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Standard "Pflege von Senioren mit einer Hypochondrischen Störung"
Man
kann es wirklich nicht anders sagen: Von allen psychisch Kranken haben
Senioren mit hypochondrischen Störungen den schwarzen Peter. Sie
durchleiden jeden Tag tausend Höllen, aber niemand glaubt ihnen. Im
besten Fall werden sie zum Gegenstand von Zoten und Witzeleien. Im
schlimmsten Fall gelten sie als Simulanten oder gar als Sozialbetrüger.
Standard "Pflege von Senioren mit einer Hypochondrischen Störung"
Definition:
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Bei einer Hypochondrie handelt es sich um eine
überängstliche Beziehung zum eigenen Körper. Missempfindungen und
normale Körpervorgänge lösen beim Betroffenen unbegründete
Befürchtungen aus. Sie weisen diesen Empfindungen eine übertriebene
Bedeutung zu und deuten sie als Zeichen einer vermeintlich schweren
Erkrankung. Sie wenden erhebliche Zeit auf, um ihren Körper zu
beobachten.
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Viele Betroffene suchen daher immer wieder
einen Arzt auf. Der Mediziner kann jedoch zumeist keine körperliche
Ursache für die Beschwerden finden. Die Diagnose verschafft dem
Betroffenen für eine kurze Zeit Erleichterung. Sobald jedoch erneut
Symptome auftreten, steigt der innere Druck, abermals in der Praxis
vorstellig zu werden.
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Oftmals haben Betroffene eine feste Vorstellung
davon, an welcher Erkrankung sie leiden. Diese ist häufig schwer und
unheilbar. Sie informieren sich häufig (etwa im Internet) über ihr
vermeintliches Leiden. Sie glauben, damit die Selbstdiagnose zu
bestätigen.
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Zehn Prozent der Deutschen haben eine
übersteigerte Sorge um ihre Gesundheit. Von diesen Betroffenen ist ein
Fünftel so stark von der Angst erfasst, dass die Lebensqualität
erheblich eingeschränkt wird. Männer und Frauen sind gleich häufig
betroffen.
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Vier von fünf Betroffenen befürchten, an einer
Tumorerkrankung zu leiden etwa in der Lunge, im Hirn, im
Magen-Darm-Trakt oder in den Harnableitenden Organen.
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Herzneurosen sind seltener. Der Bewohner
bemerkt das wiederholte Auftreten von Herzklopfen, Schwindel, Übelkeit
oder anderen Symptomen, die auf einen Herzinfarkt schließen lassen. Die
auftretende Panik verstärkt das Symptombild erneut und lässt den
Bewohner in einen Teufelskreis fallen.
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Eine hypochondrische Störung tritt nur selten
im Alter erstmals auf. Die Mehrzahl der Betroffenen leidet schon seit
Jahren oder Jahrzehnten an übertriebenen Ängsten. Der Umzug in eine
stationäre Pflegeeinrichtung erschwert es ihnen, an bewährten
Kompensationsstrategien festzuhalten. Da sie häufig in ihrer Mobilität
eingeschränkt sind, können sie nicht wie gewohnt in Eigeninitiative
einen Arzt aufsuchen. Zudem stehen Bewohner in einem Pflegeheim auch
unter Beobachtung. Sie können daher beispielsweise nicht übermäßig
häufig ihren Blutdruck prüfen, ohne dass dieses einer Pflegekraft
auffallen würde.
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In vielen Fällen tritt die hypochondrische
Störung gemeinsam mit anderen psychischen Beeinträchtigungen (wie etwa
Depressionen) auf. Die körperlichen Fehldeutungen lenken den
Betroffenen von inneren Konflikten ab. Solange die Symptome bestehen,
ist der Betroffene nicht gezwungen, sich mit seinen anderen Problemen
auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, dass ein Bewohner mehr Aufmerksamkeit
von Pflegekräften und von Angehörigen erhält, wenn er krank ist. Er
steht dann im Mittelpunkt und erhält die Zuwendung, die er zuvor
vielleicht vermisst hat.
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Hypochonder sehen sich immer wieder
Anfeindungen ausgesetzt. Sie werden als Simulanten angesehen, die die
Arztpraxen und Notaufnahmen verstopfen. Mitunter wird ihnen gar
Sozialbetrug vorgeworfen, etwa wenn die “simulierte” Erkrankung
relevant für die Anerkennung einer Schwerbehinderung oder eines
Pflegegrads ist.
Grundsätze:
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Patienten mit einer hypochondrischen Störung
sind keine Simulanten. Sie spüren subjektiv echte Krankheitssymptome.
Sie sind also zwar körperlich nicht krank, leiden dafür aber an
seelischen Störungen.
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Das zentrale Problem von Hypochondern ist also nicht der Schmerz, sondern die falsche Deutung des Schmerzes.
Ziele:
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Der Bewohner vertraut sich seiner Bezugspflegekraft an und spricht über seine Empfindungen und über seine Ängste.
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Es gelingt uns, den Bewohner von seinen vermeintlichen Krankheitssymptomen abzulenken.
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Dem Bewohner wird klar, dass seine empfundenen
Beschwerden einen somatischen Ursprung haben. Es gelingt ihm, sich
zunehmend von den übertriebenen Ängsten zu distanzieren.
Vorbereitung:
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Wir setzen strikt auf das System der
Bezugspflege. Nur bei einer kontinuierlichen Zuordnung einer
Pflegekraft wird der Bewohner ausreichend Vertrauen aufbauen.
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Im Rahmen der Biografiearbeit prüfen wir, ob
Faktoren vorliegen, die für eine hypochondrische Störung sprechen. Dazu
zählt etwa der krankheitsbedingte Tod eines nahestehenden Menschen.
Auch ein überbehüteter Erziehungsstil kann das Auftreten dieser
psychischen Erkrankung fördern.
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Wir beobachten das Verhalten des Bewohners.
Relevant sind insbesondere ritualisierte Überprüfungen des Körpers auf
diskrete Veränderungen. Verdächtig sind auch häufige Arztwechsel.
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Nicht selten tritt auch das genaue Gegenteil
auf. Der Bewohner hat Angst davor, dass bei einem Arztbesuch seine
Krankheitsangst bestätigt wird. In der Folge vermeidet er jeden Kontakt
mit einem Arzt. Das führt dazu, dass auch reale Erkrankungen nicht
behandelt werden.
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Große Angst vor Krankheiten stellt nicht
zwangsläufig eine behandlungsbedürftige Störung dar. Dieses ist erst
dann der Fall, wenn zwei Faktoren erfüllt sind:
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Der Bewohner ist über einen Zeitraum von
mindestens sechs Monaten davon überzeugt, an einer ernsthaften
körperlichen Erkrankung zu leiden. Er wurde mehrfach ärztlich
untersucht, ohne dass dabei Hinweise auf eine tatsächliche Krankheit
gefunden wurden.
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Der Bewohner weigert sich zu akzeptieren, dass die Symptome nicht von einer körperlichen Erkrankung ausgelöst wurden.
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Wenn wir hinreichende Anzeichen für eine
hypochondrische Störung feststellen, suchen wir den Dialog mit dem
Bewohner. Wir sprechen ihn offen auf unsere Beobachtungen an und regen
eine fachärztliche Behandlung an.
Durchführung:
allgemeine Maßnahmen
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Im Dialog mit dem Bewohner sollte es vermieden
werden, dass sich das gesamte Gespräch nur um seine Krankheiten dreht.
Wir versuchen, den Austausch auf angenehme Themen zu richten.
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Wir ermuntern den Bewohner, sich am sozialen
Leben innerhalb und außerhalb der Einrichtung zu beteiligen. Isolation
führt in den meisten Fällen zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem
eigenen Körper und etwaigen somatischen Beschwerden.
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Wir raten dem Bewohner, am Sportprogramm
unserer Einrichtung teilzunehmen. Auch ansonsten sollte sich der
Bewohner im Rahmen seiner Fähigkeiten körperlich bewegen, also etwa
Spaziergänge durchführen. Er soll das Vertrauen zu seinem eigenen
Körper zurückgewinnen.
Zusammenarbeit mit dem Arzt
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Oftmals brauchen Bewohner als Folge des Einzugs
in die Einrichtung ohnehin einen neuen Hausarzt. Wir vermitteln
Betroffenen den Kontakt zu einem Mediziner, der nach unserer
Einschätzung dieses Krankheitsbild gut therapiert.
(Anmerkung: Unzureichende psychiatrische Kenntnisse seitens vieler
Ärzte können dazu führen, dass Betroffene in ihrer Fehleinschätzung
bestärkt werden. Dazu zählen insbesondere unbedachte ärztliche Aussagen
und Verhaltensweisen.)
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Bevor die Diagnose “hypochondrische Störung”
gestellt wird, muss eine etwaige körperliche Erkrankung hinreichend
sicher ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sollten Pflegekräfte die
Symptome ernst nehmen und ggf. den Hausarzt informieren. Auch ein
Hypochonder kann tatsächlich körperlich schwer krank sein.
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Die diagnostischen Maßnahmen, die im
Kompetenzbereich einer Pflegekraft liegen, werden durchgeführt; im
Wesentlichen also die Erfassung der Vitalfunktionen. Diese Maßnahmen
werden aber nur einmal durchgeführt und auch auf Drängen des Bewohners
nicht wiederholt.
(Es ist viel Erfahrung und innere Ruhe erforderlich, um dem Drängen
eines Hypochonders entgegenzutreten und keine weiteren Messungen
durchzuführen. Sofern die Pflegekraft davon überzeugt ist, dass sie
alles Notwendige getan hat, sollte sie dabei bleiben.
Bezugspflegekräfte profitieren dabei vom bereits aufgebauten
Vertrauen.)
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Wir suchen den Dialog mit dem behandelnden
Hausarzt und klären diesen über die mutmaßliche hypochondrische Störung
auf. Im Idealfall vereinbaren wir regelmäßige Arztbesuche in festen
zeitlichen Abständen. Der Arztbesuch wird also von körperlichen
Beschwerden entkoppelt.
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Zudem ist es wichtig, dass das typische
“Ärzte-Hopping” vermieden wird. Der Bewohner sollte also nicht von
einem Arzt zum nächsten wechseln. Im Idealfall koordiniert der
behandelnde Hausarzt die gesamte Behandlung und überweist den Bewohner
- sofern notwendig - an Fachärzte.
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In vielen Fällen ist ein Therapieversuch mit Antidepressiva sinnvoll.
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Wir suchen den Dialog mit dem Bewohner, wenn
wir das Gefühl haben, dass er von Ärzten, Therapeuten und
Heilpraktikern finanziell ausgebeutet wird.
(Hinweis: Viele Hypochonder sind bereit, ihr ganzes Vermögen für sinnlose Untersuchungen und Therapien zu opfern.)
Nachbereitung:
Weitere Maßnahmen
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Das Verhalten des Bewohners wird sorgfältig
dokumentiert. Wir halten schriftlich fest, welche Befürchtungen der
Bewohner äußert. Wir dokumentieren auch, in welchen Situationen die
Beschwerden auftreten.
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Die Beschreibung erfolgt wertungsfrei. Wir achten insbesondere auf Veränderungen im Verhalten des Bewohners.
Prognose
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Lange Zeit galten hypochondrische Störungen als
unheilbar. Erst ein strukturierter Einsatz der kognitiven
Verhaltenstherapie hat sich als effektiv erwiesen. Ähnlich wie bei
Suchterkrankungen ist der Kooperationswille des Bewohners entscheidend
für das Therapieergebnis.
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Eine fachärztliche Behandlung führt in 60 bis
90 Prozent der Fälle zu einer deutlichen Linderung der Symptomatik.
Eine solche Psychotherapie wird ambulant durchgeführt. Sie besteht aus
etwa 20 Stunden und dauert rund ein halbes Jahr.
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Wird eine hypochondrische Störung nicht behandelt, steigt das Risiko einer sozialen Isolation sowie von Depressionen.
Dokumente:
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Pflegebericht
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Pflegeplanung / Maßnahmenplanung
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
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