pqsg mobil
Start Suche Service
Diese Seiten wurden für Smartphones optimiert. Für die PC-Version klicken Sie bitte hier.

Standard " Pflege von Senioren mit einer Abführmittelabhängigkeit"

Einen alten Menschen von Abführmitteln zu entwöhnen, ist oft schwieriger, als einen Alkoholiker von der Flasche zu bekommen. Zumeist ist die Abhängigkeit so weit gefestigt, dass Pflegekräfte wohl oder übel mit den zahlreichen Folgen leben müssen.


Standard "Pflege von Senioren mit einer Abführmittelabhängigkeit"


Definition:

  • Bedingt durch ballaststoffarme Ernährung, beeinträchtigte Darmperistaltik oder als Nebenwirkung von Medikamenten (z. B. Opioide oder Antazida) kann es zu Funktionsstörungen im Magen-Darm-Trakt kommen. Diese zeigen sich durch eine verzögerte Darmpassage oder durch Obstipation (Verstopfungen). Laxanzien (Abführmittel) beschleunigen durch verschiedene Wirkungsmechanismen die Stuhlentleerung.
  • Laxanzien werden in unserer Gesellschaft viel zu oft und unkritisch eingesetzt. Eine Obstipation lässt sich zumeist auch durch schonende Strategien vermeiden oder auflösen, etwa durch mehr ballaststoffreiche Nahrung, vermehrte Flüssigkeitsaufnahme sowie durch intensivierte körperliche Bewegung.
  • Befördert wird der unnötige Konsum auch durch Werbung im Fernsehen oder in Printprodukten, die den Eindruck erweckt, dass sich eine ungesunde Lebensführung durch die Einnahme von Medikamenten kompensieren ließe. Zudem wird eine gute Verträglichkeit der Laxanzien vorgegaukelt.
  • Die Gefahr einer langfristigen Laxanzieneinnahme besteht darin, dass sich der Körper an die Präparate gewöhnt. Um eine konstante Stuhlentleerung sicherzustellen, müssen Betroffene die Dosis ständig erhöhen und immer gravierendere Nebenwirkungen erdulden.

Grundsätze:

  • Abführmittelabhängigkeit ist kein Tabuthema. Wir sprechen diese Krankheit offen an und verheimlichen sie nicht.
  • Jeder Bewohner hat trotz aller Risiken das Recht, Abführmittel in jeder gewünschten Menge zu sich zu nehmen. Pflegekräfte können dem Bewohner zwar eine Änderung seines Verhaltens nahelegen, eine Wegnahme der Präparate ist jedoch nicht möglich.
  • Wir enthalten uns jeder moralischen Bewertung zum Verhalten des Suchtkranken. Unabhängig von der Verschuldensfrage leisten wir jedes uns mögliche Maß an Hilfe.

Ziele:

  • Dem Bewohner sind die Risiken bewusst. Er weiß, mit welchen gesundheitlichen Folgen der regelmäßige Laxanzienkonsum verbunden ist.
  • Die Abhängigkeit wird überwunden. Der Bewohner ist in der Lage, ohne Laxanzien abzuführen.
  • Falls die Sucht nicht überwunden werden kann, sollte zumindest die Dosis der regelmäßig eingenommenen Laxanzien schrittweise reduziert werden. Zudem sollten aggressive Präparate sukzessive gegen schonendere Wirkstoffe ersetzt werden.
  • Wenn der Bewohner nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Sucht zu überwinden, werden zumindest die gesundheitlichen Risiken reduziert. Wir kompensieren Mangelzustände durch eine angepasste Ernährung. Körperliche Gefahrensituationen werden schnell erkannt.
  • Es erfolgt keine Suchtverlagerung, etwa zu Zigaretten oder in Richtung Alkohol.
  • Die finanziellen Ressourcen des Bewohners werden geschont. Der Bewohner kauft keine unnötigen Medikamente.

Vorbereitung:

Verdachtsmomente für eine Abführmittelabhängigkeit

  • Die Diagnose einer Abführmittelabhängigkeit fällt sehr schwer, wenn diese vom Betroffenen bewusst verschwiegen wird. I. d. R. sind Suchtkranke psychisch unauffällig. Sie haben im Laufe der Jahre oder Jahrzehnte Strategien entwickelt, um die Sucht zu verbergen. Sie offenbaren sich häufig weder den Pflegekräften noch dem Arzt.
  • Oftmals bemerken Pflegekräfte die Sucht erst, wenn die typischen körperlichen Nebenwirkungen eines jahrelangen Laxanzienabusus auftreten. Dazu zählt primär Durchfall. Es kann auch zu Blähungen und zu leichten Bauchkrämpfen kommen. Spätestens, wenn gravierende Symptome wie Herzrhythmusstörungen, Blasenlähmungen und Leberstörungen auftreten, sollte der Bewohner nachdrücklich auf eine Abführmittelabhängigkeit angesprochen werden.
  • Wir thematisieren etwaige Suchterkrankungen im Rahmen des Erstgesprächs. Wenn Essstörungen zu vermuten sind, muss immer auch nach einer Abführmittelabhängigkeit gefragt werden. Insbesondere Menschen, die an Bulimie oder an Anorexie leiden, verwenden häufig Abführmittel. Oftmals ist es dabei sinnvoll, den Dialog mit den Angehörigen unter vier Augen zu suchen. Mitunter ist die Sucht innerhalb der Familie bekannt.
  • Wenn es hinreichende Anzeichen für einen Abführmittelmissbrauch gibt, so wird dieser Verdacht im Rahmen einer Fallbesprechung diskutiert. Häufig haben einzelne Pflegekräfte kleine Beobachtungen gemacht, die für die Gesamtbetrachtung relevant sind.
  • Pflegekräfte reagieren sensibel darauf, wenn ein Bewohner gehäuft nach Abführmitteln fragt oder zu diesem Thema Informationen wünscht.
  • Pflegekräfte achten auf Medikamente, die im Wohnumfeld des Bewohners liegen und offensichtlich nicht vom Hausarzt verschrieben wurden. Die meisten Suchtpatienten bevorzugen kleine Tabletten oder Tropfen, da diese diskret eingenommen werden können.
  • Wie bei anderen Suchtstoffen bedeutet der Heimeinzug oftmals eine Unterbrechung der gewohnten Beschaffungsstrategien; also etwa, weil nun keine Apotheke fußläufig zu erreichen ist. Aufgrund des abrupten Zwangsentzugs kann es zu gravierenden Komplikationen bis hin zum Darmverschluss kommen.
  • Mitunter wird auch offensichtlich, dass der Suchtkranke Mitbewohner, Angehörige oder Freunde mit der Beschaffung bei der Apotheke beauftragt. Jüngere Abhängige nutzen Onlineapotheken; es werden also regelmäßig entsprechende Pakete angeliefert.
  • Die Abführmittel müssen auf eigene Kosten beschafft werden. Bei Bewohnern, die lediglich Taschengeld erhalten, führt dieses mitunter zu chronischer Geldknappheit. Dieses ist insbesondere dann auffällig, wenn keine anderen offensichtlichen Ausgaben vorliegen.

Informationssammlung

Wir sammeln Informationen, die für die Risikobewertung relevant sind:

  • Wie lange nimmt der Bewohner die Laxanzien bereits ein?
  • Welche Laxanzien nimmt der Bewohner ein?
  • Wie hoch ist die aktuelle Dosis?
  • Musste der Bewohner die Dosis bereits steigern?
  • Gelang es dem Bewohner bereits einmal, die Abhängigkeit zumindest zeitweise zu überwinden?
  • Welche Folgen treten auf, wenn der Bewohner die Laxanzien reduziert oder absetzt?
  • Unter welchen Nebenwirkungen der Laxanzien leidet der Bewohner aktuell?
  • Ist der Bewohner gewillt, seine Lebensweise zu ändern, um den Konsum von Laxanzien unnötig zu machen?

Durchführung:

Beratung des Bewohners.

  • Wir prüfen, welchen Zweck der Bewohner mit der Abführmitteleinnahme verfolgt.
    • In vielen Fällen liegt tatsächlich eine Verstopfung vor, die der Bewohner medikamentös therapieren möchte.
    • Darüber hinaus verwenden insbesondere Frauen Laxanzien dazu, um eine Gewichtsabnahme anzustreben. Betroffene leiden häufig zusätzlich unter Bulimie. Nach einer sog. “Fressattacke” nehmen diese Betroffenen Abführmittel ein, um die Nahrung möglichst schnell wieder aus dem Körper zu befördern. Wir verdeutlichen diesen Bewohnerinnen, dass eine Gewichtsreduktion auch deutlich schonender erreicht werden kann, etwa durch eine Umstellung der Ernährung.
    • Mitunter sind Wahnvorstellungen mitursächlich. Dazu zählt etwa die Annahme, dass der Körper durch den Stuhl innerlich vergiftet würde, weshalb der Darminhalt so schnell wie möglich zu entleeren wäre.
    • In seltenen Fällen nehmen psychisch Kranke bewusst Abführmittel ein, um eine Diarrhoe zu provozieren. Sie erhoffen sich dadurch Aufmerksamkeit und Zuwendung von den Pflegekräften.
  • Wir beraten den Bewohner, wenn er falsche Vorstellungen über die normale Frequenz eines Stuhlgangs hat. Es ist völlig ausreichend, wenn er alle drei Tage Stuhlgang hat.
  • Wir informieren den Bewohner über nichtmedikamentöse Optionen, um eine Obstipation zu verhindern. Dazu zählen insbesondere eine Umstellung der Ernährung sowie körperliche Bewegung und Sport. Die Vorgaben des Pflegestandards Obstipationsprophylaxe werden sorgfältig umgesetzt.
  • Wir prüfen, ob der Bewohner aufgeschlossen für naturheilkundliche Verfahren ist. Ggf. akzeptiert er homöopathische Mittel oder milde Hausmittel als Ersatz für die konventionellen Abführmittel.
  • Wir erläutern dem Bewohner, dass er durch den Einsatz von Laxanzien in einen Teufelskreis geraten kann. Die längerfristige Einnahme von Abführmitteln führt häufig zur Gewöhnung und zu Elektrolytstoffwechselstörungen. In deren Folge kann sich eine bereits bestehende Obstipation verstärken. Betroffene greifen dann häufig erneut zum Abführmittel und steigern die Dosierung.
  • Wir informieren den Bewohner über die gesundheitlichen Risiken einer dauerhaften Abführmitteleinnahme. Insbesondere kann es zu einer strukturellen Schädigung des Darms kommen.

weitere Maßnahmen

  • Für die Überwindung der Abführmittelabhängigkeit ist es notwendig, zunächst den Stuhlgang zu normalisieren. Dafür muss die Fehlernährung (also insbesondere der Ballaststoffmangel) beseitigt werden.
  • Wenn sich der Bewohner dazu bereit erklärt, den Missbrauch der Laxanzien zu beenden, so muss dieses schrittweise und ausschleichend erfolgen. In keinem Fall dürfen die Abführmittel abrupt abgesetzt werden. Wir arbeiten eng mit dem behandelnden Hausarzt zusammen, um den langfristigen Entzug zu planen.
  • Wir achten auf unerwünschte Nebenwirkungen der längerfristigen Einnahme von Abführmitteln. Dazu zählen etwa Flüssigkeitsverluste bis hin zur Exsikkose. Sehr häufig treten auch Elektrolytverluste auf, insbesondere Kaliumverluste.
  • Wir informieren den behandelnden Hausarzt über jeden Verdacht einer Abführmittelabhängigkeit. Dieses ist notwendig, da es jederzeit zu Wechselwirkungen mit anderen verschriebenen Arzneimitteln kommen kann.
  • Wir beachten, dass bei einer Abführmittelabhängigkeit auch das Suizidrisiko erhöht ist.

Nachbereitung:

  • Alle Maßnahmen werden sorgfältig dokumentiert. Insbesondere muss aus der Dokumentation deutlich hervorgehen, dass wir dem Bewohner regelmäßig Unterstützung bei der Überwindung der Sucht anbieten. Klar muss auch sein, dass der Bewohner die Laxanzien gegen unsere Empfehlung einnimmt.
  • Die Pflegeplanung bzw. die Maßnahmenplanung wird an die aktuelle Entwicklung angepasst.

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • Pflegeplanung / Maßnahmenplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • Pflegefachkräfte
  • Pflegehilfskräfte



pqsg Impressum, AGB / Datenschutz