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Standard "Stumpf- und Phantomschmerzen nach Amputationen"

Nach jahrelangem Kampf gegen die diabetische Gangrän oder gegen die arterielle Verschlusskrankheit lässt sich eine Amputation oftmals nicht mehr verhindern. Viele Betroffene erhoffen sich vor allem ein Ende der unerträglichen Dauerschmerzen. Und tauschen letztlich doch nur eine Form des Schmerzes gegen eine andere.


Standard "Stumpf- und Phantomschmerzen nach Amputationen"


Definition:

  • Verschiedene Gesundheitsstörungen können sich in einem Maß intensivieren, dass eine Amputation die einzige Möglichkeit ist, um das Leben des betroffenen Bewohners zu retten. Dazu zählen etwa Krebserkrankungen, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und Arteriosklerose. Aber auch schwere Verletzungen können der Auslöser für eine Amputation sein.
  • Bei einer Amputation werden neben Knochen, Sehnen und Muskeln auch wichtige Nervenbahnen durchtrennt. In der Folge leiten diese gekappten Nervenstränge teils heftige Schmerzempfindungen an das Gehirn weiter.
Stumpfschmerzen
  • Eine der dann auftretenden Schmerzformen ist der "Stumpfschmerz", ein zumeist permanent vorhandener Wundschmerz. Rund 60 Prozent aller Amputierten sind davon betroffen, wenn auch nur zeitweilig. Sobald die Wunde am Stumpf vollständig ausgeheilt ist, bildet sich in drei von vier Fällen auch der Schmerz zurück.
  • Als Auslöser für die Beschwerden am Amputationsstumpf kommen neben Durchblutungsstörungen, Narbenschmerzen und schlecht sitzenden Prothesen auch sog. Neurome in Betracht, also Nervenknäuelbildungen am Ende eines verletzten Nervs.
Phantomschmerzen
  • Darüber hinaus leiden rund 80 Prozent der Amputierten unter sog. "Phantomschmerzen". Diese scheinen aus dem inzwischen entfernten Körperteil zu kommen. Der Bewohner hat also beispielsweise trotz eines amputierten Unterschenkels Schmerzen in der Ferse.
  • Zumeist haben die Schmerzzustände einen intermittierenden und anfallsartigen Charakter. Die Attacken dauern bei der Hälfte der Betroffenen lediglich wenige Minuten. Bei einem weiteren Viertel halten die Beschwerden einige Stunden an. Und nur beim restlichen Viertel sind die Schmerzen dauerhafter Natur.
  • Das Schmerzmaximum liegt zumeist in den Abend- und Nachtstunden.
  • In der Mehrzahl der Fälle sind die Phantomschmerzen von nur geringer bis mittlerer Intensität. Nur fünf bis zehn Prozent der Amputierten leiden unter schwersten Schmerzen.
  • Oftmals gleichen die Phantomschmerzen den Beschwerden, die schon vor der Amputation auftraten, also etwa bei einem Tumor, bei einer Ischämie (Minderdurchblutung) oder bei einer Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung).
  • Die Missempfindungen müssen nicht zwangsläufig Schmerzen sein. Häufig kommt es zu milderen “Phantomempfindungen”. Viele Betroffene beschreiben dann ein Brennen, ein Kribbeln oder ein Jucken. Andere Amputierte berichten von Kälte- oder Wärmeempfindungen. Mitunter spüren sie auch, dass die amputierte Extremität Bewegungen ausführt.
  • Die Phantomschmerzen können unmittelbar nach der Amputation auftreten oder erst mehrere Wochen oder Monate nach dem Eingriff.
Therapie
  • Die Unterscheidung beider Schmerzformen ist in der Praxis schwierig, da beide Varianten gleichzeitig auftreten können und sich wechselseitig beeinflussen.
  • Viele Ansätze zur Linderung von Stumpf- und Phantomschmerzen sind wissenschaftlich nur unzureichend erforscht. Daher basiert die Therapie letztlich auf dem "Versuch-und-Irrtum-Prinzip".
  • Ein wichtiger Faktor bei der Schmerzentstehung ist die emotionale Situation. Der Verlust einer Gliedmaße erschüttert das Körperbild und das Selbstvertrauen des Betroffenen. In der Folge entwickeln sich häufig depressive Stimmungseintrübungen, die dann wiederum das Schmerzempfinden intensivieren.

Grundsätze:

  • Auch ein Phantomschmerz ist real und muss therapiert werden, wenn er die Lebensqualität mindert.
  • Eine rein medikamentöse Therapie ist zumeist nicht sinnvoll. Erfolgversprechender ist eine Kombination aus Medikamenten, Psychotherapie und Physiotherapie. Hier kann ggf. mit einer Schmerzklinik / Schmerzambulanz zusammengearbeitet werden.
  • Eine gute Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und dem Arzt entscheidet über den Therapieerfolg. Dieses insbesondere, wenn der Bewohner unter einer Demenz leidet und nicht mehr sinnvoll mit dem Arzt kommunizieren kann. Es liegt dann an uns, den Bewohner intensiv zu beobachten, um die Schmerzintensität und somit die Effektivität der Therapiemaßnahmen zu beurteilen.
  • Amputationspatienten haben oft einen langen Leidensweg hinter sich mit vielen erfolglosen Therapie- und Rehabilitationsmaßnahmen. Entsprechend gering ist dann die Bereitschaft, auf Vorschlag von Pflegekräften neue Optionen zur Schmerzlinderung auszuprobieren.
  • Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapieform liegt einzig beim Bewohner bzw. bei dessen Betreuer.

Ziele:

  • Wir finden die Ursache für den Schmerz. Wundheilungsstörungen werden zeitnah therapiert.
  • Die Schmerzbelastung wird auf ein möglichst geringes Niveau gesenkt. Insbesondere bleibt die Lebensqualität des Bewohners erhalten.

Vorbereitung:

Informationssammlung

  • Bei der Heimaufnahme erheben wir alle relevanten Daten zur Amputation; also etwa den Zeitpunkt und den Grund der Amputation. Wichtig ist auch, ob Nachamputationen erforderlich waren.
  • Viele Betroffene haben im Laufe der Jahre eigene Strategien entwickelt, um die Schmerzen zu kontrollieren. Diese Techniken sollten auch weiterhin angewendet werden. Falls sich der Bewohner nicht mehr klar äußern kann, befragen wir dazu ggf. auch Angehörige.
  • Die Schmerzbelastung wird immer wieder erfasst. Grundlage dafür ist der Standard "Schmerzanamnese". Wir protokollieren damit den zeitlichen Verlauf der Beschwerden über mehrere Wochen hinweg.
  • Wir prüfen, ob der Bewohner eigenmächtig Schmerzmittel beschafft und einnimmt. Viele Amputierte konsumieren alternativ Cannabis, um die Beschwerden zu lindern.

Schmerzprophylaxe

  • Wir prüfen, ob der Bewohner (abgesehen von der Amputationswunde) unter anderen Krankheitsbildern leidet, die mit Schmerzen verbunden sind. Beispiel: Das Kniegelenk des Bewohners oberhalb der Amputation ist von Arthrose betroffen. Diese Schmerzen sollten konsequent therapiert werden, da sie Phantomschmerzen auslösen können.
  • Wir prüfen, ob die Prothese passt; also insbesondere, ob sich der Auflagedruck optimal verteilt. Im Lauf der Zeit kann sich die Stumpfform verändern. Durch Materialalterung verformt sich ggf. auch die Prothese. Falls notwendig veranlassen wir eine Korrektur bzw. Anpassung der Prothese.
  • Bei Schmerzen kann es auch möglich sein, dass die Statik der Prothese nicht mehr zum derzeitigen Gangbild des Bewohners passt. Der Orthopädietechniker prüft, ob die Prothese neu eingestellt werden muss.
  • Die Verwendung einer myoelektrischen Prothese lindert oftmals die Beschwerden, während die Nutzung einer funktionslosen Schmuckprothese diesen Effekt i. d. R. nicht zeigt.
  • Wir intensivieren die Sturzprophylaxe. Dieses auch, um Stöße auf den Stumpf zu verhindern. Schon kleine Traumata an einem eigentlich abgeheilten Stumpf können zu erneuten chronifizierten Schmerzzuständen führen.
  • Wir stellen sicher, dass ein sich entwickelnder Diabetes mellitus schnell erkannt und angemessen therapiert wird. Dauerhafte Fehleinstellungen des Blutzuckerspiegels können Amputationsschmerzen auslösen, auch wenn der Eingriff bereits Jahre zurückliegt.
  • Wir achten auf den korrekten Sitz des Wundverbands. Eine zu enge Bandagierung kann Schmerzen auslösen. Der Pflegestandard "Wickeln eines Stumpfes" wird korrekt befolgt.
  • Wir berücksichtigen, dass Schmerzen durch Miktion oder durch Defäkation ausgelöst werden können; dieses insbesondere, wenn untere Extremitäten amputiert wurden.
  • Langeweile intensiviert die Schmerzbelastung. Wir fördern daher Ablenkung etwa durch Hobbys oder durch andere Freizeitangebote in unserer Einrichtung.
  • Emotionale Reize sowie Erinnerungen an das Kriegs- oder Unfallgeschehen (sog. “Flash Backs”) können ebenfalls Schmerzzustände auslösen. Auch Angst sowie Stress wirken intensivierend. Dieses ist insbesondere bei Demenzpatienten relevant, denen die emotionale Kontrolle zunehmend entgleitet.
  • Viele Betroffene berichten, dass Wetterwechsel Schmerzen verursachen.
  • Wenn der Bewohner unter Infektionen leidet, kann dieses auch die Schmerzbelastung intensivieren; etwa bei Herpes Zoster.

Durchführung:

Inspektion des schmerzenden Stumpfes

  • Wenn der Bewohner über ungewöhnliche Schmerzempfindungen klagt, wird der Stumpf von der Pflegekraft inspiziert. Wir suchen etwa nach Druckstellen durch die Prothese. Ggf. ist es sinnvoll, einen Verbandswechsel vorzuziehen und eine Wundkontrolle durchzuführen.
  • Relevant sind Verfärbungen der Haut. Hautentzündungen sowie Entzündungen des Knochenmarks oder der Knochenhaut können die Symptomatik auslösen.
  • Die Pflegekraft prüft die Temperatur des Stumpfs. Sie legt eine Hand erst auf den Stumpf und dann auf das intakte Bein bzw. auf den intakten Arm. Beide Seiten müssen gleich warm sein; ansonsten liegt ggf. eine Durchblutungsstörung vor. Im Bereich von Amputationsstümpfen bilden sich überdies häufig Ödeme.
  • Tritt der Schmerz nach einer schmerzfreien Zeitspanne erneut auf, lassen wir stets ärztlich untersuchen, ob andere Erkrankungen zugrunde liegen; etwa ein Bandscheibenvorfall, der in die betroffene Extremität ausstrahlt. Wenn der Bewohner die Extremität z. B. als Folge eines Tumors verloren hat, sind erneut auftretende Wundschmerzen ein Alarmsignal. Es könnte ein Tumorrezidiv oder eine Metastasierung vorliegen.

Maßnahmen zur Schmerzredution

  • Wir nutzen TENS, also die transkutane elektrische Nervenstimulation.
  • Sofern der Bewohner darauf anspricht, erhält er Akupunktur.
  • Wir prüfen, ob lokale Kältebehandlungen oder Wechselbäder die Beschwerden lindern.
  • Bei lang anhaltenden Phantomschmerzen prüfen wir die Notwendigkeit einer begleitenden psychologischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung. Bei religiösen Bewohnern ist ggf. eine seelsorgerische Betreuung sinnvoll.
  • Wir prüfen, ob die Schmerzintensität durch eine Aromatherapie oder durch Massagen beeinflusst werden kann.
  • Wir schlagen dem Bewohner vor, Entspannungstechniken nach Jacobsen zu nutzen. Alternativ bieten wir Ablenkungsverfahren ("Imagination") oder Biofeedback an. Bei einigen Betroffenen lindert auch Hypnose die Beschwerden.
  • Insbesondere bei der Amputation eines Beins nutzen wir nach Absprache mit der Ergotherapeutin die Spiegeltherapie (per "Spiegelbox"). Damit entsteht die Illusion, dass die amputierte Extremität noch vorhanden wäre. Bei einigen Betroffenen lindert das Betrachten des gespiegelten Körperteils das Schmerzgeschehen.
  • Bei der Therapie von Phantomschmerzen sollte nicht zu lange gewartet werden. Nach Ausschöpfung aller nichtmedikamentösen Maßnahmen sollte zeitnah eine medikamentöse Schmerzlinderung erfolgen. Dem Bewohner werden damit unnötige Qualen erspart. Zudem verhindern wir damit, dass sich ein gestörtes Schmerzgedächtnis und somit eine chronische Verlaufsform entwickeln.
  • Zu den üblichen Schmerztherapien zählen Opiate wie etwa Morphine. Frei verkäufliche Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol zeigen bei Phantomschmerzen zumeist keine hinreichende Wirkung. Um die Schmerzsituation zu stabilisieren, ist eine kontinuierliche Gabe von Schmerzmitteln notwendig. Die Pflegekraft darf mit der Applikation nicht warten, bis die Wirkung des Analgetikums nachlässt und der Schmerz wieder einsetzt.
  • Ggf. kombiniert der behandelnde Arzt die Schmerzmittel mit Antidepressiva. Damit wird die Reizschwelle der Nervenzellen für Schmerzsignale angehoben und die Empfindung des Schmerzes gedämpft.
  • Bleibt die medikamentöse Therapie erfolglos, raten wir dem Bewohner dazu, sich ggf. einem operativen Eingriff zu unterziehen, bei dem die entsprechenden Schmerzeintrittszonen im Rückenmark elektrisch inaktiviert werden. (“Spinal Cord Stimulation”)

Nachbereitung:

  • Wir dokumentieren alle Maßnahmen sorgfältig.
  • Jede Beobachtung, die auf eine Wundheilungsstörung oder auf eine andere relevante Beeinträchtigung schließen lässt, wird dem Arzt zeitnah mitgeteilt.
  • Wir überwachen die Wirksamkeit jeder Maßnahme über einen längeren Zeitraum. Ist sie erfolgreich, wird sie in die Pflege- und Maßnahmenplanung übernommen.
  • Wir diskutieren den Zustand des Bewohners und die aktuelle Therapie regelmäßig in Fallbesprechungen.
  • Wenn die Therapie durch den Hausarzt über eine längere Zeitspanne erfolglos bleibt, sollte die Überweisung an einen Facharzt (Schmerztherapeuten) erwogen werden.
  • Eine erfolgreiche Schmerztherapie kann auch mit Risiken verbunden sein. Nicht wenige unvermittelt schmerzfreie Amputierte “vergessen” plötzlich das Fehlen einer Gliedmaße. Sie möchten etwa mit einem nicht mehr existenten Bein aus dem Bett steigen und stürzen.

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • Durchführungsnachweis / Leistungsnachweis
  • Wunddokumentation
  • ärztliches Verordnungsblatt
  • Pflege- und Maßnahmenplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Pflegekräfte



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