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Standard
"Pflege von Senioren
mit Fibromyalgiesyndrom"
In
den meisten Fällen dauert es fünf bis zehn Jahre, bis ein
Fibromyalgiesyndrom überhaupt richtig diagnostiziert wird. Und auch
danach vergeht viel Zeit, bis Patienten eine halbwegs wirksame Therapie
erhalten. Für betagte Senioren sind die Aussichten auf eine Heilung zu
Lebzeiten entsprechend ernüchternd.
Standard
"Pflege von Senioren mit Fibromyalgiesyndrom"
Definition:
-
Das Fibromyalgiesyndrom
(abgekürzt "FMS") ist mit länger anhaltenden Schmerzen insbesondere in
den Muskeln, in den Sehnen und in den Gelenken verbunden. Hinzu kommen
oftmals vegetative sowie funktionelle Beschwerden.
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Die Beschwerden sind häufig
bei speziellen Körperbereichen (sog. "Tenderpunkte") besonders
intensiv. Diese liegen häufig im Bereich großer Knochen, der Muskulatur
und des Bindegewebes; hier insbesondere bei Sehnenansätzen und bei
gelenksnahen Gewebestrukturen. Die Gelenke selbst sind zumeist nicht
betroffen.
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Zwei Millionen Menschen in
Deutschland leiden unter dem Fibromyalgiesyndrom. Frauen sind deutlich
häufiger betroffen als Männer (Verhältnis 7:1). Der Altersgipfel liegt
bei etwa 40 bis 50 Jahren.
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Bislang ist es nicht
gelungen, die Auslöser des Fibromyalgiesyndroms eindeutig zu bestimmen.
Offenbar handelt es sich um ein multifaktoriell bedingtes
Krankheitsbild, das von körperlichen, psychischen und sozialen
Kriterien beeinflusst wird.
-
Krisensituationen,
Wettereinflüsse, familiäre Konflikte und hormonelle Umstellungen
scheinen das Auftreten der Erkrankung zu fördern. Positive Erlebnisse
hingegen, etwa Besuch der Familie oder die Teilnahme an unserem
Beschäftigungsprogramm, können die Belastung zeitweise lindern.
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Viele Betroffene haben einen
langen Weg durch das Gesundheitssystem zurückgelegt. Sie wurden von
verschiedenen Ärzten erfolglos behandelt und haben nicht selten
widersprüchliche Diagnosen erhalten. Im zurückliegenden Berufsleben
sahen sich überdies viele Betroffene dem Vorwurf ausgesetzt, wehleidig
zu sein oder zu simulieren, um sich den Pflichten zu entziehen.
Grundsätze:
-
Das Fibromyalgiesyndrom ist
eine reale Erkrankung. Betroffene sind keine Simulanten. Sie sind auch
nicht "überempfindlich" oder "verweichlicht".
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Die Einordnung des
Fibromyalgiesyndroms als rein psychische Erkrankung wird dem
multifaktoriellen Entstehungsprozess nicht gerecht.
Ziele:
-
Ein Fibromyalgiesyndrom wird
möglichst schnell erkannt.
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Der Zeitverlust bei der
Suche nach einer individuell effektiven Therapie wird auf ein Minimum
reduziert.
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Der Bewohner spürt, dass wir
ihn ernst nehmen und seine Beschwerden nicht bagatellisieren.
-
Wir erreichen eine
vollständige Beschwerdefreiheit. Ist dieses nicht realistisch, so
stehen eine weitgehende Schmerzfreiheit und die Erhaltung der
Lebensqualität im Fokus.
Vorbereitung:
Symptome
Wir
achten auf Hinweise und auf Symptome, die für ein Fibromyalgiesyndrom
sprechen:
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Der Bewohner klagt über
großflächige Muskel- und Gelenkschmerzen, die über mehrere
Körperregionen verteilt sind und mindestens drei Monate anhalten.
-
Die Beschwerden treten
zunächst lokal begrenzt auf. Mit dem weiteren Fortschreiten der
Erkrankung ist letztlich der gesamte Bewegungsapparat betroffen.
-
Wir achten auf Aussagen wie
etwa:
-
"Mit tut alles weh!" oder
"Ich habe Migräne am ganzen Körper!".
-
"Das ist wie ein heftiger
Muskelkater."
-
"Es fühlt sich an wie ein
sehr schwerer Mantel, der auf meinen Körper drückt."
-
Zusätzlich tritt oft ein
Schwellungs- und Steifheitsgefühl auf, etwa im Gesicht, an den Händen
und an den Füßen.
-
Der Betroffene berichtet
über vegetative und über funktionelle Beschwerden, also etwa kalte
Finger, Zittern und Zuckungen der Extremitäten, Mundtrockenheit,
vermehrtes Schwitzen, Fingerkribbeln sowie andere Parästhesien. Hinzu
kommen Müdigkeit, Schlafstörungen und Abgeschlagenheit. Überdies treten
häufig Atem- und Herzbeschwerden sowie Tinnitus (Ohrgeräusche) auf.
-
Oftmals sind auch der
Magen-Darm-Trakt (Durchfall, Verstopfung und geblähter Bauch) sowie die
Blase (Reizblase und Neigung zu Blasenentzündungen) betroffen.
-
Der Bewohner leidet unter
depressiven Verstimmungen.
-
Organisch-pathologische
Veränderungen treten nicht auf.
-
Der Betroffene berichtet,
dass nahe Verwandte ebenfalls unter dieser Symptomatik leiden.
Hinweis: Die o. g. Symptome treten
zumeist nicht gleichzeitig auf. Ohne nachvollziehbare Ursachen können
im Krankheitsverlauf neue Beschwerden hinzukommen und andere sich
zurückbilden.
Bild: Position der 18 Tenderpoints
Durchführung:
Diagnose
-
Bei hinreichenden
Beobachtungen legen wir dem Bewohner nahe, seinen Hausarzt aufzusuchen.
Wir stellen sicher, dass der Arzt über alle relevanten Informationen
verfügt. Insbesondere demenziell erkrankte Senioren sollten von einer
Pflegekraft begleitet werden, die dem Mediziner genau die Beobachtungen
beschreiben kann.
(Hinweis: Nach Ansicht einiger
Mediziner gibt es gar kein Fibromyalgiesyndrom. Oder sie vertreten die
Ansicht, dass es sich um eine rein psychische Störung handelt. Solche
Ärzte sind für die Behandlung der betroffenen Senioren ungeeignet. Wir
empfehlen dem Bewohner dringend, den Hausarzt zu wechseln. Ohnehin ist
es in vielen Fällen sinnvoll, einen auf das Krankheitsbild
spezialisierten Facharzt zu konsultieren, etwa einen Rheumatologen.)
-
Die Diagnose eines
Fibromyalgiesyndroms erfolgt letztlich im Ausschlussverfahren. Mittels
Blutuntersuchungen, bildgebenden Verfahren und weiteren diagnostischen
Techniken werden andere Erkrankungen ausgeschlossen, bis letztlich nur
noch ein Fibromyalgiesyndrom als Auslöser für die Beschwerden in
Betracht kommt. Krankheiten mit einer ähnlichen Symptomatik sind etwa
eine Schilddrüsenunterfunktion, bakterielle oder virale Infektionen
sowie entzündliche oder degenerative Formen von Rheuma wie etwa
Arthritis oder Arthrose. Nicht selten vergehen allerdings fünf bis zehn
Jahre, bis die Diagnose sichergestellt werden kann, weil weder die
bildgebenden noch die labortechnischen Verfahren eindeutige Ergebnisse
liefern.
-
Belastbare Hinweise auf die
Erkrankung bringt die Überprüfung der 18 "Tenderpoints". Wenn
mindestens elf von ihnen schmerzempfindlich bei Druck sind, ist die
Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Fibromyalgiesyndroms erhöht.
pflegerische
Maßnahmen
-
Der Bewohner wird im Rahmen
seiner Fähigkeiten körperlich aktiviert. Ideal sind Nordic Walking,
Wandern, Schwimmen und Aqua-Jogging. Angesichts der Schmerzbelastung
sind jedoch viele Bewohner nur schwer zu mehr körperlicher Aktivität zu
bewegen. Es liegt an den Pflegekräften, hier motivierend einzugreifen
und den Bewohner vom langfristigen Nutzen zu überzeugen.
-
Der Bewohner soll seinen
Hobbys weiterhin nachgehen und soziale Kontakte pflegen. Wir
verdeutlichen dem Bewohner, dass Ablenkung die Schmerzbelastung
effektiv senken kann.
-
Der Bewohner soll ein
Schmerztagebuch führen. Er vermerkt dort die Schmerzintensität sowie
alle Faktoren, die einen positiven oder negativen Einfluss auf die
Beschwerden haben.
-
Wir machen den Bewohner mit
Entspannungstechniken vertraut. Dazu zählen etwa die Muskelentspannung
nach Jacobson, autogenes Training oder Yoga. In der Altersgruppe der
Senioren ist häufig in Bezug auf derartige alternative Therapieformen
mit Skepsis zu rechnen. Wir machen den Bewohner dann darauf aufmerksam,
dass Studien einen schmerzlindernden Effekt etwa von Yoga nachgewiesen
haben.
-
Insbesondere muss die
Pflegekraft den für diese Erkrankung typischen Teufelskreis
durchbrechen: Wegen der Schmerzen schränkt der Bewohner sein
Bewegungspensum ein, zieht sich sozial zurück und zeigt depressives
Verhalten. All diese Faktoren intensivieren ihrerseits die Symptomatik
des Fibromyalgiesyndroms.
-
Der Bewohner erhält
bevorzugt eine mediterrane Vollwertkost mit einem hohen Anteil an Obst,
Gemüse und mehrfach ungesättigten Fettsäuren.
medikamentöse
Therapie
-
Es gibt keine Medikamente,
die speziell für die Therapie des Fibromyalgiesyndroms zugelassen sind.
Aus Mangel an Alternativen behelfen sich Ärzte mit Wirkstoffen, die
eigentlich für andere Erkrankungen entwickelt wurden (sog.
"Off-Label-Nutzung"). Eine Therapie mit Analgetika zeigt häufig keine
hinreichende Wirkung. Daher erfolgt eine Behandlung schwerpunktmäßig
mit Antidepressiva oder mit Antiepileptika.
-
Wir stellen sicher, dass der
Bewohner die ärztlich verschriebenen Medikamente regelmäßig und
zuverlässig einnimmt. Falls der Betroffene mit der Applikation
überfordert ist, wird er von den Pflegekräften entsprechend angeleitet
und unterstützt.
-
Unverzichtbar ist eine
sorgfältige Dokumentation der auftretenden Nebenwirkungen.
-
Auf die Anwendung von
nichtsteroidalen Antirheumatika und von Opioiden sollte verzichtet
werden. Auch Massagen sind zumeist nicht sinnvoll.
-
Gemeinsam mit dem
behandelnden Arzt prüfen wir, ob physikalische Maßnahmen wie
Krankengymnastik, Bewegungsbäder, Massagen, Kälte- und Wärmeanwendungen
oder gezielte Injektionen von Lokalanästhetika in die betroffenen
Druckpunkte sinnvoll sind.
-
Sofern keine konventionelle
Therapie einen hinreichenden Effekt zeigt, prüfen wir, ob alternative
Behandlungsansätze sinnvoll sind. So kann etwa der Konsum von
therapeutischem Cannabis in Einzelfällen eine erhebliche Linderung
bringen.
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Eine begleitende
Psychotherapie kann ebenfalls sinnvoll sein, um die langjährig
entstandene Spirale des negativen Denkens zu durchbrechen.
Nachbereitung:
weitere
Maßnahmen
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Gemeinsam mit dem Bewohner
und mit dem behandelnden Arzt werten wir das Schmerztagebuch regelmäßig
aus. Wir prüfen, ob wir individuelle Faktoren ermitteln können, die
mitursächlich für die Beschwerden sind. Basierend darauf wird die
Pflegeplanung / Maßnahmenplanung angepasst.
Prognose
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Das Fibromyalgiesyndrom ist
eine chronisch verlaufende Erkrankung. Die meisten Betroffenen leiden
über Jahre hinweg unter Schmerzen, deren Stärke und Dauer periodisch
wechseln können.
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Im Unterschied zum
"klassischen" Rheuma treten keine Gelenkversteifungen und keine
Deformationen an Wirbeln, Knochen oder Gelenken auf.
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Ab dem 60. Lebensjahr
klingen die Beschwerden bei der Hälfte der Betroffenen ganz oder
zumindest teilweise ab.
-
Betroffene haben die gleiche
Lebenserwartung wie andere, die nicht unter dieser Erkrankung leiden.
Dokumente:
-
Pflegeplanung /
Maßnahmenplanung
-
Pflegebericht
-
ärztliches Verordnungsblatt
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
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