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Standard "Pflege von Bewohnern mit gesteigerter Gewaltneigung" (stationäre Pflege)

Die Versorgung von Senioren mit Korsakow-Syndrom, mit Schizophrenie oder mit Rauschmittelsucht ist nervenaufreibend, aufwendig und vor allem nicht ohne Risiko. Dass viele Betroffene dennoch in regulären Seniorenheimen versorgt werden, hat einen einfachen Grund: Die Plätze in psychiatrischen Fachkliniken sind knapp und teuer.


Standard "Pflege von Bewohnern mit gesteigerter Gewaltneigung" (stationäre Pflege)


Definition:

  • Aggressivität und Gewalt sind tief im menschlichen Verhalten verwurzelt, da sie über viele Generationen hinweg das Überleben und die Nahrungsversorgung sicherten. Mit dem gesellschaftlichen Fortschritt und mit der Entwicklung der Zivilisation wurde aggressives Verhalten zunehmend aus dem Alltag verbannt oder in andere Bahnen (wie etwa Sport) gelenkt. Ein mental gesunder Mensch wendet daher im sozialen Umgang keine Gewalt an.
  • Verschiedene Krankheitsbilder können dazu führen, dass ein Betroffener einen Kontrollverlust erleidet. Er zeigt dann Aggressionen gegen sich selbst, gegen Pflegekräfte oder gegen Mitbewohner. Betroffen sind z. B. Bewohner mit einer Manie, mit wahnhaften Erkrankungen sowie mit Alkohol- bzw. mit Drogensucht.
  • Die Einstellung zur Gewalt ist abhängig von der individuellen Sozialisation. Je nach sozialer oder kultureller Gruppenzugehörigkeit kann etwa der Schlag mit der flachen Hand auf das Gesäß ein "freundschaftlicher Klaps" oder eben Körperverletzung sein. Die Akzeptanz von aggressivem Verhalten unterliegt auch zeitlichen Veränderungen. In der Schulzeit unserer Bewohner waren Schläge durch den Lehrer an der Tagesordnung. Dazu kommen oftmals Kriegserlebnisse. All dieses ist für die meisten Pflegekräfte unvorstellbar.
  • Aggressives Verhalten kann für den Bewohner auch strafrechtliche Folgen haben, insbesondere bei einer begangenen Körperverletzung. Mildernde Umstände werden berücksichtigt, wenn das Einsichtsvermögen etwa aufgrund einer demenziellen Erkrankung beschränkt ist. Bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien gelten Täter als schuldunfähig.
  • Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Angestellten vor Übergriffen zu schützen.
(Hinweis: Dieser Standard richtet sich an Einrichtungen, deren Schwerpunkt in der Betreuung gerontopsychiatrischer Senioren liegt, die also etwa eine beschützende Station betreiben. Für reguläre Alten- und Pflegeheime ohne verhaltensauffällige Bewohner greift dieser Standard zu weit und sollte deutlich "entschärft" werden.)

Grundsätze:

  • Die allermeisten gewalttätigen Bewohner sind nicht "von Grund auf" aggressiv. Fast immer gibt es für deren Handeln einen Grund oder einen Auslöser.
  • Auch eine Einrichtung von demenziell erkrankten Senioren ist kein rechtsfreier Raum. Wir wollen und dürfen daher Gewalt niemals tolerieren. Gewaltvermeidung hat dabei stets oberste Priorität.
  • Auch Bewohner mit Gewaltverhalten sind wertvolle Mitglieder unserer Hausgemeinschaft. Sie sind aber auch eine potenzielle Gefahr für sich selbst und für andere. Daher ist ein permanentes Maß an Vorsicht unverzichtbar.
  • Bei aggressivem Verhalten eines Bewohners gilt "Sicherheit geht vor". Das bedeutet: Bei allen Maßnahmen haben Pflegekräfte auch an die körperliche Unversehrtheit von unbeteiligten Mitbewohnern sowie an die eigene Gesundheit zu denken.
  • Unsere Mitarbeiter haben ein Recht darauf, ihre Arbeit ohne Angst vor Gewalt zu leisten.
  • Gewalt ist kein Tabuthema. Wir sprechen dieses Problem offen an und verheimlichen es nicht. Im Gespräch klären wir, ob der Klient Zugang zu Schuss- oder Stichwaffen hat und sorgen für deren Entfernung.
  • Wir arbeiten eng mit Hausärzten und mit Selbsthilfegruppen zusammen.
  • Wir halten es für notwendig, Aggressivität ganzheitlich zu behandeln. Medikamente sind dabei nur eine Säule. Ebenso wichtig sind therapeutische Gespräche, sozialpsychiatrische Betreuung und Beschäftigungstherapie.
  • Körperlicher Zwang und Fixierungen sind immer als allerletztes Mittel zu wählen und keinesfalls zu disziplinarischen Zwecken.
  • Unsere Möglichkeiten zur Betreuung von aggressiven Bewohnern sind begrenzt. Wenn unsere Mittel nicht reichen, prüfen wir eine Überstellung des Bewohners an eine Fachklinik. Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn der Kranke eine latente Gefahr für andere Bewohner oder für Mitarbeiter unserer Einrichtung darstellt.

Ziele:

  • Der Bewohner, seine Mitbewohner und die Pflegekräfte bleiben unversehrt.
  • In unserer Einrichtung herrscht ein angstfreies Klima.
  • Wir schaffen ein Umfeld, das der Bewohner als angenehm empfindet und das etwaige aggressive Impulse dämpft.
  • Wir gestalten die Versorgung des Bewohners so, dass Auslöser für aggressives Verhalten vermieden werden.
  • Der Bewohner ist in der Lage, seine aggressiven Impulse zu kontrollieren. Er verzichtet auf jede Form der Gewalt.
  • Der Bewohner erkennt, dass er seinen Mitmenschen seelischen oder gar körperlichen Schaden zufügt.

Vorbereitung:

Personalorganisation

  • Der Umgang mit aggressiven Bewohnern wird in Rollenspielen geübt. Insbesondere erwarten wir, dass erfahrene Pflegekräfte ihr Wissen an jüngere Kollegen weitergeben. Neue Mitarbeiter werden im Rahmen der Einarbeitung in die bei uns üblichen Abläufe eingewiesen.
  • Aggressive Bewohner erhalten eine geschulte und erfahrene Bezugspflegekraft, die dauerhaft für den Senioren zuständig bleibt. Bei der Zuteilung ist darauf zu achten, dass kein Mitarbeiter unangemessen viele verhaltensauffällige Bewohner als Bezugspflegekraft betreut.
(Hinweis: Sofern männliches Personal - mit einer entsprechenden physischen Präsenz - verfügbar ist, kann dieses bevorzugt bei Bewohnern mit hohem Aggressionspotenzial einsetzt werden.)
  • Nach Möglichkeit werden keine Praktikanten, ehrenamtliche Mitarbeiter oder Pflegeschüler mit der Versorgung von aggressiven Senioren betraut.
  • Ärzte, Therapeuten und andere externe Partner werden gewarnt, wenn sie erstmals auf einen Bewohner treffen, der häufig aggressives Verhalten zeigt.
  • Falls ein oder mehrere Bewohner potenziell gewalttätig sind, wird das Team auf Zwischenfälle vorbereitet. Wir halten daher ein funkgesteuertes Notrufsystem bereit. Jede Pflegekraft, die einen aggressiven Senioren versorgt, verfügt über einen mobilen Notrufknopf. (Hinweis: Diesen Punkt ggf. streichen.)
  • In einem Wohnbereich, in dem aggressive Bewohner leben, sollten stets zwei Nachtwachen eingesetzt werden. Zudem sollten Nachtwachen ein Mobiltelefon bei sich tragen.

Individuelle Risikoeinschätzung

  • Anhand der uns vorliegenden biografischen Informationen wägen wir ab, wie wahrscheinlich bei jedem Bewohner das Auftreten von aggressivem Verhalten ist. Diese Einschätzung erfolgt erstmals im Rahmen der Heimaufnahme. Ein gesteigertes Risiko nehmen wir bei folgenden Faktoren an:
    • Der Bewohner war in der Vergangenheit alkoholabhängig.
    • Der Bewohner nahm in seinem Leben Drogen ein, insbesondere Kokain, Amphetamine oder Crack.
    • Der Bewohner hat in seinem Leben Gewaltverbrechen begangen.
    • Der Bewohner ist demenziell erkrankt.
    • Es liegen psychische Erkrankungen vor, etwa Schizophrenie.
  • In den ersten Tagen nach dem Heimeinzug ist das Risiko von aggressivem Verhalten am größten. Wenn sich der Bewohner erst einmal eingelebt hat, sinkt die Wahrscheinlichkeit stetig. Sie steigt erst wieder, wenn aufgrund einer demenziellen Erkrankung die Fähigkeit zur Selbstkontrolle nachlässt. Auch das Fortschreiten anderer Grunderkrankungen kann so frustrierend sein, dass der Bewohner mit Aggressionen reagiert.
  • Wir befragen die Angehörigen nach "Reizthemen", die den Bewohner emotional belasten könnten. Diese werden in der Pflegeplanung (oder in der Maßnahmenplanung) vermerkt. Dabei handelt es sich häufig um familiäre Konflikte.
  • Das Verhalten des Bewohners wird in Fallbesprechungen sorgfältig thematisiert. Wichtig sind insbesondere folgende Kriterien:
    • Wir suchen nach Faktoren, die das aggressive Verhalten fördern oder hemmen.
    • Wir bestimmen Frühwarnzeichen (etwa Mimik oder Gestik), die auf ein baldiges aggressives Verhalten hindeuten.
    • Wir prüfen, ob es "bevorzugte" Tageszeiten für aggressives Verhalten gibt.
    • Wir suchen nach Ablenkungsstrategien, die den Bewohner auf "andere Gedanken" bringen.
  • Die Maßnahmen innerhalb des Pflegeteams werden genau abgesprochen. Es ist wichtig, dass alle Pflegekräfte einheitlich handeln. Jeder Mitarbeiter muss wissen, welche Verhaltensweisen eines Bewohners toleriert werden und welche nicht.

Weitere Organisation

  • Wir beachten, dass der optische Zustand einer Einrichtung Einfluss auf Aggressionen haben kann. In einer gut gepflegten Einrichtung sind weniger Zwischenfälle zu erwarten als in einer heruntergekommenen Umgebung.
  • Wir verfügen in unserer Einrichtung über einen Heimbeirat, mit dem wir eng zusammenarbeiten.
(Teilhabe an den Entscheidungsprozessen innerhalb der Einrichtung mindert oftmals das Gefühl des Ausgeliefertseins und somit das Aggressionspotenzial.)
  • Wir kontrollieren regelmäßig, ob die verordneten Medikamente aggressionssteigernde Nebenwirkungen haben.
  • In den ersten Tagen nach dem Umzug nehmen wir uns besonders viel Zeit, um mit dem neuen Bewohner zu sprechen. Dieser wird ermuntert, sich an unserem Freizeitprogramm zu beteiligen.
  • Wir machen den Bewohner frühzeitig mit den Hausregeln vertraut; also insbesondere hinsichtlich der zwischenmenschlichen Kommunikation und dem Verzicht auf jede Form von Gewalt. Dieses ist insbesondere bei Menschen wichtig, die aufgrund ihrer Biografie oder wegen hirnorganischer Veränderungen auf ein klares Regelwerk angewiesen sind.
  • Wir vereinbaren (falls möglich) mit dem Bewohner, dass er von sich aus anzeigt, wenn er in sich das Ansteigen von Aggressionen bemerkt und mehr Freiraum benötigt.
  • Wir achten auf ein gutes Arbeitsklima. Spannungen unter den Pflegekräften und insbesondere ein rauer Umgangston können sich auf die Senioren übertragen.
  • Dauerhafter Lärm kann Aggressionen auslösen und wird daher vermieden. Dazu zählen Straßenlärm, Lärm aus der Hauswirtschaft usw.
  • Wir vermeiden (soweit möglich) weitere aggressionsauslösende Faktoren, etwa:
    • unangenehme Gerüche
    • Hitze, insbesondere Temperaturen über 25° C
    • unbekannte Geräusche
    • Unterzuckerung oder Hunger
    • Atemnot
    • Austrocknung
    • Harnverhalt
    • hoher Blutdruck
    • Schilddrüsenüberfunktion
    • Arzneimittel, insbesondere Nootropika, aktivierende Antidepressiva oder Koffeinprodukte.
    • morgendlicher Stress, wenn der Bewohner noch verlangsamt reagiert
    • unnötige Störungen in der Nacht
    • mangelhafte Schmerzbehandlung
    • bedrohlich wirkende Pflegemaßnahmen, wie etwa das unangekündigte Einführen von Schläuchen
  • Aggressives Verhalten darf nicht durch unverhältnismäßige Aufmerksamkeit "belohnt" werden. Dieses führt beim verhaltensauffälligen Bewohner zu einem Lerneffekt. Zudem würden stille und zurückhaltende Bewohner ins Hintertreffen geraten.
  • Wir prüfen, ob sich die Aggressionen mit Medikamenten lindern lassen, insbesondere mit Magnesium, mit Betablockern usw.

Kommunikation

  • Auch im Verlauf einer demenziellen Erkrankung wird der Bewohner als erwachsener Mensch und nicht wie ein Baby angesprochen.
  • Der Bewohner wird nur dann geduzt, wenn er dieses ausdrücklich wünscht. Wenn uns der Bewohner vor Beginn einer demenziellen Erkrankung das Du angeboten hat, gilt dieses Privileg u. U. nicht dauerhaft. Beim Fortschreiten des mentalen Verfalls empfindet er ggf. das fortgesetzte Duzen als distanzlos und unangemessen.
  • Der Bewohner wird ansonsten gesiezt sowie mit "Herr" oder "Frau" und dem Nachnamen angesprochen. In keinem Fall wird er als "Opa", "Oma" usw. bezeichnet.
  • Wir vermeiden es, pflegewissenschaftliche oder medizinische Fachbegriffe zu nutzen. Falls dieses doch erforderlich ist, erklären wir dem Bewohner die Zusammenhänge.
  • Wir bevorzugen geschlossene Fragen, die mit "ja" oder mit "nein" beantwortet werden können. Wir vermeiden offene Fragen ("warum").
  • 24-Stunden-ROT sowie Gruppen-ROT (Realitäts-Orientierungs-Training) werden nur im Anfangsstadium einer demenziellen Erkrankung eingesetzt. Bei einer mittleren oder bei einer schweren Demenz nutzen wir das Konzept der "validierenden Kommunikation".
  • Der Bewohner wird von vorne angesprochen. Die Pflegekraft sucht nach Möglichkeit Blickkontakt.
  • Der Umgang mit dem Bewohner ist immer wohlwollend und freundlich. Bei Fehlverhalten machen wir dem Bewohner keine Vorwürfe. Wir vermeiden auch längere Diskussionen, die die mentalen Ressourcen des Bewohners überfordern.
  • Wir sprechen stets deutlich und mit normaler Lautstärke. Wir stellen sicher, dass uns ein hörgeschädigter Bewohner verstehen kann. Wenn der Bewohner (grundlos) schreit, schreien wir nicht zurück.

Beschäftigung

  • Die biografischen Gewohnheiten werden möglichst umfassend erfasst und beachtet. Dieses beinhaltet insbesondere die Wahl von Brettspielen, des Fernsehprogramms usw. Die Reaktionen des Bewohners auf die Angebote werden beobachtet. Wenn der Bewohner negativ reagiert, erhält er zeitnah alternative Beschäftigungsmöglichkeiten.
  • Wir passen das Niveau der Angebote an den stetigen Verfall der mentalen Fähigkeiten an. Wir vermeiden es insbesondere, den Bewohner bei Brett- oder bei Kartenspielen gegen Mitbewohner spielen zu lassen, die ihm mental überlegen sind.
  • Unverzichtbar sind Rückzugsmöglichkeiten für Bewohner. Dazu zählen etwa das Einzelzimmer, ein Garten und eine Bibliothek.
  • Eine Reizüberflutung des Bewohners wird vermieden. Insbesondere werden unnötig laufende Fernseher und Radios ausgeschaltet.

Ernährung

  • Der Bewohner soll seine Nahrung so lange wie möglich eigenständig zu sich nehmen. So nutzen wir bei fortgeschrittenen demenziellen Erkrankungen das Prinzip des Fingerfoods. Dem Bewohner wird das Essen erst dann angereicht, wenn dieses absolut zwingend erforderlich ist.
  • Wir nutzen so lange wie möglich konventionelles Essgeschirr und Besteck. Schnabeltassen und hochwandige Teller werden vermieden.
  • Wir lassen uns beim Anreichen der Nahrung Zeit und vermeiden Hektik.
  • Die Essgewohnheiten des Bewohners werden (etwa im Rahmen der Biografiearbeit) erfasst und soweit möglich beachtet.
  • Die Essenszeiten werden flexibel gestaltet.
  • Fixierungsmaßnahmen während der Nahrungsaufnahme werden soweit möglich vermieden.
  • Der Bewohner kann seinen Platz im Speisesaal frei wählen. Wir vermeiden es, dass der Bewohner neben einem Mitbewohner sitzen muss, der ihm unsympathisch ist.
  • Die Portionsgröße entspricht den Vorlieben und den Ernährungsbedürfnissen des Bewohners. Wir vermeiden es, den Bewohner zum Essen aufzufordern.
  • Wir versuchen, Alkoholmissbrauch durch Bewohner zu verhindern.

Körperpflege

  • Die Intimsphäre des Bewohners wird soweit möglich beachtet. So wird der Genitalbereich bei der Ganzwäsche abgedeckt, wenn aktuell eine andere Körperzone gereinigt wird.
  • Die biografisch verankerten Gewohnheiten bei der Körperpflege werden beachtet. Dieses betrifft insbesondere den Zeitpunkt der Körperpflege und die Wahl der Pflegeprodukte.
  • Wenn der Bewohner in jüngeren Jahren nur wenig Körperpflege betrieb und diese ablehnt, so wird das Waschen auch von uns auf das Minimum beschränkt.
  • Die Wünsche des Bewohners zur Frisur und zum Bartwuchs werden beachtet.
  • Durch eine ausreichende Schichtbesetzung stellen wir sicher, dass der Bewohner nicht vom Nachtdienst gewaschen wird. Dieses ist nur dann sinnvoll, wenn der Bewohner etwa aufgrund seines beruflichen Lebenswegs daran gewöhnt ist, dass die Körperpflege sehr früh erfolgt.
  • Die Wünsche des Bewohners bei der Kleidungswahl werden befolgt, sofern sich nicht zwingende Einschränkungen aufgrund von Krankheitsbildern ergeben. So kann es z. B. bei einer Dranginkontinenz erforderlich sein, dass der Bewohner eine Trainingshose trägt, die er bei einem Toilettengang schnell herunterziehen kann.
  • Verschmutztes oder durchfeuchtetes Inkontinenzmaterial wird zeitnah ersetzt.

Durchführung:

Abwägung

  • Wir achten auf ungewöhnliches Verhalten des Bewohners, das auf einen nahenden aggressiven Ausbruch hindeutet. Etwa:
    • Das Verhalten des Bewohners ist abweisend. Er wirkt "kurz angebunden" und zieht sich zurück.
    • Der Ton ist gereizt. Der Bewohner konstruiert bewusst Missverständnisse und sieht sich als Opfer. Er stellt unerfüllbare Forderungen.
    • Der Bewohner sucht einen "Sündenbock" für die für ihn unerträgliche Situation.
    • Der Bewohner zeigt ablehnendes Verhalten durch Gestik und durch Mimik.
    • Die Körperhaltung ist angespannt. Der Bewohner ballt die Fäuste. Sein Blick ist stechend. Er versucht, anderen Menschen Angst einzujagen.
    • Das Konsumverhalten des Bewohners ist ungewöhnlich. Er raucht mehr Zigaretten als gewöhnlich oder trinkt zu ungewöhnlichen Tageszeiten Alkohol.
    • Der Bewohner ist unruhig. Er geht im Wohnbereich umher und kann es an keinem Ort länger aushalten. Er knallt mit der Tür, wenn er ein Zimmer verlässt.
    • Der Bewohner sucht Streit mit seinem Umfeld. Im verbalen Konflikt versucht er, den "wunden Punkt" seines Gegenübers zu treffen.
  • Nicht jede Meinungsverschiedenheit unter Bewohnern muss von Pflegekräften sofort geschlichtet werden. Pflegekräfte sollten erst dann einschreiten, wenn die Situation außer Kontrolle zu geraten droht. Also:
    • verbale Aggressivität
    • sexuelle Belästigung
    • Demütigungen, öffentliches Lächerlichmachen und Kränkungen
    • soziale Ausgrenzung von Bewohnern, Ausschluss von Gemeinschaftsaktivitäten
  • Ist die Gefahr real, reagieren wir möglichst frühzeitig. Mit jeder ungenutzten Minute können sich die Spannungen verschärfen.

Verhalten, wenn der Bewohner verbale Aggressionen zeigt

  • Die Pflegekraft begibt sich zunächst auf die gleiche Ebene wie der Bewohner. Wenn dieser sitzt, setzt sich die Pflegekraft auch. Falls der Bewohner steht, sollte auch die Pflegekraft stehen. Die Pflegekraft sollte dem Bewohner aber nicht Auge in Auge gegenüberstehen oder sitzen. Der Bewohner muss die Möglichkeit haben, den Blickkontakt zu lösen und woanders hinzusehen. Auch ein Tisch als Barriere zwischen den Gesprächspartnern kann dem Bewohner etwas Sicherheit geben.
  • Die Pflegekraft sollte Augenkontakt suchen und ((falls es dem Bewohner angenehm ist) halten. Sie sollte dem Bewohner stets die Frontseite und nicht den Rücken zuwenden.
  • Beschimpfungen werden ruhig und sachlich zurückgewiesen. Die Pflegekräfte reagieren niemals mit eigenen verbalen Entgleisungen.
(Hierbei ist eine emotionale Distanz zur Situation besonders wichtig. Pflegekräfte müssen die Beschimpfungen ignorieren und dürfen diese nicht persönlich nehmen. Ansonsten kann es dazu kommen, dass sich Mitarbeiter zu aggressivem Verhalten hinreißen lassen und somit die Situation weiter eskalieren.)
  • Mitbewohner werden in Schutz genommen, wenn sie das Ziel von Beschimpfungen werden.
  • Beschimpfungen sind immer auch eine Möglichkeit für den Bewohner, "Dampf abzulassen". Wenn damit körperliche Aggressionen vermieden werden, können (je nach individuellen Gegebenheiten) verbale Angriffe in Grenzen toleriert werden. Gewalt gegen Gegenstände oder gegen Lebewesen wird niemals toleriert.
(Auch hier gilt es, die biografischen Bezüge zu beachten. In einigen Gesellschaftsschichten ist ein sehr derber Umgangston durchaus sozialkonform.)

Verhalten bei einer sich andeutenden Gewaltsituation

  • Bei dementen Bewohnern wird geprüft, ob Validation sinnvoll ist.
  • Wir versuchen, den Bewohner in einer Weise zu beschäftigen, die seine Aggressionen mindert, etwa
    • Spaziergang
    • Gymnastik
    • Musiktherapie
    • handwerkliche Tätigkeiten
    • Arbeit im Garten
  • Wir entfernen alle Gegenstände, mit denen der Demenzpatient sich selbst oder andere Mitbewohner verletzen könnte, also etwa spitze Scheren, Werkzeuge usw. Glasflaschen werden gegen Kunststoffflaschen getauscht.

Verhalten bei einer Gewaltsituation

  • Häufig lässt sich die Situation bereits dadurch entschärfen, dass das Personal Geschlossenheit, Stärke und erhöhte Präsenz zeigt.
  • Ggf. richtet sich die Aggressivität des Bewohners gegen eine einzelne Pflegekraft. Dann kann es sinnvoll sein, dass diese Pflegekraft den Sichtbereich des Bewohners verlässt, sobald ein anderer Kollege anwesend ist.
  • Die Bezugspflegekraft oder eine andere vertraute Pflegekraft wird herbeigerufen. Diese sucht den Dialog mit dem Bewohner und versucht, ihn von Gewalttaten abzubringen.
  • Wir prüfen, wie der Bewohner auf andersgeschlechtliches Pflegepersonal reagiert. Insbesondere bei Männern wirken weibliche Mitarbeiter mitunter deeskalierend. Zudem verfügen Frauen oftmals über ein besseres empathisches Verständnis und können insbesondere Körpersprache und Mimik besser "lesen".
  • Bedrohte Mitbewohner und Kollegen werden aus dem direkten Gefahrenbereich geführt. Danach wird die nähere Umgebung geräumt, also etwa der Flur. Mitbewohner werden gebeten, in ihre Zimmer zu gehen und dort zu bleiben, bis sich die Situation entspannt hat.
(Die Entfernung von Mitbewohnern dient einerseits deren Schutz, gleichzeitig verhindern wir, dass sich der aggressive Bewohner von einer Überzahl anderer Personen eingekreist fühlt.)
  • Dem Bewohner wird eine Rückzugsmöglichkeit angeboten, damit er seine Gedanken ordnen kann. Er wird aber nicht unbeobachtet gelassen, da er sich selbst verletzen könnte.
  • Die Pflegekraft versucht im Dialog mit dem Bewohner zu klären, durch was die Aggressionen ausgelöst wurden. Nicht selten führt bereits das zu einer Entspannung der Lage. Der Bewohner fühlt sich mit seinen Gefühlen ernst genommen. Es fällt ihm leichter, sich auf ein Gespräch mit der Pflegekraft einzulassen.
  • Es kann sinnvoll sein, dem Bewohner zu zeigen, dass sein Verhalten auf andere Menschen bedrohlich wirkt. Etwa: "Herr Meier, wenn Sie sich so aggressiv verhalten, bekomme ich Angst vor Ihnen." Vielen aggressiven Bewohnern ist gar nicht bewusst, wie ihr Verhalten auf das Umfeld wirkt.

Überwältigung eines Bewohners

(Hinweis: Der folgende Abschnitt ist für reguläre Pflegeheime nicht relevant, da in diesen Einrichtungen mit einer solchen Eskalation nicht zu rechnen ist. Die folgenden Vorgaben richten sich an stationäre Einrichtungen, die sich auf die Versorgung von Senioren mit hohem Aggressionspotenzial spezialisiert haben.) Nur wenn alle Alternativen ausgeschöpft sind und es keine Möglichkeit zu einer gewaltfreien Lösung gibt, wird der aggressive Bewohner überwältigt. Dieses ist nur dann notwendig, wenn eine eindeutige Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt. Kein eigener Zugriff erfolgt, wenn der Bewohner etwa mit einem Messer bewaffnet ist. In solchen Fällen wird die Polizei gerufen.

  • Die Pflegekräfte legen Brillen, Schmuck und Uhren ab.
  • Ein Mitarbeiter bereitet außer Sichtweite des Bewohners die Fixierungsmaterialien vor.
  • Der Zugriff erfolgt primär durch männliches Pflegepersonal.
  • Der Zugriff erfolgt niemals im Alleingang. Es müssen stets mindestens zwei Pflegekräfte anwesend sein.
  • Der Zugriff erfolgt stets von zwei Seiten gleichzeitig. Eine Pflegekraft führt einen Scheinzugriff durch, während der zweite Mitarbeiter den tatsächlichen Zugriff beginnt.
  • Das Gesicht des Bewohners wird mit Kleidung überdeckt (Bissgefahr!).
  • Die Handgelenke werden fest gegriffen, ebenso die Füße.
  • Alle weiteren Maßnahmen erfolgen gemäß des Standards "Fixierung von Bewohnern".

Nachbereitung:

Rechtliche Maßnahmen

  • Wenn Bewohner bei dem Zwischenfall verletzt wurden, werden umgehend ein Arzt und die Polizei gerufen. Nach Möglichkeit werden Verletzungen fotografiert.
  • Entstandene Sachschäden werden erfasst und sorgfältig dokumentiert. Dieses insbesondere, wenn das Eigentum eines Mitbewohners betroffen ist.
  • Bei jeder körperlichen oder finanziellen Schädigung eines Mitbewohners muss der zuständige Betreuer informiert werden.
  • Wenn eine Pflegekraft zu Schaden gekommen ist, kann es sich dabei um einen meldepflichtigen Arbeitsunfall handeln.

Dokumentation

  • Eine lückenlose Dokumentation von relevanten Vorkommnissen ist unverzichtbar. Sie sichert die Weitergabe wichtiger Informationen an Kollegen, die später mit dem Bewohner arbeiten werden. Gleichzeitig ist es wichtig, alle relevanten Daten für eine etwaige juristische Aufarbeitung der Geschehnisse zu einem späteren Zeitpunkt vorzuhalten.
  • Alle Beobachtungen werden genau dokumentiert. Die Beschreibung erfolgt wertfrei. Wir achten insbesondere auf Veränderungen im Verhalten des Bewohners.
  • Die Dokumentation sollte präzise erfolgen. Statt also zu schreiben, dass der Bewohner "aggressiv" ist, sollten dessen Handlungen genau beschrieben werden, etwa:
    • Der Bewohner wirft das Tablett mit dem Mittagessen um.
    • Der Bewohner beschimpft Mitbewohner im Gymnastikraum als "Schweine".
  • Wir prüfen, ob wir den Grund für das aggressive Verhalten ermitteln können. Dieses ist i. d. R. ein Ereignis, dass sich kurze Zeit vor dem Wutausbruch ereignet hat.
  • Bei der Anpassung der Pflegeplanung (oder Maßnahmenplanung) berücksichtigen wir, dass die Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten mit jedem Zwischenfall ansteigt. Der Bewohner "erlernt", dass er mittels Gewalt "Dampf ablassen" kann.

Weitere Maßnahmen

  • Wenn ein Bewohner einen Mitbewohner verbal oder handgreiflich attackiert hat, so geben wir ihm einige Zeit später die Möglichkeit, sich zu entschuldigen. Wir vermitteln den entsprechenden Kontakt.
  • Falls ein Zimmergenosse wiederholt das Opfer von Aggressionen war, bieten wir dem Betroffenen an, in ein anderes Zimmer zu ziehen. Dieses ist etwa notwendig, wenn ein Bewohner aggressiv gegen seine bei ihm lebende Ehefrau vorgeht.
  • Wenn ein Bewohner wiederholt aggressiv gegen seine Bezugspflegekraft vorgeht, so wird diese ausgewechselt.
  • Der Vorfall wird mit dem behandelnden Arzt besprochen. Ggf. wird die medikamentöse Behandlung angepasst. Sollte das Gewaltverhalten regelmäßig auftreten, werden eine Zwangseinweisung und die Bestellung eines Betreuers erörtert.
  • Nach einer aggressiven Handlung kommt es bei einigen Bewohnern anschließend zu depressiven Stimmungen ("schlechtes Gewissen"). Diese Phasen erfordern dann eine Anpassung der Versorgung.
  • Pflegekräfte müssen sich darüber bewusst sein, dass sie ihre eigene Angst nicht unterdrücken sollten. Dieses könnte dazu führen, dass sie ihrerseits übermäßige Gewalt anwenden. Wir bieten unseren Pflegekräften daher regelmäßig Supervision an.

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • Pflegeplanung / Maßnahmenplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • PDL
  • Pflegefachkräfte
  • Pflegehilfskräfte



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