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Der neue Pflege-TÜV (Teil 3):
Qualitätsaspekte, Fachgespräche und Plausibilitätskontrollen
Bislang
war die Pflegedokumentation der Dreh- und Angelpunkt jeder MDK-Prüfung.
Der neue Pflege-TÜV stellt dieses Prinzip radikal auf den Kopf.
Mündliche Auskünfte durch die Pflegekräfte werden nun als gleichwertige
Informationsquellen anerkannt.
Der neue Pflege-TÜV (Teil 3):
Qualitätsaspekte und Plausibilitätskontrollen
Gesetzliche Grundlagen
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Mit einer Radikalreform endete am 1. November
2019 das Trauerspiel der gescheiterten Pflegenoten. Mit dem zweiten
Pflege-Stärkungsgesetz (PGS II) wird verhindert, dass Pflegeheime mit
desaströser Versorgungsqualität weiterhin Bestnoten abräumen.
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Vor allem die neuen Qualitätsindikatoren stehen
dabei im Blickpunkt der Pflegewelt. Mit diesen werden zentrale
Qualitätsaspekte gemessen. Als Vergleichsmaßstab dienen dabei die
Versorgungsergebnisse der Mitbewerber. Das führt automatisch zu einer
Spreizung der Ergebnisse. Für jeden Gewinner gibt es grundsätzlich
immer auch einen Verlierer. Auf dem Siegertreppchen wird der Platz
knapp. Die verantwortlichen Forschungsinstitute IPW und aQua haben hier
also tatsächlich ein wirklich effektives System erdacht, das einen
permanenten Qualitätswettbewerb der Pflegeheime auslösen könnte.
-
Deutlich weniger Aufmerksamkeit erfährt derweil
die Umgestaltung der zusätzlichen externen Qualitätsprüfung. Auch hier
gibt es einen totalen Systemwechsel, wenn auch mit Einschränkungen.
Blicken wir dazu zunächst auf das abgelöste Prüfsystem.
Die alte Transparenzprüfung:
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In der überholten Kontrollpraxis hatte der
MDK-Prüfer hauptsächlich einzuschätzen, ob bestimmte Kriterien erfüllt
waren. Er arbeitete sich dafür durch seitenlange Fragenkataloge, die
zumeist drei Antworten zuließen:
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Das Kriterium ist erfüllt. (Kreuzchen bei “ja”)
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Das Kriterium ist nicht erfüllt. (Kreuzchen bei “nein”)
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Das Kriterium ist für den Bewohner nicht relevant. (Kreuzchen bei “t.n.z.” für “trifft nicht zu”)
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Die allermeisten Punkte konnte der MDK-Prüfer
ausfüllen, ohne auch nur einmal den (von der Pflegedienstleitung
beschlagnahmten) Schreibtisch zu verlassen. Denn als Quellen dienten
dabei primär die Pflegedokumentation und das
Qualitätsmanagementhandbuch. Eine lückenlose Dokumentation und ein
prall gefülltes QMH waren dadurch das Fundament einer guten Bewertung.
Das führte in der Praxis zu Verzerrungen, wie sich etwa bei der
Sturzprophylaxe zeigt:
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Der MDK wollte wissen, ob das individuelle
Sturzrisiko erfasst wurde und ob das Ergebnis in der
Pflegedokumentation hinterlegt war. Wichtig war auch, ob die
erforderlichen Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt wurden, also etwa
mittels Sitzgymnastik oder Seniorentanz. Und natürlich sollte der
gedruckte Expertenstandard zur Sturzprophylaxe im Bücherregal stehen.
Ob diese Vorsorgemaßnahmen erfolgreich waren, blieb hingegen
Nebensache. Tatsächlich wertete niemand statistisch aus, wie häufig die
Bewohner in der Einrichtung stürzten und sich dabei alle möglichen
Frakturen zuzogen.
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Das gleiche Bild beim QM-Handbuch: Der MDK
erwartete bislang für jede denkbare Pflegemaßnahme einen Standard. Ob
diese in der Realität auch verwendet wurden, war nicht von Belang. Und
so kam es, dass in vielen Einrichtungen ein umfangreiches QMH auslag,
das vom Pflegeteam jedoch konsequent ignoriert wurde. Keine Pflegekraft
las die Standards, keiner verstand sie und keiner setzte sie um. Warum
auch? Für die Prüfung war das nicht wirklich von Bedeutung.
Und was ist jetzt anders?
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Das neue System geht einen anderen Weg und
bewertet direkt die Versorgungsergebnisse. Im Zentrum stehen die
Gesundheit des Bewohners, die daraus resultierenden Pflegeprobleme
sowie seine Wünsche und seine Bedürfnisse.
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Der Prüfer muss dafür einschätzen, ob durch die
Handlungen der Pflegekräfte und durch die Organisation des Trägers für
den Pflegebedürftigen Risiken oder gar negative Folgen entstehen. Nur
dann wird zukünftig von “Qualitätsdefiziten” gesprochen. Zu diesen
negativen Folgen zählen drei Situationen:
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Es kommt zu gesundheitlichen Schädigungen.
Damit sind etwa Druckgeschwüre gemeint, die entstehen, weil es keine
effektive Dekubitusprophylaxe gibt. Oder Senioren dehydrieren als Folge
einer mangelhaften Flüssigkeitsversorgung.
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Es erfolgt keine bedarfsgerechte Versorgung
des Bewohners. Der Pflegebedürftige erhält also nicht die Unterstützung
und die Hilfe, welche er basierend auf seinen Beeinträchtigungen
eigentlich benötigt. Beispielhaft dafür wäre die fehlende Mobilisierung
von bettlägerigen Bewohnern oder die mangelhafte Körperpflege bei
unselbstständigen Senioren.
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Es gibt keine bedürfnisgerechte Pflege. Die
Versorgung entspricht durchweg nicht den Bedürfnissen des Senioren.
Dazu zählen die wiederholte Verweigerung der Selbstbestimmung und die
regelmäßige Missachtung von explizit geäußerten Wünschen.
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Mitunter stoßen die MDK-Prüfer auf Mängel, die
bislang noch keinen konkreten Schaden (“negative Folgen”) angerichtet
haben. Um potenzielle Gefahrenquellen sanktionieren zu können, gibt es
nun auch das “Risiko des Eintretens einer negativen Folge”. Bestes
Beispiel dafür sind Hygienemängel, die bis dato zu keiner
Keimübertragung führten, was sich aber jederzeit ändern könnte.
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Beide Punkte, die potenziellen ebenso wie die bereits eingetretenen Schädigungen, werden im Prüfbericht als “Defizite” gewertet.
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Angesichts dieser Drohkulisse ist es ganz
angenehm, dass der MDK bei Bagatellen nachsichtiger sein will. Zu
diesen Lappalien zählen etwa Dokumentationslücken, wenn diese für die
Versorgung des Bewohners nicht relevant sind. Der MDK-Prüfer wird hier
nur auf den Fehler hinweisen und das Pflegeheim bei dessen Beseitigung
beraten. Diese unerheblichen Defizite nennen sich “Auffälligkeiten” und
erscheinen auch nicht im Prüfbericht. Wo die Grenze zwischen “relevant”
und “nicht relevant” zu ziehen ist, muss sich erst erweisen. Aber
zumindest bei der Pflege- und Maßnahmenplanung ist die Schriftform
weiterhin sehr wichtig. Diskussionen zwischen der Pflegedienstleitung
und dem MDK-Prüfer sind jedenfalls garantiert.
Werden die Besuche jetzt angekündigt?
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Die bisherige Prüfung funktionierte nur, wenn
diese unangekündigt erfolgte. Wann immer ein Pflegeheim bislang von
einem MDK-Besuch am nächsten Morgen erfuhr, wurde es am Abend zuvor
hektisch. Nicht selten legten die Qualitätsbeauftragte und die
Pflegedienstleitung eine Nachtschicht ein, um die Pflege- und
Maßnahmenplanungen instand zu bringen. Lücken in der Dokumentation
wurden eiligst geschlossen.
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Im neuen System sind solche Manipulationen
nicht mehr möglich, da sich der Zustand der Bewohner nicht kurzfristig
ändern lässt. Kein Pflegebedürftiger wird über Nacht mobil oder seine
Druckgeschwüre los.
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Auf der anderen Seite hat die Vorankündigung
auch Vorteile für den MDK. Das Pflegeheim wird alle notwendigen
Unterlagen am Morgen um 9 Uhr verfügbar haben. Zudem steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass der MDK kompetente Mitarbeiter für die neuen
Fachgespräche vorfinden wird.
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In den meisten Einrichtungen steht das
“offizielle” Faxgerät in der Verwaltung. Der MDK ist also gehalten, das
Fax innerhalb der üblichen Bürozeiten zu versenden. Doch was passiert,
wenn der MDK das Fax außerhalb der Bürozeiten verschickt? Beispiele:
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Das Fax wird am Dienstag um 22 Uhr zugestellt. Am Mittwochmorgen steht der MDK vor der Tür.
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Der MDK versendet das Fax am Sonntag und will am Montag prüfen.
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In solchen Fällen sollte sich die Einrichtung
energisch über die Verletzung der Ankündigungsfrist beschweren. Das
sollte unter Zeugen erfolgen. Die Prüfung wird entweder verweigert oder
“unter Vorbehalt” zugelassen.
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Außerdem sollte sich die Heimleitung angewöhnen, an jedem Abend vor Dienstschluss einen Blick in die Faxablage zu werfen.
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Nicht angekündigt werden weiterhin die
Anlassprüfungen. Diese erfolgen nach Beschwerden etwa von Bewohnern,
von deren Angehörigen, von (Ex-)Mitarbeitern, von Ärzten oder etwa von
Therapeuten. Solche Kontrollen sind (falls zwingend notwendig) auch in
der Nacht möglich.
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Interessant ist die neue Kopplung zwischen den
Indikatoren und der Anlassprüfung. Wenn ein Pflegeheim bei
verschiedenen Kennzahlen deutlich unterdurchschnittliche Wertungen
aufweist, steigt das Risiko, dass der MDK unvermutet vor der Tür steht.
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Ein Beispiel: In einem Pflegeheim wechselt
der Betreiber. Die PDL und ein Teil des Pflegeteams kündigen. In den
folgenden Monaten steigt - ausweislich der halbjährlichen Datenmeldung
- die Anzahl der Druckgeschwüre. Es gibt auch viel mehr Stürze und
Gewichtsverluste. In solchen Fällen ist klar, dass die Kassen zeitnah
den MDK schicken, um dort mal nach dem Rechten zu schauen. Und dass der
MDK dem Heim eine Vorwarnzeit einräumt, ist eher unwahrscheinlich. Ganz
und gar sicher hingegen ist, dass die Heimaufsicht kurz danach
ebenfalls ein Stelldichein geben wird.
Ändert sich der Prüfrhythmus?
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Wie zuvor bei den alten Pflegenoten erfolgen
auch die aktuellen Qualitätsprüfungen jährlich. Einrichtungen mit
bislang sehr guten Qualitätsprüfungen dürfen darauf hoffen, seltener
Besuch vom MDK zu bekommen.
Wie ist das Prüfverfahren strukturiert?
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Das neue Prüfverfahren ist insgesamt anders
gegliedert. Die bisherigen Qualitätskriterien gibt es nicht mehr.
Stattdessen sind die zentralen Versorgungsaufgaben durch sog.
“Qualitätsaspekte” abgebildet. Also etwa die Kriterien zur Inkontinenz
oder zur Unterstützung des Bewohners in der Eingewöhnungsphase nach dem
Einzug.
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Insgesamt existieren 24 Qualitätsaspekte. Zur
Anwendung kommen dabei nur solche Fragen, die für den Bewohner aufgrund
seiner Gesundheitseinschränkungen oder seiner Pflegeprobleme relevant
sind. Wenn ein Pflegebedürftiger keine Wunden aufweist, ist der Punkt
“Wundversorgung” natürlich hinfällig und wird hier nicht weiter
bearbeitet.
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In den Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR)
finden sich für alle Qualitätsaspekte Definitionen. Diese beschreiben,
welche Inhalte geprüft werden. Das gesamte Prüfinstrumentarium ist so
gestaltet, dass es weitgehend kompatibel mit dem neuen
Pflegebedürftigkeitsprozess ist.
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Die 24 Qualitätsaspekte sind in 6 Qualitätsbereiche gruppiert:
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Unterstützung bei der Mobilität und Selbstversorgung
-
Unterstützung bei der Bewältigung von krankheits‐ und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
-
Unterstützung bei der Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte
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Unterstützung in besonderen Bedarfs‐ und Versorgungssituationen
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Bedarfsübergreifende fachliche Anforderungen
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Organisationsaspekte und internes Qualitätsmanagement
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Die Bereiche 1 bis 5 geben vor, wie die individuelle Bewohnerversorgung gestaltet werden muss.
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Sehr interessant ist der Bereich 6. Dieser
beschreibt das Qualitätsmanagement. Hier erwartet der MDK
beispielsweise, dass die Einrichtung Maßnahmen einleitet, um Defizite
konsequent und strukturiert zu beseitigen. Ganz konkret bedeutet das,
dass die Einrichtung reagieren muss, wenn es bei den
Qualitätsindikatoren zu Auffälligkeiten kommt.
Wie erfolgt die Bewertung der Qualitätsaspekte?
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Es gibt vier Abstufungen, die mit den Buchstaben A bis D gekennzeichnet sind:
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A) Keine Auffälligkeiten
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B) Auffälligkeiten, die keine Risiken oder negativen Folgen für den Bewohner erwarten lassen
-
C) Defizit mit Risiko negativer Folgen für den Bewohner
-
D) Defizit mit eingetretenen negativen Folgen für den Bewohner
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Danach erfolgt die Gesamtbewertung eines
Aspekts. Der MDK bilanziert beispielsweise, ob der Bewohner im Bereich
der Mobilität die notwendige Unterstützung erhält. Für diesen Zweck
werden die Bewertungen aller dafür relevanten Kriterien
zusammengeführt. Als Endergebnis wird eine der vier Bewertungsstufen
verwendet:
-
Keine oder geringe Qualitätsdefizite
-
Moderate Qualitätsdefizite
-
Erhebliche Qualitätsdefizite
-
Schwerwiegende Qualitätsdefizite
-
Anders als bei den abgeschafften Pflegenoten
gibt es aber keine Gesamtnote, sondern nur Bewertungen für jeden
einzelnen Qualitätsaspekt. Die neue Qualitätsbewertung ähnelt also
einem Schulzeugnis. Hier erhält der Schüler auch einzelne Noten für
Mathematik, Deutsch und Sport. Es gibt aber keine Note übergreifend für
alle Fächer.
Verliert die Pflegedokumentation wirklich an Bedeutung?
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Bislang hat sich die Prüfung hauptsächlich auf
schriftliche Belege gestützt, vor allem auf die Pflegedokumentation und
auf das QM-Handbuch. Ab sofort gibt es mit den sog. “Fachgesprächen”
eine weitere und gleichwertige Informationsquelle. Kleinere
Dokumentationslücken können dadurch ausgeräumt werden, indem
Pflegekräfte eine mündliche und fachlich schlüssige Darstellung der
Versorgungssituation liefern. Es soll sich ein Dialog zwischen Prüfer
und Pflegekraft entwickeln, in dem auftretende Fragen geklärt werden;
etwa bei Mängeln im Pflegebericht.
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Ob das in der Praxis auch so funktioniert, muss
sich erst erweisen. Die Liste der Einschränkungen ist lang. Eine
schriftliche Pflege- und Maßnahmenplanung bleibt unverzichtbar. Dieses
betrifft generell alle Dokumente, die die Planung der Versorgung
regeln; also etwa die individuelle Tagesstrukturierung. Hier kann die
Pflegekraft ergänzende Erläuterungen geben und die eine oder andere
Formulierungsschwäche ausbügeln. Die Unterlagen müssen aber schriftlich
vorliegen. Die Logik dahinter: Wenn eine schriftliche Planung nicht
oder nur in Ansätzen existiert, können die Mitarbeiter nicht erfassen,
welche Maßnahmen beim Bewohner regelmäßig durchzuführen sind. Folglich
besteht das Risiko einer nicht bedarfsgerechten Versorgung. Dieses ist
somit ein Qualitätsdefizit. Auch hinsichtlich des Hautzustands, der
Wundversorgung oder der medikamentösen Therapie wird wohl kein Prüfer
auf den Blick in die Dokumentation verzichten.
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Ein Praxisbeispiel dafür: Frau Meier hat in den
vorangegangenen Wochen acht Kilo an Körpergewicht verloren. Sie erhält
daher hochkalorische Kost als Ergänzung. Der Arzt hat Trinknahrung
angeordnet, die Frau Meier zu den Hauptmahlzeiten angeboten wird. Frau
Meier konsumiert die Produkte bereitwillig. Leider hat die Pflegekraft
sowohl die Applikation als auch die Reaktionen der Bewohnerin nur
lückenhaft dokumentiert. Laut alter Prüfpraxis wäre der MDK jetzt davon
überzeugt, dass Frau Meier die hochkalorische Kost nur unregelmäßig
erhält. Dieses wäre ein schwerwiegender Qualitätsmangel. Jetzt jedoch
gibt es zusätzliche Informationsquellen.
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Erstens: Die Pflegekraft erklärt glaubwürdig,
dass Frau Meier natürlich jeden Tag dreimal die Trinknahrung erhält und
diese gut verträgt.
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Zweitens: Die Bewohnerin kann die Angaben der Pflegekraft im Gespräch mit dem MDK-Prüfer bestätigen.
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Drittens: Der MDK-Prüfer findet ein Päckchen
mit der Trinknahrung auf dem Beistelltisch von Frau Meier. Dieses
Päckchen ist mit dem Namen der Bewohnerin und mit dem Anbruchdatum
beschriftet. Das Päckchen ist geöffnet und bereits halb leer.
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Dieses ist keine Gefälligkeit des Prüfers. Es gibt dafür eine klare Grundlage in der QPR vollstationär.
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“Vermutet die Prüferin oder der Prüfer
hingegen ein Qualitätsdefizit, so genügt nicht allein das Fehlen von
Einträgen in der Pflegedokumentation, um den Nachweis zu führen. Zur
Verifizierung muss im Regelfall mindestens eine weitere
Informationsquelle entsprechende Hinweise geben. Stehen über die
Pflegedokumentation hinaus keine weiteren Informationsquellen zur
Verfügung, ist die Bewertung an Hand dieser vorzunehmen.”
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In solchen Fällen würde der Prüfer lediglich
eine B-Wertung ziehen, also eine “Auffälligkeit” attestieren. Diese
Wertung wird bei minderschweren Qualitätslücken vergeben, die weder ein
Risiko noch eine negative Folge für den Bewohner bedeuten. B-Wertungen
führen nicht zu einer Verschlechterung der Qualitätsbeurteilung. Aber
natürlich sollte die Einrichtung daraus lernen und den Mangel bis zur
nächsten Prüfung beseitigen. Der MDK wird die Einrichtung entsprechend
beraten.
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An die Grenzen kommt das Fachgespräch auch,
wenn der betroffene Bewohner demenziell schwer erkrankt ist und keine
sinnvollen Angaben machen kann. Um die Angaben der Pflegekraft zu
kontrollieren, bleibt dann oftmals keine Alternative als der Abgleich
mit der Dokumentation.
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Hinzu kommt ein erheblicher Ermessensspielraum
der Prüfer. Erachtet der MDK-Mitarbeiter den Vortrag der Pflegekraft
als “unklar” oder auch nur als “abstrakt”, muss er diesen nicht
berücksichtigen. Das Gleiche gilt, wenn er auf Unstimmigkeiten oder auf
Widersprüche zu anderen Informationsquellen stößt.
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Ob der versprochene “Dialog auf Augenhöhe”
Realität wird, hängt also von vielen Faktoren ab. Die Pflegekraft muss
zunächst ein gutes Deutsch sprechen, was für Mitarbeiter mit
Migrationshintergrund nicht immer sichergestellt ist. Unverzichtbar ist
auch ein fundiertes pflegerisches Fachwissen des Teams. Der Mitarbeiter
muss den Zustand und den Pflegebedarf des Bewohners nachvollziehbar
darstellen. Es ist erforderlich, die Reaktion auf Risiken zu
beschreiben. Überdies muss die Pflegekraft erläutern, warum bestimmte
Versorgungsentscheidungen so und nicht anders getroffen wurden. Von
entscheidender Bedeutung ist, dass der Mitarbeiter die
Expertenstandards kennt und weiß, wie diese in die Praxis umgesetzt
werden.
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Hinzu kommt eine gute Portion
Selbstbewusstsein, wenn der Mitarbeiter von einem (vielleicht
missgelaunten) MDK-Prüfer abgefragt wird. Die Situation hat ja durchaus
Parallelen zu einer mündlichen Prüfung.
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Praxistipp: Die Qualitätsprüfung wird am Vortag
angekündigt. Daher kann die Heimleitung dafür sorgen, dass am
Prüfungstag geeignete Mitarbeiter Dienst haben und für ein Fachgespräch
zur Verfügung stehen. Im Idealfall sollten sich Pflegekräfte für ein
Fachgespräch anbieten, die schon für die Meldung der
Versorgungsergebnisse an die Datenauswertungsstelle zuständig sind.
Pflegekräfte, die sich gerne mal “um Kopf und Kragen” reden, machen um
die MDK-Prüfer besser einen großen Bogen.
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Die langfristige Tendenz spricht aber für einen
erheblichen und dauerhaften Bedeutungsverlust der Pflegedokumentation.
In der QPR ist die Pflegedokumentation als Informationsgrundlage für
die Qualitätsbewertung nur noch als vierter Punkt gelistet. Nach dem
Gespräch mit dem Bewohner, nach dem Fachgespräch mit Mitarbeitern und
auch nach Beobachtungen während der Prüfung.
Was ist mit den Plausibilitätskontrollen?
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Noch einmal zurück zu den Qualitätsindikatoren:
Diese bilden neben der externen Prüfung die zweite Säule der
Qualitätsbeurteilung. Basis für dieses Kennzahlensystem ist die
Erfassung der Versorgungsergebnisse durch die Pflegekräfte. Die
Einrichtung leitet die Informationen an die Datenauswertungsstelle
weiter, wo sie verarbeitet werden.
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Um zu verhindern, dass Pflegeheime die Daten
und somit die eigene Bewertung aufhübschen, führt der MDK eine
zusätzliche Inspektion vor Ort durch. Teil der Qualitätsprüfung ist
somit die sog. “Plausibilitätskontrolle”. Der MDK vergleicht die von
den Pflegeheimen im Rahmen der Ergebniserfassung ermittelten Daten mit
der tatsächlichen Situation.
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Der Prüfer nimmt die für die
Plausibilitätskontrolle ausgewählten Bewohner in Augenschein. Er nutzt
dafür verschiedene Informationsquellen: Er prüft also etwa den
Hautzustand. Möglich sind auch Gespräche mit dem Bewohner oder mit der
Pflegekraft. Eine weitere Option ist der Einblick in die
Pflegedokumentation.
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Abweichungen zwischen den von der Einrichtung
gemeldeten Daten und dem Befund vor Ort sind zunächst kein Grund zur
Besorgnis. Oftmals liegen zwischen der Datenübersendung an die
Datenauswertungsstelle und dem Besuch des MDK mehrere Monate. In denen
kann viel passieren. Die Mobilität kann sich verbessern oder
verschlechtern. Wunden heilen ab oder treten neu auf. Solange diese
Entwicklungen durch den Krankheitsverlauf nachverfolgt werden können,
droht kein Ungemach durch den MDK.
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Auch hier ist das Fachgespräch zwischen dem
MDK-Prüfer und der Pflegekraft eine wichtige Option, um Zweifel an der
Korrektheit der Daten auszuräumen. Beispiel: Zum Zeitpunkt der
Ergebniserfassung war ein Bewohner vollständig mobil. Einige Tage
später stürzte er jedoch, was seine Mobilität schlagartig sehr
beeinträchtigt. Der MDK-Prüfer findet nun einen Pflegebedürftigen vor,
der laut Datenerfassung ohne Einschränkungen auf den eigenen Beinen
unterwegs sein sollte. Tatsächlich benutzt der Pflegebedürftige aber
mit Mühe einen Walker. Die Pflegedokumentation gibt zur Auflösung
dieses Widerspruchs nicht ausreichend Hilfestellung. Hier kann die
Pflegekraft im mündlichen Vortrag die Auswirkungen des Sturzes auf die
Mobilität genauer erläutern.
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Am Ende der Plausibilitätskontrollen sollte der
MDK entscheiden können, ob die Ergebniserfassung durch das Pflegeheim
korrekt erfolgte und ob die Indikatoren die tatsächliche pflegerische
Versorgung korrekt abbilden.
Wie läuft das Teamgespräch ab?
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Sobald die Plausibilitätskontrollen
abgeschlossen sind, ziehen sich die MDK-Mitarbeiter für rund 45 Minuten
zu einem Teamgespräch zurück. Die Pflegekräfte bleiben dabei außen vor.
Die Prüfer erstellen eine vorläufige Bewertung der Qualitätsaspekte.
Gleichzeitig wird diskutiert, ob die vom Pflegeheim übermittelten
Qualitätsindikatoren glaubhaft sind. Und schließlich werden die Themen
festgelegt, die beim darauffolgenden Abschlussgespräch auf den Tisch
kommen sollen.
Welche Aufgaben hat das Abschlussgespräch?
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Für das Abschlussgespräch werden Führungskräfte
der Einrichtung hinzugezogen. Zunächst präsentieren die MDK-Prüfer die
vorläufigen Bewertungen der Qualitätsaspekte, die kurz zuvor im
Teamgespräch ermittelt wurden. Danach kommen all jene Themen zur
Sprache, bei denen die Prüfer einen Beratungsbedarf ausgemacht haben.
Das letzte Wort hat dann die Pflegeeinrichtung, also etwa die
Heimleitung. Sie kann zu den Prüfergebnissen Stellung beziehen und etwa
eine abweichende Einschätzung äußern. All dieses wird schriftlich
protokolliert.
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Praxistipp:
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Die Bedeutung des Abschlussgesprächs wird in
der Praxis unterschätzt. Der Grund dafür ist zunächst verständlich.
Nach ein oder zwei Tagen Dauerstress sind die Heimleitung, die PDL und
die Pflegekräfte froh, dass die unangenehme Prüfung dem Ende
entgegengeht. Vielleicht hat man schlecht geschlafen und ist mit den
Kräften jetzt wirklich am Ende. Da liegt es nahe, das Abschlussgespräch
über sich ergehen zu lassen und den Abend mit einer Flasche Wein
abzuschließen. Ein fataler Irrtum, denn das Abschlussgespräch ist nicht
das Nachspiel der Prüfung, sondern das Finale.
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Im Abschlussgespräch kommen alle Mängel noch
einmal auf den Tisch. Hier muss die Pflegedienstleitung um jeden Punkt
kämpfen. Jetzt bietet sich die letzte Gelegenheit, fälschlich
attestierte Qualitätsmängel abzuräumen, bevor sie im schriftlichen
Bericht auftauchen. Legen Sie fehlende Unterlagen und Belege nach.
Bleiben Sie im Ton korrekt, aber knallhart bei den Fakten. Machen Sie
sich zunutze, dass auch die Prüfer müde sind. Viele MDK-Mitarbeiter
haben einen großen Einzugsbereich und daher eine lange Heimfahrt vor
sich. Manch einen “Mangel” können Sie jetzt auf dem Kulanzweg
ausräumen, weil auch die Prüfer nach Hause aufs Sofa wollen und keine
Lust darauf haben, sich jetzt noch ein Hotel zu suchen.
Wie können sich Pflegeeinrichtungen auf die neue Prüfung vorbereiten?
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Grob gesagt: Bislang war vor allem wichtig,
dass ein Qualitätsmanagement zumindest auf dem Papier existiert. Nach
dieser Reform ist es entscheidend, dass das QM-System auch wirklich
funktioniert. Denn jetzt zählen nur noch die Ergebnisse der
Qualitätsindikatoren und der Qualitätsaspekte. Die Zeit der
QM-Handbücher, auf denen sich mangels Benutzung der Staub ansammelt,
ist vorbei. Für die bloße Existenz von möglichst vielen Standards gibt
es jetzt keine Fleißpunkte mehr. Viel wichtiger ist ab sofort die
Qualifikation der Mitarbeiter. Heimbetreiber müssen dafür sorgen, dass
alle Mitarbeiter über aktuelles Fachwissen verfügen und dieses auch
anwenden.
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Wie Sie dieses erreichen, ist zukünftig weitgehend Ihnen überlassen. Naheliegend ist natürlich der klassische Weg:
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Neue Mitarbeiter werden anhand eines Einarbeitungskonzepts in ihre Aufgaben eingeführt.
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Es gibt regelmäßige Pflegevisiten durch die Pflegedienstleitung oder durch den Praxismentor.
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Bei kleinen Wissenslücken werden teaminterne Schulungen durchgeführt.
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Komplexe Qualifikationsdefizite werden durch externe Seminare und durch Nachschulungen beseitigt.
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Die einheitliche Durchführung der Pflegemaßnahmen wird durch Standards gesichert, die jeder Mitarbeiter kennt und beachtet.
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Nehmen wir die Flüssigkeitsversorgung als typisches Problemfeld:
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Wirklich jede Pflegekraft muss wissen, wie
der Hautfaltentest funktioniert, wie Getränke selbst bei
Schluckstörungen eingegeben werden und wie Senioren vor Überhitzung zu
schützen sind. Sonst passiert schnell Folgendes: Ein Bewohner wird
nahezu das ganze Jahr vorbildlich vor Dehydration geschützt, was sich
durch lückenlose Einträge in der Pflegedokumentation belegen lässt.
Dann kommt die Urlaubszeit. Eine frisch eingestellte Pflegekraft ohne
richtige Einarbeitung vernachlässigt es, den Bewohner regelmäßig zum
Trinken zu animieren. Immerhin hakt sie aber die Maßnahme im “Ess- und
Trinkprotokoll” ab. Am Tag, als die Bezugspflegekraft aus den Ferien
zurückkehrt, steht auch der MDK vor der Tür. Und ausgerechnet der
dehydrierte Bewohner wird in die Stichprobe einbezogen.
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In der ‘alten’ MDK-Prüfung würde sich ein
solcher Vorgang nur geringfügig auf die Pflegenote auswirken. Hier
könnte die Einrichtung über Papierform “punkten”, also etwa ein
schlüssiges Konzept zur Flüssigkeitsversorgung vorlegen oder eine
schriftlich fixierte Risikoeinschätzung. Und die Eintragungen in der
Pflegedokumentation sind ja auch in Ordnung. Mit Umsetzung der Reform
droht jetzt hingegen die “D-Wertung”. Denn der Bewohner ist ja zum
Zeitpunkt der Prüfung ganz offensichtlich dehydriert. Und entwickelt
sich als Folge des Flüssigkeitsmangels auch noch ein Dekubitus, ist der
entsprechende Qualitätsindikator ebenfalls ruiniert.
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Die Pflegedokumentation sollte auch weiterhin
penibel genau geführt werden. Keine Pflegedienstleitung sollte darauf
vertrauen, dass sich etwaige Lücken tatsächlich durch mündliche
Vorträge kompensieren lassen. Es gibt viele Ausnahmen und
Einschränkungen. Welchen Wert der mündliche Vortrag in der
Prüfsituation tatsächlich entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
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Entrümpelt Sie Ihr QM-Handbuch. Sie sollten nur solche Pflegestandards aufnehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen:
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Der Standard beschreibt wichtige Hygienemaßnahmen, also etwa die Händedesinfektion oder die Nutzung von Einmalhandschuhen.
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Der Standard definiert Tätigkeiten, deren
richtige Durchführung bei juristischen Streitigkeiten wichtig ist. Also
etwa beim Baden eines Bewohners die obligatorische Kontrolle der
Wassertemperatur zur Vermeidung von Verbrühungen.
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Der Standard beschreibt zentrale Inhalte der Expertenstandards, beispielsweise Lagerungen im Rahmen der Dekubitusprophylaxe.
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Sie benötigen den Standard, um andere
wichtige Abläufe zu vereinheitlichen, mit denen Sie Gefahren für den
Bewohner, für die Pflegekräfte oder für die Einrichtung abwenden. Also
etwa das Verhalten in Notfällen wie Herzinfarkt, Schlaganfälle oder
diabetische Entgleisung.
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Sie benötigen den Standard, weil Sie das neue
Strukturmodell / SIS nutzen und bestimmte Abläufe genau beschreiben
müssen ("Immer-so-Beweis").
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Der Standard wird von der Heimaufsicht verlangt.
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Überarbeiten Sie Ihr Qualitätsmanagement.
Hinterfragen Sie die Notwendigkeit von Qualitätszirkeln,
Fallbesprechungen, Pflegevisiten und anderen klassischen Maßnahmen.
Welche Instrumente Sie zukünftig nutzen, sollten Sie davon abhängig
machen, ob diese Ergebnisse bringen, die sich zählbar auf die
Qualitätsindikatoren oder auf die Qualitätsaspekte auswirken.
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Bislang war es in der Praxis ausreichend, das
QM-System samt Handbuch einmal instand zu bringen. Dafür arbeitete die
Qualitätsbeauftragte den kompletten Katalog der Prüfkriterien ab.
Solange es danach keine gravierenden Änderungen mehr gab, konnte das
System auf Jahre “weiterlaufen”. Zumeist werden der QB dann
scheibchenweise die Bürostunden gestrichen, da sie in der direkten
Pflege benötigt wird. Das geht jetzt nicht mehr. Allein schon die
halbjährliche Ergebniserfassung für die Qualitätsindikatoren sorgt
dafür, dass sich die Situation innerhalb kurzer Zeit ändern kann.
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Ein weiterer Punkt ist der erhebliche
Ermessenspielraum, der den MDK-Prüfern eingeräumt wird. Die alten
Prüfkriterien waren sehr kleinschrittig aufgebaut und penibel genau
beschrieben. Die neuen Qualitätsaspekte lassen deutlich mehr Platz für
Interpretationen. Ob dieser Freiraum zugunsten der Einrichtung genutzt
wird, wird sich in den nächsten Monaten erweisen.
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