüfung wird entweder verweigert oder “unter Vorbehalt” zugelassen.
  • Außerdem sollte sich die Heimleitung angewöhnen, an jedem Abend vor Dienstschluss einen Blick in die Faxablage zu werfen.
  • Nicht angekündigt werden weiterhin die Anlassprüfungen. Diese erfolgen nach Beschwerden etwa von Bewohnern, von deren Angehörigen, von (Ex-)Mitarbeitern, von Ärzten oder etwa von Therapeuten. Solche Kontrollen sind (falls zwingend notwendig) auch in der Nacht möglich.
  • Interessant ist die neue Kopplung zwischen den Indikatoren und der Anlassprüfung. Wenn ein Pflegeheim bei verschiedenen Kennzahlen deutlich unterdurchschnittliche Wertungen aufweist, steigt das Risiko, dass der MDK unvermutet vor der Tür steht.
    • Ein Beispiel: In einem Pflegeheim wechselt der Betreiber. Die PDL und ein Teil des Pflegeteams kündigen. In den folgenden Monaten steigt - ausweislich der halbjährlichen Datenmeldung - die Anzahl der Druckgeschwüre. Es gibt auch viel mehr Stürze und Gewichtsverluste. In solchen Fällen ist klar, dass die Kassen zeitnah den MDK schicken, um dort mal nach dem Rechten zu schauen. Und dass der MDK dem Heim eine Vorwarnzeit einräumt, ist eher unwahrscheinlich. Ganz und gar sicher hingegen ist, dass die Heimaufsicht kurz danach ebenfalls ein Stelldichein geben wird.
Ändert sich der Prüfrhythmus?
  • Wie zuvor bei den alten Pflegenoten erfolgen auch die aktuellen Qualitätsprüfungen jährlich. Einrichtungen mit bislang sehr guten Qualitätsprüfungen dürfen darauf hoffen, seltener Besuch vom MDK zu bekommen.
Wie ist das Prüfverfahren strukturiert?
  • Das neue Prüfverfahren ist insgesamt anders gegliedert. Die bisherigen Qualitätskriterien gibt es nicht mehr. Stattdessen sind die zentralen Versorgungsaufgaben durch sog. “Qualitätsaspekte” abgebildet. Also etwa die Kriterien zur Inkontinenz oder zur Unterstützung des Bewohners in der Eingewöhnungsphase nach dem Einzug.
  • Insgesamt existieren 24 Qualitätsaspekte. Zur Anwendung kommen dabei nur solche Fragen, die für den Bewohner aufgrund seiner Gesundheitseinschränkungen oder seiner Pflegeprobleme relevant sind. Wenn ein Pflegebedürftiger keine Wunden aufweist, ist der Punkt “Wundversorgung” natürlich hinfällig und wird hier nicht weiter bearbeitet.
  • In den Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR) finden sich für alle Qualitätsaspekte Definitionen. Diese beschreiben, welche Inhalte geprüft werden. Das gesamte Prüfinstrumentarium ist so gestaltet, dass es weitgehend kompatibel mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsprozess ist.
  • Die 24 Qualitätsaspekte sind in 6 Qualitätsbereiche gruppiert: 
  • Unterstützung bei der Mobilität und Selbstversorgung 
  • Unterstützung bei der Bewältigung von krankheits‐ und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen 
  • Unterstützung bei der Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte 
  • Unterstützung in besonderen Bedarfs‐ und Versorgungssituationen
  • Bedarfsübergreifende fachliche Anforderungen 
  • Organisationsaspekte und internes Qualitätsmanagement
  • Die Bereiche 1 bis 5 geben vor, wie die individuelle Bewohnerversorgung gestaltet werden muss.
  • Sehr interessant ist der Bereich 6. Dieser beschreibt das Qualitätsmanagement. Hier erwartet der MDK beispielsweise, dass die Einrichtung Maßnahmen einleitet, um Defizite konsequent und strukturiert zu beseitigen. Ganz konkret bedeutet das, dass die Einrichtung reagieren muss, wenn es bei den Qualitätsindikatoren zu Auffälligkeiten kommt.
Wie erfolgt die Bewertung der Qualitätsaspekte?
  • Es gibt vier Abstufungen, die mit den Buchstaben A bis D gekennzeichnet sind:
    • A) Keine Auffälligkeiten 
    • B) Auffälligkeiten, die keine Risiken oder negativen Folgen für den Bewohner erwarten lassen 
    • C) Defizit mit Risiko negativer Folgen für den Bewohner 
    • D) Defizit mit eingetretenen negativen Folgen für den Bewohner
  • Danach erfolgt die Gesamtbewertung eines Aspekts. Der MDK bilanziert beispielsweise, ob der Bewohner im Bereich der Mobilität die notwendige Unterstützung erhält. Für diesen Zweck werden die Bewertungen aller dafür relevanten Kriterien zusammengeführt. Als Endergebnis wird eine der vier Bewertungsstufen verwendet:
  • Keine oder geringe Qualitätsdefizite
  • Moderate Qualitätsdefizite
  • Erhebliche Qualitätsdefizite
  • Schwerwiegende Qualitätsdefizite
  • Anders als bei den abgeschafften Pflegenoten gibt es aber keine Gesamtnote, sondern nur Bewertungen für jeden einzelnen Qualitätsaspekt. Die neue Qualitätsbewertung ähnelt also einem Schulzeugnis. Hier erhält der Schüler auch einzelne Noten für Mathematik, Deutsch und Sport. Es gibt aber keine Note übergreifend für alle Fächer.
Verliert die Pflegedokumentation wirklich an Bedeutung?
  • Bislang hat sich die Prüfung hauptsächlich auf schriftliche Belege gestützt, vor allem auf die Pflegedokumentation und auf das QM-Handbuch. Ab sofort gibt es mit den sog. “Fachgesprächen” eine weitere und gleichwertige Informationsquelle. Kleinere Dokumentationslücken können dadurch ausgeräumt werden, indem Pflegekräfte eine mündliche und fachlich schlüssige Darstellung der Versorgungssituation liefern. Es soll sich ein Dialog zwischen Prüfer und Pflegekraft entwickeln, in dem auftretende Fragen geklärt werden; etwa bei Mängeln im Pflegebericht.
  • Ob das in der Praxis auch so funktioniert, muss sich erst erweisen. Die Liste der Einschränkungen ist lang. Eine schriftliche Pflege- und Maßnahmenplanung bleibt unverzichtbar. Dieses betrifft generell alle Dokumente, die die Planung der Versorgung regeln; also etwa die individuelle Tagesstrukturierung. Hier kann die Pflegekraft ergänzende Erläuterungen geben und die eine oder andere Formulierungsschwäche ausbügeln. Die Unterlagen müssen aber schriftlich vorliegen. Die Logik dahinter: Wenn eine schriftliche Planung nicht oder nur in Ansätzen existiert, können die Mitarbeiter nicht erfassen, welche Maßnahmen beim Bewohner regelmäßig durchzuführen sind. Folglich besteht das Risiko einer nicht bedarfsgerechten Versorgung. Dieses ist somit ein Qualitätsdefizit. Auch hinsichtlich des Hautzustands, der Wundversorgung oder der medikamentösen Therapie wird wohl kein Prüfer auf den Blick in die Dokumentation verzichten.
  • Ein Praxisbeispiel dafür: Frau Meier hat in den vorangegangenen Wochen acht Kilo an Körpergewicht verloren. Sie erhält daher hochkalorische Kost als Ergänzung. Der Arzt hat Trinknahrung angeordnet, die Frau Meier zu den Hauptmahlzeiten angeboten wird. Frau Meier konsumiert die Produkte bereitwillig. Leider hat die Pflegekraft sowohl die Applikation als auch die Reaktionen der Bewohnerin nur lückenhaft dokumentiert. Laut alter Prüfpraxis wäre der MDK jetzt davon überzeugt, dass Frau Meier die hochkalorische Kost nur unregelmäßig erhält. Dieses wäre ein schwerwiegender Qualitätsmangel. Jetzt jedoch gibt es zusätzliche Informationsquellen.
    • Erstens: Die Pflegekraft erklärt glaubwürdig, dass Frau Meier natürlich jeden Tag dreimal die Trinknahrung erhält und diese gut verträgt.
    • Zweitens: Die Bewohnerin kann die Angaben der Pflegekraft im Gespräch mit dem MDK-Prüfer bestätigen.
    • Drittens: Der MDK-Prüfer findet ein Päckchen mit der Trinknahrung auf dem Beistelltisch von Frau Meier. Dieses Päckchen ist mit dem Namen der Bewohnerin und mit dem Anbruchdatum beschriftet. Das Päckchen ist geöffnet und bereits halb leer.
  • Dieses ist keine Gefälligkeit des Prüfers. Es gibt dafür eine klare Grundlage in der QPR vollstationär.
    • “Vermutet die Prüferin oder der Prüfer hingegen ein Qualitätsdefizit, so genügt nicht allein das Fehlen von Einträgen in der Pflegedokumentation, um den Nachweis zu führen. Zur Verifizierung muss im Regelfall mindestens eine weitere Informationsquelle entsprechende Hinweise geben. Stehen über die Pflegedokumentation hinaus keine weiteren Informationsquellen zur Verfügung, ist die Bewertung an Hand dieser vorzunehmen.”
  • In solchen Fällen würde der Prüfer lediglich eine B-Wertung ziehen, also eine “Auffälligkeit” attestieren. Diese Wertung wird bei minderschweren Qualitätslücken vergeben, die weder ein Risiko noch eine negative Folge für den Bewohner bedeuten. B-Wertungen führen nicht zu einer Verschlechterung der Qualitätsbeurteilung. Aber natürlich sollte die Einrichtung daraus lernen und den Mangel bis zur nächsten Prüfung beseitigen. Der MDK wird die Einrichtung entsprechend beraten.
  • An die Grenzen kommt das Fachgespräch auch, wenn der betroffene Bewohner demenziell schwer erkrankt ist und keine sinnvollen Angaben machen kann. Um die Angaben der Pflegekraft zu kontrollieren, bleibt dann oftmals keine Alternative als der Abgleich mit der Dokumentation.
  • Hinzu kommt ein erheblicher Ermessensspielraum der Prüfer. Erachtet der MDK-Mitarbeiter den Vortrag der Pflegekraft als “unklar” oder auch nur als “abstrakt”, muss er diesen nicht berücksichtigen. Das Gleiche gilt, wenn er auf Unstimmigkeiten oder auf Widersprüche zu anderen Informationsquellen stößt.
  • Ob der versprochene “Dialog auf Augenhöhe” Realität wird, hängt also von vielen Faktoren ab. Die Pflegekraft muss zunächst ein gutes Deutsch sprechen, was für Mitarbeiter mit Migrationshintergrund nicht immer sichergestellt ist. Unverzichtbar ist auch ein fundiertes pflegerisches Fachwissen des Teams. Der Mitarbeiter muss den Zustand und den Pflegebedarf des Bewohners nachvollziehbar darstellen. Es ist erforderlich, die Reaktion auf Risiken zu beschreiben. Überdies muss die Pflegekraft erläutern, warum bestimmte Versorgungsentscheidungen so und nicht anders getroffen wurden. Von entscheidender Bedeutung ist, dass der Mitarbeiter die Expertenstandards kennt und weiß, wie diese in die Praxis umgesetzt werden.
  • Hinzu kommt eine gute Portion Selbstbewusstsein, wenn der Mitarbeiter von einem (vielleicht missgelaunten) MDK-Prüfer abgefragt wird. Die Situation hat ja durchaus Parallelen zu einer mündlichen Prüfung.
  • Praxistipp: Die Qualitätsprüfung wird am Vortag angekündigt. Daher kann die Heimleitung dafür sorgen, dass am Prüfungstag geeignete Mitarbeiter Dienst haben und für ein Fachgespräch zur Verfügung stehen. Im Idealfall sollten sich Pflegekräfte für ein Fachgespräch anbieten, die schon für die Meldung der Versorgungsergebnisse an die Datenauswertungsstelle zuständig sind. Pflegekräfte, die sich gerne mal “um Kopf und Kragen” reden, machen um die MDK-Prüfer besser einen großen Bogen.
  • Die langfristige Tendenz spricht aber für einen erheblichen und dauerhaften Bedeutungsverlust der Pflegedokumentation. In der QPR ist die Pflegedokumentation als Informationsgrundlage für die Qualitätsbewertung nur noch als vierter Punkt gelistet. Nach dem Gespräch mit dem Bewohner, nach dem Fachgespräch mit Mitarbeitern und auch nach Beobachtungen während der Prüfung.
Was ist mit den Plausibilitätskontrollen?
  • Noch einmal zurück zu den Qualitätsindikatoren: Diese bilden neben der externen Prüfung die zweite Säule der Qualitätsbeurteilung. Basis für dieses Kennzahlensystem ist die Erfassung der Versorgungsergebnisse durch die Pflegekräfte. Die Einrichtung leitet die Informationen an die Datenauswertungsstelle weiter, wo sie verarbeitet werden.
  • Um zu verhindern, dass Pflegeheime die Daten und somit die eigene Bewertung aufhübschen, führt der MDK eine zusätzliche Inspektion vor Ort durch. Teil der Qualitätsprüfung ist somit die sog. “Plausibilitätskontrolle”. Der MDK vergleicht die von den Pflegeheimen im Rahmen der Ergebniserfassung ermittelten Daten mit der tatsächlichen Situation.
  • Der Prüfer nimmt die für die Plausibilitätskontrolle ausgewählten Bewohner in Augenschein. Er nutzt dafür verschiedene Informationsquellen: Er prüft also etwa den Hautzustand. Möglich sind auch Gespräche mit dem Bewohner oder mit der Pflegekraft. Eine weitere Option ist der Einblick in die Pflegedokumentation.
  • Abweichungen zwischen den von der Einrichtung gemeldeten Daten und dem Befund vor Ort sind zunächst kein Grund zur Besorgnis. Oftmals liegen zwischen der Datenübersendung an die Datenauswertungsstelle und dem Besuch des MDK mehrere Monate. In denen kann viel passieren. Die Mobilität kann sich verbessern oder verschlechtern. Wunden heilen ab oder treten neu auf. Solange diese Entwicklungen durch den Krankheitsverlauf nachverfolgt werden können, droht kein Ungemach durch den MDK.
  • Auch hier ist das Fachgespräch zwischen dem MDK-Prüfer und der Pflegekraft eine wichtige Option, um Zweifel an der Korrektheit der Daten auszuräumen. Beispiel: Zum Zeitpunkt der Ergebniserfassung war ein Bewohner vollständig mobil. Einige Tage später stürzte er jedoch, was seine Mobilität schlagartig sehr beeinträchtigt. Der MDK-Prüfer findet nun einen Pflegebedürftigen vor, der laut Datenerfassung ohne Einschränkungen auf den eigenen Beinen unterwegs sein sollte. Tatsächlich benutzt der Pflegebedürftige aber mit Mühe einen Walker. Die Pflegedokumentation gibt zur Auflösung dieses Widerspruchs nicht ausreichend Hilfestellung. Hier kann die Pflegekraft im mündlichen Vortrag die Auswirkungen des Sturzes auf die Mobilität genauer erläutern.
  • Am Ende der Plausibilitätskontrollen sollte der MDK entscheiden können, ob die Ergebniserfassung durch das Pflegeheim korrekt erfolgte und ob die Indikatoren die tatsächliche pflegerische Versorgung korrekt abbilden.
Wie läuft das Teamgespräch ab?
  • Sobald die Plausibilitätskontrollen abgeschlossen sind, ziehen sich die MDK-Mitarbeiter für rund 45 Minuten zu einem Teamgespräch zurück. Die Pflegekräfte bleiben dabei außen vor. Die Prüfer erstellen eine vorläufige Bewertung der Qualitätsaspekte. Gleichzeitig wird diskutiert, ob die vom Pflegeheim übermittelten Qualitätsindikatoren glaubhaft sind. Und schließlich werden die Themen festgelegt, die beim darauffolgenden Abschlussgespräch auf den Tisch kommen sollen.
Welche Aufgaben hat das Abschlussgespräch?
  • Für das Abschlussgespräch werden Führungskräfte der Einrichtung hinzugezogen. Zunächst präsentieren die MDK-Prüfer die vorläufigen Bewertungen der Qualitätsaspekte, die kurz zuvor im Teamgespräch ermittelt wurden. Danach kommen all jene Themen zur Sprache, bei denen die Prüfer einen Beratungsbedarf ausgemacht haben. Das letzte Wort hat dann die Pflegeeinrichtung, also etwa die Heimleitung. Sie kann zu den Prüfergebnissen Stellung beziehen und etwa eine abweichende Einschätzung äußern. All dieses wird schriftlich protokolliert.
  • Praxistipp:
    • Die Bedeutung des Abschlussgesprächs wird in der Praxis unterschätzt. Der Grund dafür ist zunächst verständlich. Nach ein oder zwei Tagen Dauerstress sind die Heimleitung, die PDL und die Pflegekräfte froh, dass die unangenehme Prüfung dem Ende entgegengeht. Vielleicht hat man schlecht geschlafen und ist mit den Kräften jetzt wirklich am Ende. Da liegt es nahe, das Abschlussgespräch über sich ergehen zu lassen und den Abend mit einer Flasche Wein abzuschließen. Ein fataler Irrtum, denn das Abschlussgespräch ist nicht das Nachspiel der Prüfung, sondern das Finale.
    • Im Abschlussgespräch kommen alle Mängel noch einmal auf den Tisch. Hier muss die Pflegedienstleitung um jeden Punkt kämpfen. Jetzt bietet sich die letzte Gelegenheit, fälschlich attestierte Qualitätsmängel abzuräumen, bevor sie im schriftlichen Bericht auftauchen. Legen Sie fehlende Unterlagen und Belege nach. Bleiben Sie im Ton korrekt, aber knallhart bei den Fakten. Machen Sie sich zunutze, dass auch die Prüfer müde sind. Viele MDK-Mitarbeiter haben einen großen Einzugsbereich und daher eine lange Heimfahrt vor sich. Manch einen “Mangel” können Sie jetzt auf dem Kulanzweg ausräumen, weil auch die Prüfer nach Hause aufs Sofa wollen und keine Lust darauf haben, sich jetzt noch ein Hotel zu suchen.
Wie können sich Pflegeeinrichtungen auf die neue Prüfung vorbereiten?
  • Grob gesagt: Bislang war vor allem wichtig, dass ein Qualitätsmanagement zumindest auf dem Papier existiert. Nach dieser Reform ist es entscheidend, dass das QM-System auch wirklich funktioniert. Denn jetzt zählen nur noch die Ergebnisse der Qualitätsindikatoren und der Qualitätsaspekte. Die Zeit der QM-Handbücher, auf denen sich mangels Benutzung der Staub ansammelt, ist vorbei. Für die bloße Existenz von möglichst vielen Standards gibt es jetzt keine Fleißpunkte mehr. Viel wichtiger ist ab sofort die Qualifikation der Mitarbeiter. Heimbetreiber müssen dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter über aktuelles Fachwissen verfügen und dieses auch anwenden. 
  • Wie Sie dieses erreichen, ist zukünftig weitgehend Ihnen überlassen. Naheliegend ist natürlich der klassische Weg:
    • Neue Mitarbeiter werden anhand eines Einarbeitungskonzepts in ihre Aufgaben eingeführt.
    • Es gibt regelmäßige Pflegevisiten durch die Pflegedienstleitung oder durch den Praxismentor.
    • Bei kleinen Wissenslücken werden teaminterne Schulungen durchgeführt.
    • Komplexe Qualifikationsdefizite werden durch externe Seminare und durch Nachschulungen beseitigt.
    • Die einheitliche Durchführung der Pflegemaßnahmen wird durch Standards gesichert, die jeder Mitarbeiter kennt und beachtet.
  • Nehmen wir die Flüssigkeitsversorgung als typisches Problemfeld:
    • Wirklich jede Pflegekraft muss wissen, wie der Hautfaltentest funktioniert, wie Getränke selbst bei Schluckstörungen eingegeben werden und wie Senioren vor Überhitzung zu schützen sind. Sonst passiert schnell Folgendes: Ein Bewohner wird nahezu das ganze Jahr vorbildlich vor Dehydration geschützt, was sich durch lückenlose Einträge in der Pflegedokumentation belegen lässt. Dann kommt die Urlaubszeit. Eine frisch eingestellte Pflegekraft ohne richtige Einarbeitung vernachlässigt es, den Bewohner regelmäßig zum Trinken zu animieren. Immerhin hakt sie aber die Maßnahme im “Ess- und Trinkprotokoll” ab. Am Tag, als die Bezugspflegekraft aus den Ferien zurückkehrt, steht auch der MDK vor der Tür. Und ausgerechnet der dehydrierte Bewohner wird in die Stichprobe einbezogen.
    • In der ‘alten’ MDK-Prüfung würde sich ein solcher Vorgang nur geringfügig auf die Pflegenote auswirken. Hier könnte die Einrichtung über Papierform “punkten”, also etwa ein schlüssiges Konzept zur Flüssigkeitsversorgung vorlegen oder eine schriftlich fixierte Risikoeinschätzung. Und die Eintragungen in der Pflegedokumentation sind ja auch in Ordnung. Mit Umsetzung der Reform droht jetzt hingegen die “D-Wertung”. Denn der Bewohner ist ja zum Zeitpunkt der Prüfung ganz offensichtlich dehydriert. Und entwickelt sich als Folge des Flüssigkeitsmangels auch noch ein Dekubitus, ist der entsprechende Qualitätsindikator ebenfalls ruiniert.
  • Die Pflegedokumentation sollte auch weiterhin penibel genau geführt werden. Keine Pflegedienstleitung sollte darauf vertrauen, dass sich etwaige Lücken tatsächlich durch mündliche Vorträge kompensieren lassen. Es gibt viele Ausnahmen und Einschränkungen. Welchen Wert der mündliche Vortrag in der Prüfsituation tatsächlich entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
  • Entrümpelt Sie Ihr QM-Handbuch. Sie sollten nur solche Pflegestandards aufnehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen:
    • Der Standard beschreibt wichtige Hygienemaßnahmen, also etwa die Händedesinfektion oder die Nutzung von Einmalhandschuhen.
    • Der Standard definiert Tätigkeiten, deren richtige Durchführung bei juristischen Streitigkeiten wichtig ist. Also etwa beim Baden eines Bewohners die obligatorische Kontrolle der Wassertemperatur zur Vermeidung von Verbrühungen.
    • Der Standard beschreibt zentrale Inhalte der Expertenstandards, beispielsweise Lagerungen im Rahmen der Dekubitusprophylaxe.
    • Sie benötigen den Standard, um andere wichtige Abläufe zu vereinheitlichen, mit denen Sie Gefahren für den Bewohner, für die Pflegekräfte oder für die Einrichtung abwenden. Also etwa das Verhalten in Notfällen wie Herzinfarkt, Schlaganfälle oder diabetische Entgleisung.
    • Sie benötigen den Standard, weil Sie das neue Strukturmodell / SIS nutzen und bestimmte Abläufe genau beschreiben müssen ("Immer-so-Beweis").
    • Der Standard wird von der Heimaufsicht verlangt.
  • Überarbeiten Sie Ihr Qualitätsmanagement. Hinterfragen Sie die Notwendigkeit von Qualitätszirkeln, Fallbesprechungen, Pflegevisiten und anderen klassischen Maßnahmen. Welche Instrumente Sie zukünftig nutzen, sollten Sie davon abhängig machen, ob diese Ergebnisse bringen, die sich zählbar auf die Qualitätsindikatoren oder auf die Qualitätsaspekte auswirken.
  • Bislang war es in der Praxis ausreichend, das QM-System samt Handbuch einmal instand zu bringen. Dafür arbeitete die Qualitätsbeauftragte den kompletten Katalog der Prüfkriterien ab. Solange es danach keine gravierenden Änderungen mehr gab, konnte das System auf Jahre “weiterlaufen”. Zumeist werden der QB dann scheibchenweise die Bürostunden gestrichen, da sie in der direkten Pflege benötigt wird. Das geht jetzt nicht mehr. Allein schon die halbjährliche Ergebniserfassung für die Qualitätsindikatoren sorgt dafür, dass sich die Situation innerhalb kurzer Zeit ändern kann.
  • Ein weiterer Punkt ist der erhebliche Ermessenspielraum, der den MDK-Prüfern eingeräumt wird. Die alten Prüfkriterien waren sehr kleinschrittig aufgebaut und penibel genau beschrieben. Die neuen Qualitätsaspekte lassen deutlich mehr Platz für Interpretationen. Ob dieser Freiraum zugunsten der Einrichtung genutzt wird, wird sich in den nächsten Monaten erweisen.



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