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Standard "Milieutherapie"

Immer zahlreicher eröffnen Pflegeeinrichtungen, die von A bis Z nur auf die Versorgung von verwirrten Bewohnern ausgerichtet sind. Da verlaufen Flure in Form einer 8, die Eingänge sind perfekt gesichert und alle Gebäudeteile sind ebenerdig. Ältere Pflegeheime geraten zumindest optisch leicht ins Hintertreffen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie in Ihrer Einrichtung die zentralen Vorgaben der Milieutherapie umsetzen können - ohne gleich den Abrissbagger zu bestellen.


Standard "Milieutherapie"


Definition:

  • Demenzpatienten benötigen eine konstante Umwelt und einen Tagesablauf, der sich über Wochen möglichst wenig verändert. Sie sollten daher so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung der eigenen Häuslichkeit verbleiben. Mit Fortschreiten der hirnorganischen Schädigungen ist aber eine ambulante Versorgung häufig nicht mehr möglich. Der Pflegebedürftige muss daher in eine stationäre Einrichtung übersiedeln. Hier findet er eine vollkommen unbekannte Umgebung vor und muss sich einem fremd bestimmten Tagesablauf unterordnen. Der Bewohner muss also einen Anpassungsprozess leisten, obwohl er selbst demenziell schwer erkrankt ist. In der Folge kommt es insbesondere in den ersten Wochen nach dem Heimeinzug oft zu einer Intensivierung der Verwirrtheit.
  • Ein häufiges Symptom der Demenz ist die Weglauftendenz (oder “Hinlauftendenz”). Der Bewohner äußert, dass er “nach Hause” gehen will. Damit ist jedoch nicht zwangsläufig gemeint, dass der Bewohner wirklich nach Hause will. Häufig drückt er lediglich aus, dass er sich im Pflegeheim fremd fühlt und sich in die Sicherheit und Vertrautheit seiner eigenen Häuslichkeit zurückwünscht.
  • Die Milieutherapie soll einem demenziell erkrankten Senioren die Umstellung erleichtern. Sie wurde ursprünglich für psychiatrische Einrichtungen entwickelt, kommt heute aber auch in vielen Pflegeheimen zum Einsatz. Der Milieutherapie liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Mensch nicht nur seine Umwelt beeinflusst, sondern gleichzeitig auch selbst von ihr beeinflusst wird. Ein Mensch wird sich im Fußballstadion anders verhalten als in der Kirche. Bei Demenzpatienten soll sich somit das Milieu auf die Entstehung, auf den Verlauf und auf die Heilung von Krankheiten auswirken.
  • Je stärker eine demenzielle Erkrankung fortschreitet, umso weniger ist der Betroffene in der Lage, sich der Umwelt anzupassen. Daher zielt die Milieutherapie darauf, die Umwelt so zu gestalten, dass der Bewohner weder unter- noch überfordert wird und sich insbesondere nicht bedroht fühlt.
  • In der Pflegeforschung gibt es keine einheitliche Definition zum Begriff “Milieutherapie”. In diesem Standard konzentrieren wir uns auf die drei Bereiche “architektonische Umgebung”, “soziales Umfeld” und “Tagesstrukturierung”.
  • Wir passen den Wohnraum daher an die Bedürfnisse der demenziell erkrankten Senioren an. Er soll anregend auf den Bewohner wirken und es ihm ermöglichen, sich darin zurechtzufinden. Zudem muss der Wohnraum ein großes Maß an Schutz bieten.

Grundsätze:

  • Eine gute Biografiearbeit ist das Fundament der Milieutherapie. Wenn wir nicht wissen, was für eine Persönlichkeit der Bewohner wirklich ist, können wir auch keine für ihn optimale Umgebung schaffen.
  • Die Milieutherapie ist nicht abhängig von der Architektur. Auch ältere Einrichtungen können dieses Konzept nutzen.
  • Wir passen die Rahmenbedingungen an unsere demenziell erkrankten Bewohner an - und nicht umgekehrt.
  • Klare Strukturen sind kein Zwang. Sie bieten Demenzpatienten Sicherheit. Trotz des strukturierten Tagesablaufs muss aber auch ausreichend Raum für individuelle Bedürfnisse des Bewohners bleiben.

Ziele:

  • Wir schaffen eine möglichst wohnliche Umgebung. Der Pflegebedürftige fühlt sich in unserer Einrichtung zu Hause.
  • Der Bewohner kann ein möglichst “normales” Leben führen. Er wird weder über- noch unterfordert.
  • Krankheitsbedingte Einschränkungen werden kompensiert.
  • Angst, Unruhe und Aggressionen werden gemildert.
  • Wir können auf den Einsatz von Psychopharmaka verzichten.
  • Bestehende Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags bleiben so lange wie möglich erhalten. Der Bewohner lebt so autonom wie möglich.
  • Wir schaffen eine intakte Beziehung zwischen Pflegekraft und Bewohner.
  • Wir sorgen für eine sichere Umgebung. Dazu zählt in erster Linie eine möglichst umfassende Sturzprophylaxe.

Vorbereitung:

Organisation

  • Wir müssen uns bewusst machen, dass unsere Pflegebedürftigen aus ganz unterschiedlichen Lebensumgebungen kommen. Es gibt somit nicht “das eine Milieu”, das für alle Bewohner passt. Manche der Bewohner sind konservativ und andere liberal, einige schüchtern und andere aufgeschlossen. Einige mögen die Beatles, andere Roy Orbison.
  • Daher ist es wichtig, im Rahmen der Biografiearbeit alle für die Milieutherapie relevanten Informationen zu gewinnen. Angehörige sind dabei sehr wichtige Kooperationspartner. Sie können uns die Lebenswirklichkeit des Bewohners beschreiben, wenn sich dieser aufgrund der Demenz nicht mehr verbal verständlich machen kann.
  • Viele Senioren haben trotz Demenz sehr konkrete Vorstellungen, wie sie den Tag verleben möchten. Pflegekräfte prüfen daher, welche Wünsche realistisch und umsetzbar sind.

Fortbildungen und Personalorganisation

  • Die Umsetzung der Milieutherapie erfordert ein hohes Maß an Qualifizierung. Daher werden unsere Mitarbeiter regelmäßig geschult. Schwerpunkte sind:
    • einfühlsames und biografisches Arbeiten mit demenziell veränderten Personen
    • basale Stimulation
    • Snoezelen
    • Validation
    • 10-Minuten-Aktivierung
    • individuelle Einzelbeschäftigung
    • Tagesgestaltung
  • Ausgewählte Mitarbeiter werden in externen Weiterbildungen zur „Pflegefachkraft Schwerpunkt Gerontopsychiatrie“ weiterqualifiziert.

Durchführung:

Architektur

  • Die Gebäudestruktur sollte übersichtlich und einfach zu erfassen sein. Die Wegführung innerhalb der Wohnbereiche muss eindeutig sein.
  • Wir bevorzugen einfache Raumstrukturen mit großen Fenstern und Glastüren (Aufkleber mit Raubvogelsilhouette nicht vergessen). Allerdings sollte die Verglasung nicht bis zum Boden reichen.
  • Der Wohnbereich hat einen Zugang zum Garten.
    • Der Garten ist mit einem Zaun und mit einer verschlossenen Pforte umfriedet.
    • Bei der Pflanzengestaltung achten wir darauf, dass der Garten nicht zuwuchert. Er muss für die Pflegekräfte komplett einsehbar bleiben.
    • Es gibt keine giftigen, stechenden oder reizenden Pflanzen.
    • Alle Wege sind als Rundwege angelegt und so breit, dass zwei Menschen nebeneinander gehen können.
    • Es gibt Sitzplätze in der Sonne und im Schatten.
  • Unsere Ausgänge sind so gestaltet, dass diese entweder permanent beaufsichtigt werden, mit einem Alarmsystem ausgestattet sind oder in einen gesicherten Teil des Gartens führen.
  • Es gibt einen klar erkennbaren Haupteingang. Hier befinden sich zusätzliche Sitzmöglichkeiten, die es dem Bewohner erlauben, das Kommen und Gehen zu verfolgen.
  • Räume, in denen Freizeit- und Betreuungsangebote stattfinden, sollten sich entweder innerhalb des Wohnbereichs befinden oder in dessen unmittelbarer Nähe.
  • Jeder Wohnbereich sollte einen wohnlichen Mittelpunkt haben, also etwa ein Wohnzimmer mit vielen Sitzmöglichkeiten.
  • Das Dienstzimmer sollte sich in unmittelbarer Nähe zum wohnlichen Zentrum des Wohnbereichs befinden.
  • Wir achten darauf, die Zimmertemperatur (soweit möglich) bei rund 21 °C. zu halten. Höhere Temperaturen führen zumeist zu größerer Gereiztheit und zu Aggressionen.

Innengestaltung

  • Die Türen wichtiger Orte, wie etwa das WC oder der Gemeinschaftsraum, können in Signalfarben gestrichen sein. Die angebrachten Hinweisschilder sollten Piktogramme enthalten, damit auch solche Bewohner sie verstehen, die nicht mehr lesen können.
  • Türen zu verschlossenen Räumen, die Bewohner nicht betreten sollen (etwa Haushalts- und Lagerräume), werden in der gleichen Farbe wie die Wand gestrichen.
  • Die Türen der Bewohnerzimmer werden mit einem Namensschild und mit einem Foto des Bewohners kenntlich gemacht.
  • Wir vermeiden stark spiegelnde Oberflächen wie etwa Glastische. Wandspiegel sollten nicht zu groß gewählt werden. Insbesondere lange Ankleidespiegel können bedrohlich wirken.
  • Soweit uns dieses möglich ist, darf der Bewohner Teile seines Mobiliars mit in die Einrichtung nehmen.
  • Wir geben dem Bewohner die Möglichkeit, eigene Fotos und Bilder an die Wand zu hängen.
  • Lange Flure werden mit Sitzecken versehen. Wir bieten insbesondere Sitzbereiche an, in denen sich Bewohner ungestört unterhalten können. Eine weitere Möglichkeit wäre eine "Büroecke" mit entsprechender Ausstattung einzurichten. Dort können Bewohner "zur Arbeit oder Schule" gebracht werden. Auch Pflegekräfte könnten diesen Platz nutzen und Kontakt zu den Bewohnern halten.
  • Die Wände und die Böden sind dezent gestaltet. Wir vermeiden knallige Farben ebenso wie starke Kontraste und verwirrende Muster. Der Boden sollte keine starken Farbwechsel aufweisen. Wir vermeiden im Bodenbereich auch dunkle Farben; insbesondere Schwarz. Der Bewohner könnte sonst einen Abgrund oder ein Loch vor sich erkennen.
  • Die Wohnbereiche unterscheiden sich durch eine optische Gestaltung deutlich voneinander. Der Bewohner muss in der Lage sein, seinen Wohnbereich auf einen Blick wieder zu erkennen.
  • Wir statten den Wohnbereich mit alten Schränken, Tischen, Stühlen usw. aus. Dabei achten wir allerdings darauf, dass von diesen Möbeln keine erhöhte Unfallgefahr oder hygienische Risiken ausgehen.
  • Wir legen verschiedene Bücher und Zeitschriften im Wohnbereich aus.
  • Wir halten Dinge zum Kramen, Sortieren und Räumen bereit, also etwa Wäschestücke zum Falten usw.

Sicherheit

  • Die gesamte Einrichtung sollte barrierefrei gestaltet werden. Mögliche Stolperfallen werden konsequent beseitigt.
  • Wir sorgen für eine gute Beleuchtung mit mindestens 500 Lux. Die Beleuchtung sollte schattenfrei erfolgen.
  • In der Nacht werden Flure und andere Gefahrenpunkte mit einem Dämmerlicht ausgeleuchtet.
  • An exponierten Stellen bringen wir Haltegriffe an.

Atmosphäre

  • Unnötig laufende Radios und Fernseher werden konsequent ausgeschaltet. Eine visuelle und akustische Dauerberieselung werden vermieden. Sofern Radios und Fernseher laufen, sollte ein Programm gewählt werden, das auf die Bewohner (und nicht auf die Pflegekräfte) zugeschnitten ist.
  • Wir versuchen insbesondere monotone Geräuschquellen zu dämpfen, wie etwa die Wasserpumpen der Heizung oder die Motoren des Aufzugs.
  • Pflegekräfte sollten
    • nicht laut über den Flur rufen, etwa nach einem Kollegen.
    • lieber zügig gehen als schnell laufen.
    • Türen vorsichtig öffnen und schließen; diese also weder aufreißen noch zuschlagen.
    • ihre Parfümnote über längere Zeit beibehalten, da sie von demenziell erkrankten Bewohnern auch am Geruch erkannt werden können.
    • Ruhe und Verständnis ausstrahlen.
    • stets ein Namensschild tragen.

soziales Umfeld

  • Die Wohngruppen sollten mit zehn bis zwölf Personen eine übersichtliche Größe haben.
  • Die Wohngruppen werden geschlechtlich gemischt zusammengesetzt. Wir respektieren das Recht jedes Bewohners auf ein Intimleben.
  • Zum Essen werden die Bewohner in Tischgemeinschaften organisiert. Bei der Zusammensetzung berücksichtigen wir die Fähigkeiten der Senioren. So sollten etwa Senioren, die ausschließlich mit den Fingern essen, in einer Gruppe zusammengefasst werden. Dabei sollte das Essen gleich als Fingerfood angeboten werden.
  • Wir setzen konsequent auf Bezugspflege. Falls die Bezugspflegekraft krank ist oder dienstfrei bzw. Urlaub hat, sollten die Ersatzkräfte möglichst selten wechseln.
  • Wir achten auf eine enge Zusammenarbeit aller Mitarbeiter in unserer Einrichtung. Gemeinsam mit der Hauswirtschaft erarbeiten wir ein gemeinsames Konzept und orientieren uns an einem einheitlichen Pflegeverständnis.
  • Allen Pflegekräften muss bewusst sein, dass die Fähigkeiten des Bewohners von Tag zu Tag schwanken können.
  • Wir ermöglichen unseren Bewohnern den Kontakt zu Haustieren. Dieses einerseits durch die in unserer Einrichtung lebenden Katzen, andererseits durch regelmäßige Besuche von Hundehaltern im Rahmen des Tierbesuchsdiensts.
  • Wir ermuntern Angehörige, auch die Enkel oder andere kleine Kinder mit in die Einrichtung zu bringen.

Tagesstrukturierung

  • Wir schätzen für jeden Bewohner individuell die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeiten ab. Abhängig von diesen Eindrücken planen wir den Tagesablauf. Dieser setzt sich aus Aktivitäten und aus Ruhepausen zusammen.
  • Von der einheitlichen Tagesstrukturierung wird nicht ohne Grund abgewichen. Das sich stetig wiederholende Tagesgeschehen ist für den Pflegebedürftigen eine wichtige Orientierung. Der Bewohner muss das Gefühl haben, seinen Tagesablauf vorhersagen und kontrollieren zu können.
  • Der Beginn der Essenszeit wird akustisch mit einem Gong angekündigt.
  • An exponierten Stellen unserer Einrichtung hängen wir große Kalender und Uhren auf. Die Uhren haben ein analoges Zifferblatt.
  • Wir bieten unseren Bewohnern verschiedene Freizeitaktivitäten an. Diese werden in Tages- und Wochenplänen gut leserlich am Schwarzen Brett bekannt gegeben.
  • Bewohner mit einer Störung des Tag/Nacht-Rhythmus werden ggf. auch in der Nacht betreut (sog. Sundowning-Störung). Unser Nachtdienst hält Getränke und Spätmahlzeiten bereit. Bewohner, die in der Nacht noch lange aktiv waren, werden am Morgen entsprechend später geweckt. Wir vermeiden allerdings, dass sich etwa durch einen zusätzlichen Mittagsschlaf der Tag/Nacht-Rhythmus komplett umkehrt.
  • Wir pflegen eine ganze Reihe von Ritualen. Dazu zählen etwa ein Tischgebet, Geburtstagsrituale usw. Wir nehmen Rücksicht auf persönliche Rituale. Beispiel: Der Bewohner liest stets am Mittwoch seine Wochenzeitung “die Zeit”.
  • Wir nutzen Pflegemaßnahmen, um die Woche zu strukturieren. Davon sollte nicht abgewichen werden. Beispiel: Am Mittwoch wird immer der Bart des Bewohners nachgeschnitten. Und stets am Donnerstag wird er gebadet.
  • Wir stellen sicher, dass das Speisenangebot die Orientierung innerhalb der Woche erleichtert. Der Dienstag ist stets der “Currywursttag”. Am Freitag hingegen gibt es immer Fisch. Das bedeutet im Umkehrschluss für den Demenzpatienten: Wenn es heute Currywurst gibt, findet am Nachmittag der Sitztanz statt, und am Abend ist (immer am Dienstag) Kinoabend. Wenn es heute aber Fisch gibt, ist morgen Wochenende. Und am Wochenende kommt immer der Familienbesuch.

Nachbereitung:

  • Die Reaktionen des Bewohners werden genau dokumentiert.
  • Die Ergebnisse und Erfahrungen werden regelmäßig in Fallbesprechungen und in der Dienstübergabe diskutiert.
  • Relevante Gesundheits- und Verhaltensveränderungen werden dem Hausarzt und der Pflegedienstleitung weitergemeldet.

Dokumente:

  • Pflegeplanung
  • Berichtsblatt
  • Leistungsnachweise

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • Bezugspflegekraft
  • weitere Pflegekräfte



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