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Standard "Pflege von Senioren mit Körperbildstörungen"
Körperbildstörungen
sind nicht auf junge magersüchtige Mädchen beschränkt. Auch die
Selbstwahrnehmung vieler Senioren ist beeinträchtigt. Insbesondere
gelähmte oder missgestaltete Körperbereiche werden allzu oft aus dem
Bewusstsein verdrängt und komplett ausgeblendet.
Standard "Pflege von Senioren mit Körperbildstörungen"
Definition:
-
Das Körperbild ist die durch unsere Sinne
vermittelte Vorstellung unseres Körpers. Das Körperbild entwickelt sich
in der Kindheit und formt sich maßgeblich in der Zeit der Adoleszenz
(Pubertät bis hin zum Erwachsensein). Da sich der Körper im Lauf der
Jahrzehnte permanent verändert, unterliegt auch das Körperbild einer
ständigen Anpassung.
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Abhängig von der individuellen Persönlichkeit
wird das Körperbild in unterschiedlich starkem Maß vom sozialen Umfeld
geprägt, also durch kulturelle und gesellschaftliche Normen. Dazu
zählen etwa Schönheitsideale, wie sie von der Werbeindustrie oder von
der Filmwirtschaft vermittelt werden. Auch Bewertungen durch die
Familie und den Freundeskreis können das Körperbild eines Menschen
beeinflussen.
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Eine Körperbildstörung liegt vor, wenn die
individuelle Wahrnehmung des eigenen Körpers in erheblichem Maß von der
Realität abweicht und der Bewohner darunter leidet. Ein klassisches
Beispiel dafür sind Frauen, die sich trotz eines normalen BMI als zu
dick empfinden. Der Körper unterstützt also nicht mehr das
Selbstwertgefühl, sondern belastet dieses.
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In der Altenpflege tritt diese Beeinträchtigung vor allem bei gelähmten und bei immobilen Senioren auf. Beispiele:
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Hemiplegiepatienten ziehen sich häufig in die
weniger beeinträchtigte Körperhälfte zurück und vernachlässigen die
andere. Bei der Körperpflege wird also nur die weniger betroffene
Körperhälfte gewaschen.
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Senioren nach Amputationen im Bereich der
Zehen, der Füße oder der Unterschenkel empfinden Ekel für die
beschädigten Bereiche.
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Bettlägerige Senioren verlieren völlig das
Gefühl für den eigenen Körper, seine Lage und seine Abgrenzung zur
Matratze und zur Bettdecke.
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Senioren mit Körperbildstörungen empfinden
ihren Körper oftmals als minderwertig. Betroffen sind gehäuft Menschen,
die ihr Selbstwertgefühl aus dem guten Aussehen, körperlicher
Leistungsfähigkeit oder sexueller Anziehungskraft beziehen. Für diese
Gruppe kann bereits das Tragen einer Brille aufgrund einer sich
entwickelnden Sehschwäche unerträglich sein.
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Auslösende Faktoren für eine Körperbildstörung
müssen nicht zwangsläufig von außen sichtbar sein. Auch Veränderungen
im Körperinneren können zu derartigen Beeinträchtigungen führen. Dazu
zählen etwa die Entfernung eines Organs und eine Organtransplantation.
Selbst die Implantation eines Herzschrittmachers löst bei vielen
Betroffenen eine Beeinträchtigung der Selbstwahrnehmung aus, obwohl
äußerlich i. d. R. nur eine kleine Narbe zu sehen ist.
Grundsätze:
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Der Verlust eines Körperteils oder der Ausfall
einer Körperfunktion ist für den Betroffenen eine tief greifende
Belastung. In der Folge können sich Störungen der eigenen
Körperwahrnehmung entwickeln. Durch eine sensible Betreuung können
Pflegekräfte den Prozess der mentalen Gesundung fördern.
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Wir akzeptieren, dass jedes Individuum anders auf Veränderungen des Körpers reagiert.
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Die Betreuung von Senioren mit
Körperbildstörungen ist ein langwieriger Prozess, der immer wieder auch
von Rückschlägen erschwert wird. Wir sind uns bewusst, dass es Monate
dauern kann, bis ein Bewohner das innerliche Gleichgewicht
zurückgewinnen kann.
Ziele:
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Eine Körperbildstörung wird erkannt. Wir erfassen die Auswirkungen der Beeinträchtigung auf die Lebensqualität des Bewohners.
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Der Bewohner entwickelt eine positive Beziehung zum eigenen Körper. Er betrachtet nicht mehr Teile davon als Fremdkörper.
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Der Bewohner wird im Rahmen seiner Fähigkeiten an Pflegemaßnahmen und insbesondere an der Körperpflege beteiligt.
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Die Entwicklung von Depressionen wird vermieden.
Vorbereitung:
Risikoprüfung
Wir prüfen, ob der Bewohner zu einer Risikogruppe für Körperbildstörungen zählt.
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Optische, insbesondere kosmetische Veränderungen
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Alterung der Haut, die sich durch Hautfalten oder durch Flecken zeigt
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Veränderungen der Haarstruktur, Farbverlust, Haarausfall usw.
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entstellende Körperschäden, etwa Verbrennungen im Gesicht
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angeborene und sichtbare Anomalien; insbesondere abweichende Gesichtszüge, etwa große Ohren oder eine große Nase
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Körperliche Veränderungen
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Hemiplegie
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Amputation eines Körperteils als Folge einer Erkrankung oder eines Unfalls (Bein, Arm, Brüste usw.)
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Spastiken
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Haarausfall als Folge einer Chemotherapie
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Ödeme als Nebenwirkung einer medikamentösen Therapie (etwa Kortikoide)
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degenerative Prozesse in den Gelenken, etwa Arthrose
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künstliche Körperöffnungen, etwa Urostoma, Tracheostoma, Magensonde usw.
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nachlassende körperliche Fähigkeiten, etwa als Folge einer Herzinsuffizienz
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nachlassende Sinnesfunktionen, etwa tasten, sehen, riechen, hören und schmecken
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chronische Schmerzen
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Inkontinenz
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Adipositas
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Untergewicht
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Abhängigkeit von medizinischen Geräten, etwa Rollstuhl, Sauerstoffgerät, Dialysemaschine usw.
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Psychische und soziale Ursachen
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Nachlassen der eigenen Sexualität
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Nachlassen der Sexualität des Lebenspartners
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fehlende Bestätigung durch den Lebenspartner, Verwandte oder Freunde
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abfällige Bemerkungen von Mitbewohnern, Verwandten oder Pflegekräften
Informationssammlung
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Im Rahmen der Biografiearbeit suchen wir nach
Hinweisen, die auf eine langfristig gewachsene Körperbildstörung
schließen lassen. Dazu zählen etwa (sexuelle) Gewalt in Jugendjahren,
ein liebloses Elternhaus usw.
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Wir sprechen den Bewohner auf sein Verhältnis
zum eigenen Körper an. Wir befragen ihn, ob ihn der Alterungsprozess
und etwaige Krankheiten sehr belasten. Der Bewohner soll berichten,
welche körperlichen Einschränkungen ihn besonders bedrücken würden.
Durchführung:
Erfassung
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Wir prüfen, ob der Bewohner Symptome einer Körperbildstörung zeigt. Wir versuchen, deren Ausmaß einzuschätzen.
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Verhaltensänderungen
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Der Bewohner nimmt nicht ausreichend Nahrung zu sich oder verweigert die Nahrungsaufnahme vollständig.
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Der Bewohner bedeckt das geschädigte Körperteil und verbirgt dieses vor dem Umfeld.
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Der Bewohner isoliert sich von Freunden, von Mitbewohnern und von der Familie.
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Die Beschäftigung mit den Veränderungen des
Körpers und mit den damit verbundenen Einschränkungen wird zum
zentralen Lebensinhalt des Bewohners.
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Der Bewohner zeigt ein zunehmendes Schamgefühl, etwa beim Waschen oder beim Kleidungswechsel.
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Der Bewohner weigert sich, ein Körperteil
anzusehen oder zu berühren. Dieses zeigt sich etwa in der Weigerung,
sich an der Körperpflege zu beteiligen.
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Der Bewohner verweigert sich pflegenden oder kosmetischen Maßnahmen wie etwa einem Besuch beim Friseur, einer Nagelpflege usw.
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Der Bewohner wählt farblose Kleidung, die ihn möglichst umfassend verhüllt.
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Kachektische Senioren wählen mehrschichtige Kleidung, um das Untergewicht zu verbergen.
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Der Bewohner zeigt selbstverletzendes Verhalten.
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Der Bewohner weigert sich, Fortschritte im
Heilungsprozess zur Kenntnis zu nehmen und sich darüber zu freuen. Also
etwa, wenn die Funktionsfähigkeit teilweise zurückkehrt oder sich das
äußerliche Erscheinungsbild verbessert.
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Verbale Hinweise
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Der Bewohner verwendet für die betroffenen Körperteile Bezeichnungen wie "es", "das da unten" usw.
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Der Bewohner klagt darüber, dass ein
Körperteil seine Funktion nicht mehr ausführen kann. Er äußert negative
Gefühle hinsichtlich seines Körpers. Er bezeichnet diesen als
"schmutzig", "hässlich", "abstoßend" usw.
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Der Bewohner berichtet über Ängste, aufgrund seines Äußeren von Mitmenschen abgelehnt zu werden.
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Der Bewohner betont wiederholt, dass sein
Körper "in jungen Jahren" besser aussah. Es kommt zur Überbewertung von
erbrachten Leistungen sowie der noch vorhandenen Kräfte.
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Der Bewohner klagt häufig darüber, dass er das (amputierte) Körperteil vermisst.
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Der Bewohner äußert Schuldgefühle wegen seines Körperzustands.
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Der Bewohner vergleicht sein Aussehen mit dem
der Mitbewohner. Er kommt stets zum Ergebnis, dass die Mitbewohner
besser aussehen.
-
Der Bewohner macht ein Körperteil für die verschlechterte Lebensqualität verantwortlich.
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Der Bewohner versucht, das Thema "totzuschweigen".
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soziales Leben
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Das Rollenverhalten ändert sich, insbesondere der Umgang mit dem Lebenspartner.
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Der Bewohner zieht sich zurück und reduziert sein soziales Verhalten.
Maßnahmen
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Durch ein gutes Schmerzmanagement stellen wir sicher, dass der Bewohner seinen Körper nicht als Qual erlebt.
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Nach einem operativen Eingriff raten wir dem
Bewohner dazu, die psychosoziale Nachsorge in Anspruch zu nehmen.
Insbesondere kann ein Rehabilitationsaufenthalt sehr sinnvoll sein.
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Bei der Versorgung von künstlichen Körperöffnungen wird der Anteil des Bewohners an den Pflegemaßnahmen schrittweise erhöht.
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Bei verbrannten oder vernarbten Hautflächen kann der Bewohner zunächst Hautpflegemittel anwenden.
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Wir unterstützen den Bewohner bei der Wahl der Kleidung, beim Frisieren und beim Schminken.
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Wir stellen einen großen Spiegel in das Zimmer des Bewohners, damit sich dieser betrachten kann.
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Wir unterstützen den Bewohner bei der Kontaktaufnahme mit der Außenwelt, begleiten ihn z. B. bei einem Besuch ins Café.
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Wir suchen den Dialog mit Angehörigen und mit
Freunden. Wir bitten diese, den Bewohner weder zu überfordern, noch
diesen zu bemitleiden.
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Wir prüfen, ob das Körperbild durch Prothesen wieder hergestellt werden kann, etwa nach einer Brustamputation.
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Wir vermitteln dem Bewohner den Kontakt zu Selbsthilfegruppen, zu Beratungszentren oder zu therapeutischen Einrichtungen.
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Wir ermuntern den Bewohner, seinen eigenen Körper zu malen. Wir sprechen danach über seine und unsere Eindrücke.
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Gemeinsam mit der Ergotherapie führen wir
Übungen durch, die dem besseren Kennenlernen des Körpers und der
Regulierung der Körperfunktionen dienen, etwa der Atmung, der Spannung
und der Entspannung, der Bewegung, der Haltung usw.
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Der Zustand des Bewohners wird regelmäßig in
Fallbesprechungen thematisiert. Es ist wichtig, dass innerhalb des
Pflegeteams Konsens hinsichtlich der weiteren Maßnahmen besteht.
Nachbereitung:
Prognose
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Zumeist lässt eine Körperbildstörung im Laufe
der Zeit wieder nach. Langfristig passen sich die meisten Bewohner an
die Situation an und akzeptieren diese.
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Ein wichtiger Faktor bei der Einschätzung der
Heilungsaussichten ist die Wichtigkeit der verlorenen Extremität oder
der Körperfunktion. Ein ehemaliger Berufsmusiker wird wahrscheinlich
die Amputation eines Beins leichter verkraften als den Verlust des
Gehörs. Bei einem Fußballspieler ist dieses zumeist genau gegenteilig.
Allgemeines
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Alle Beobachtungen werden sorgfältig dokumentiert.
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Die Pflegeplanung des Bewohners wird regelmäßig aktualisiert.
Dokumente:
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
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