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Indikatoren "Fixierungsgurte und Bettseitenteile"

Innerhalb nur weniger Jahre hat sich die Anzahl der Anträge auf freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) halbiert. Pflegeheime, die weiterhin mit Fixierungen arbeiten, müssen sich auf Abwertungen beim Pflege-TÜV einstellen.

Indikatoren “Fixierungsgurte und Bettseitenteile”


  • Eine Fixierung ist nur dann zulässig, wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung droht und die Nutzung milderer Maßnahmen nicht erfolgversprechend ist. Sofern der Bewohner einwilligungsfähig ist, kann er der Durchführung einer Fixierung selbst zustimmen. Dieses sollte stets schriftlich erfolgen. Die Einwilligung ist zu jedem Zeitpunkt widerrufbar.
  • Ansonsten muss jede Fixierung nach vorheriger Begutachtung durch einen Betreuungsrichter genehmigt werden. Genehmigungsbedürftig sind alle Fixierungen, die regelmäßig oder über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden.
  • Fixierungen, die zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefährdung zwingend geboten sind, können zunächst durchgeführt werden, ohne dass eine Freigabe durch einen Richter vorliegt. Dann jedoch muss die Antragsstellung beim Betreuungsgericht unverzüglich nachgeholt werden.
  • Angehörige, Bevollmächtigte oder rechtliche Betreuer sind nicht dazu befugt, Fixierungen anzuordnen oder zu bewilligen. Stimmen diese einer Fixierung zu, muss die Maßnahme trotzdem von einem Betreuungsrichter genehmigt werden.
  • Wird eine Fixierung ohne Zustimmung des Bewohners und ohne eine richterliche Genehmigung durchgeführt, liegt der Straftatbestand der Freiheitsberaubung vor.
  • Pflegekräfte müssen jede Fixierung sorgfältig überwachen und dokumentieren.
  • Noch bis in die jüngste Vergangenheit waren Fixierungen mit Gurten oder mit Bettseitenteilen gängige Optionen bei der Betreuung von demenziell erkrankten Senioren. Insbesondere Stürze, selbstschädigendes Verhalten und Laufzwang sollten damit verhindert werden. In den letzten Jahren hat jedoch ein Umdenken eingesetzt. Die Nutzung von Gurten und von Bettgittern kann zu psychischen Belastungen der Bewohner führen. Derartige Zwangsmaßnahmen werden heute fast durchweg als verzichtbar angesehen. Richterliche Genehmigungen werden inzwischen nur zurückhaltend erteilt.
  • Obwohl die Anzahl der Fixierungen stark rückläufig ist, wird dieser Problematik in der öffentlichen Diskussion dennoch viel Bedeutung beigemessen. Gleich zwei Qualitätsindikatoren überwachen und bewerten die Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen. Interessenten für einen Heimplatz können also im Internet einsehen, ob die Einrichtung Fixierungen zurückhaltend einsetzt.
  • Maßgeblich bei der Ermittlung der Kennzahlen ist der Zeitraum von vier Wochen vor dem Erhebungstag. Diese Spanne ist ungewöhnlich kurz. Für die anderen Indikatoren, etwa bei Stürzen oder bei Druckgeschwüren, werden die vergangenen sechs Monate zugrunde gelegt.
  • Bei der Kennzahlenermittlung werden nur kognitiv beeinträchtigte Bewohner berücksichtigt. Basis ist die Wertung des BI-Moduls 2. Die Anwendung von Bettseitenteilen oder von Fixierungsgurten bei orientierten Senioren ist nicht Gegenstand der Indikatoren.
Was wird gemessen?
  • Die erste Kennzahl misst die Nutzung von Bettseitenteilen. Diese werden häufig mit der Absicht eingesetzt, einen Sturz aus dem Bett zu vermeiden. Tatsächlich erreichen Pflegekräfte damit häufig das Gegenteil. Insbesondere demenziell erkrankte Senioren überklettern das Bettgitter, bleiben dabei an den Gitterstäben hängen und ziehen sich erhebliche Verletzungen zu.
  • Pflegeheime müssen im Rahmen der Datenerhebung angeben, ob und wie häufig sie bei Bewohnern Bettseitenteile nutzen.
    • Relevant sind dabei nur durchgehende Seitenteile über die gesamte Bettlänge. Bei teilbaren Bettgittern ist es möglich, lediglich den Abschnitt am Kopfende hochzufahren. Der Bewohner kann sein Bett am Fußende verlassen. Er ist also in seiner Freizügigkeit nicht eingeschränkt.
    • Manche zweiteilige Bettseitenteile weisen in der Mitte eine Lücke auf, die aber zu schmal ist, als dass sich der Bewohner dort hindurch zwängen könnte. Solche Modelle gelten bei der Indikatorenberechnung als einteilige Bettseitenteile.
  • Die Anwendung von Fixierungsgurten wird durch einen weiteren Qualitätsindikator ausgewertet. Auch Gurtsysteme können genutzt werden, um einen Senioren am Verlassen des Betts zu hindern. Die Nutzungsoptionen gehen darüber aber hinaus. Durch zusätzliche Fixierungspunkte an den Armen und an den Beinen können Pflegekräfte zusätzlich selbst- und fremdschädigendes Verhalten unterbinden.
    • Erfasst werden alle Nutzungen von Gurten, also sowohl im Bett als auch im Rollstuhl.
    • Auch die Anwendung von Gurten, die der Bewohner selbst öffnen kann, wird mitgezählt.
    • Gurte als Transportsicherung, etwa auf einer Krankenliege, im Bus oder im PKW, haben keine Relevanz.
Was wird nicht gemessen?
  • Die Indikatoren bilden nur einen kleinen Teil des Problemfelds ab. Viele andere Formen der Freiheitseinschränkung finden keinen Eingang in die Indikatoren. Diese Maßnahmen könnten zukünftig alternativ genutzt werden, weil sie die Indikatoren nicht beeinträchtigen. Die Wahrscheinlichkeit für einen derartigen regelhaften Missbrauch scheint derzeit eher gering. Auch bei allen anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen (gleich welcher Art) sind natürlich stets eine richterliche Genehmigung und ggf. auch eine ärztliche Verschreibung notwendig.
    • Der gesamte Bereich der medikamentösen Fixierung bleibt bei der Kennzahlenermittlung unberücksichtigt. Ebenso wie Gurte eignen sich auch Sedativa dazu, um aggressives Verhalten oder Laufzwang einzudämmen. Es wäre fatal, wenn Beruhigungsmittel zukünftig alternativ zu Gurten genutzt werden. Benzodiazepine etwa haben ein enormes Suchtpotenzial.
    • Der Einsatz von Tischbrettern etwa an Rollstühlen ist ebenfalls nicht Gegenstand der Kennzahlenermittlung. Dabei eignen sich diese Tischplatten nicht nur als Ablagefläche etwa für Getränke, sondern auch als Erschwernis, um Senioren am Verlassen des Rollstuhls zu hindern. Es ist also denkbar, dass Pflegeheime auf Gurte an Rollstühlen verzichten, dafür aber Tischbretter nutzen. Tischbretter jedoch sind für diesen Zweck nicht konstruiert und auch nicht gut geeignet. Betroffene könnten versuchen, sich trotzdem aus dem Rollstuhl zu winden und sich dabei verletzen.
    • Das Gleiche gilt für andere Varianten von Freiheitseinschränkungen, also etwa für das Abschließen von Zimmertüren sowie für die Wegnahme von Bewegungshilfen (z. B. Rollstuhl oder Gehhilfen).
    • Die Frage, ob Fixierungen überhaupt vom Richter genehmigt wurden, ist für die Kennzahlen irrelevant. Dieses ist problematisch. Die allermeisten Richter ordnen Fixierungen nicht ungeprüft und grundlos an. Tatsächlich gibt es insbesondere im Bereich der Gerontopsychiatrie nicht wenige Betroffene, bei denen eine Fixierung nach sorgfältiger Risikoabwägung die beste und sicherste Option ist. Jetzt jedoch werden Pflegeheime über die Kennzahlen dafür bestraft, auch sinnvolle Fixierungen durchzuführen. Wäre es besser, wenn Pflegekräfte auf die Gurte verzichten und eine Fremd- oder Eigengefährdung billigend in Kauf nehmen?
    • Insgesamt verleitet das Indikatorensystem dazu, Fixierungen zwar bei Bedarf durchzuführen, dieses aber nicht zu dokumentieren. Das Risiko einer Entdeckung ist vergleichsweise gering. Der MDK wird seine Besuche i. d. R. zumeist einen Tag vorher ankündigen. Und auch bei überraschenden Visiten bleibt immer genug Zeit, um alle Fixierungen diskret zu beenden. Angehörige, die dem MDK Auskunft geben könnten, werden unter Hinweis auf die Prüfung freundlich aber bestimmt verabschiedet. Weitere Informationsquellen sind rar. Die mündliche Befragung von desorientierten Bewohnern durch den MDK macht zumeist wenig Sinn. Natürlich könnte sich noch ein Mitarbeiter im pflegefachlichen Gespräch verplappern. Aber wie wahrscheinlich ist das schon?
    • Fixierungsmaßnahmen bei orientierten Bewohnern müssen bei der Datenerhebung zwar angegeben werden, sie finden aber keinerlei Berücksichtigung bei der Indikatorenberechnung. Dieses wird damit begründet, dass mental gesunde Senioren selbst darüber entscheiden, ob Gurte oder Bettgitter genutzt werden. Das stimmt sicherlich. Häufig aber schleicht sich eine riskante Routine ein. Ein Beispiel: Ein orientierter Bewohner stimmt der Anwendung der Seitenteile zu. Er fühlt sich dann sicherer. Das Hochfahren der Bettgitter wird zum allabendlichen Ritual. Dann jedoch intensiviert sich eine demenzielle Erkrankung. Der Pflegebedürftige ist jetzt mental beeinträchtigt und folglich auch nicht mehr einwilligungsfähig. Das Gitter wird aber noch immer am Abend hochgefahren. Nunmehr jedoch ist der Qualitätsindikator beeinträchtigt.



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