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Notfallstandard
"Schädel-Hirn-Trauma (SHT)"
Unfälle mit Kopfverletzungen drohen nicht nur auf dem
Fahrradweg oder auf der Skipiste. Auch ein ganz normaler Sturz im
Wohnzimmer kann erhebliches Schädelbrummen verursachen. Pflegekräfte
müssen dann entscheiden, ob der Notarzt gerufen werden muss - oder ob
ein Eisbeutel reicht.
Notfallstandard
"Schädel-Hirn-Trauma (SHT)"
Definition:
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Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist eine
Sammelbezeichnung für Kopfverletzungen mit Hirnbeteiligung.
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In Deutschland erleiden jedes Jahr rund 270.000
Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma, in rund 2700 Fällen mit Todesfolge.
Hauptursache für Schädel-Hirn-Traumata sind Stürze, gefolgt von
Verkehrsunfällen.
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Bleibt bei dem Unfall die harte Hirnhaut
intakt, handelt es sich um ein "gedecktes" oder "geschlossenes"
Schädel-Hirn-Trauma. Wurde die harte Hirnhaut verletzt, dann liegt ein
"offenes Schädel-Hirn-Trauma" vor.
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Bei schweren Verletzungen kann es zu
Liquorfisteln kommen, wobei Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit oder
Gehirnmasse aus dem Ohr, aus der Nase oder aus dem Mund austritt.
Anhand der Glasgow-Koma-Skala (GKS) sowie der klinischen Symptomatik
werden drei verschiedene Schweregrade des Schädel-Hirn-Traumas
unterschieden:
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Bei einem leichten SHT ("Gehirnerschütterung")
ist das Gehirn lediglich kurzfristig in seiner Funktion gestört. Eine
Gewebeschädigung tritt nicht ein. Typische Symptome sind eine
kurzfristige Bewusstlosigkeit (max. fünf Minuten), Kopfschmerzen,
Schwindel, Übelkeit sowie Erbrechen. Die Amnesie ist zumeist retrograd,
bezieht sich also auf die Zeit kurz vor dem Unfall. Der GKS-Punktwert
liegt zwischen 13 und 15.
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Ein mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma
("leichte Gehirnprellung") ist bereits mit einer substanziellen
Hirnschädigung verbunden. Wir beobachten eine Bewusstlosigkeit von 5
bis 30 Minuten sowie veränderte Pupillen und eine umfassende Amnesie.
Oftmals umfasst die Amnesie sowohl die Zeit vor dem Unfall als auch
direkt danach. Weiterhin kommt es zu neurologischen Störungen wie
Hemiparese (Halbseitenlähmung), Aphasie (Sprachstörung) und
epileptischen Anfällen. Der GKS-Punktwert liegt zwischen 12 und 9.
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Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma
("Gehirnquetschung" oder "schwere Gehirnprellung") führt zu erheblichen
Hirnschädigungen, in deren Folge es zu einem intrakraniellen
Druckanstieg sowie zu einem Hirnödem kommen kann. Die Schädigung des
Hirnstamms verursacht zunehmende Beeinträchtigungen der
Vitalfunktionen. Betroffene klagen über Übelkeit, Erbrechen und starke
Kopfschmerzen. Wir beobachten eine veränderte Pupillenmotorik,
Streckkrämpfe sowie Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma. Der
GKS-Punktwert liegt unter 9.
Hinweise:
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Alternativ zur dreiteiligen Abstufung eines
Schädel-Hirn-Traumas gibt es auch eine Einteilung mit vier
Schweregraden.
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Die Beschreibungen für die Schweregrade
("Gehirnerschütterung", "leichte / schwere Schädelprellung" und
"Schädelquetschung") sind in der Literatur uneinheitlich.
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Viele der für ein Schädel-Hirn-Trauma üblichen
Symptome treten auch bei alterstypischen Grunderkrankungen auf, etwa
bei Diabetes mellitus oder bei Demenz. Dieses erschwert die
diagnostische Einschätzung.
Grundsätze:
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Ein Schädel-Hirn-Trauma ist zwar 'die' typische
Verletzung bei einem Verkehrsunfall, kann aber auch bei innerhäuslichen
Alltagssituationen auftreten. Dazu zählen Stürze, Kollisionen mit
Möbeln oder auch gewalttätige Handgreiflichkeiten etwa zwischen
Demenzpatienten.
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Für das Überleben nach einem schweren
Schädel-Hirn-Trauma ist die zeitnahe Einleitung einer Intensivtherapie
von entscheidender Bedeutung. Wir zögern daher nicht, einen Notarzt zu
rufen.
Ziele:
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Ein Schädel-Hirn-Trauma wird korrekt erkannt.
Durch eine zeitnahe notärztliche Versorgung werden Folgeschäden
minimiert.
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Nach Abschluss der ärztlichen Akutversorgung
erhält der Bewohner eine angemessene pflegerische Versorgung.
Vorbereitung:
Symptome
Wir achten auf die
typischen Symptome eines Schädel-Hirn-Traumas. Dieses insbesondere nach
jedem Unfall oder Sturz, bei dem der Kopf verletzt worden sein könnte.
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Der Bewohner wird bewusstlos vorgefunden. Oder
er äußert sich so, dass eine vorherige Ohnmacht angenommen werden kann.
(Beispiel: "Mir war schwarz vor Augen!")
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Es gibt eine Erinnerungslücke.
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Der Pflegebedürftige leidet unter Kopf- und
Nackenschmerzen. Er ist gegen Licht und gegen Geräusche überempfindlich.
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Der Betroffene berichtet von Schwindel und von
Übelkeit. Er übergibt sich.
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Der Bewohner klagt über Doppelbilder.
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Wir beobachten Krampfanfälle,
Lähmungserscheinungen und starkes Schwitzen.
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Es gibt Puls- und Blutdruckschwankungen.
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Flüssigkeit tritt aus der Nase und aus den
Ohren aus.
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Unter den Augen zeigt sich ein Bluterguss (sog.
"Brillenhämatom").
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Wir sehen unterschiedlich große Pupillen auf
der rechten und auf der linken Seite.
Durchführung:
Erstversorgung
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Zunächst sichern wir die Vitalfunktionen. Die
Pflegekraft macht die Atemwege frei. (Wenn Blut oder Liquor aus der
Nase fliesst, wird der Nasen-Rachen-Raum nicht nasal abgesaugt.) Falls
notwendig erhält der Bewohner Sauerstoff und wird beatmet.
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Der Bewohner wird auf Verletzungen untersucht.
Eine etwaige Wunde am Kopf wird steril verbunden. Fremdkörper belassen
wir in der Wunde, um eine Intensivierung der Blutung zu verhindern.
Wenn Hirnmasse sichtbar ist, wird diese nicht wieder zurückgeschoben.
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Wir prüfen die Pupillenreaktionen. Es ist
verdächtig, wenn es zu einer einseitigen Lichtreaktion kommt. (Eine
Pupille wird eng, die andere bleibt weit.) Wir beachten, dass bei
Patienten nach einer Staroperation diese Reaktion ausbleibt.
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Wenn die Symptomatik auf ein mäßiges oder
schweres Schädel-Hirn-Trauma hindeutet, muss immer auch von einem
gleichzeitigen Halswirbelsäulensyndrom ausgegangen werden. Der Bewohner
sollte so wenig wie möglich bewegt werden. Wir stabilisieren die
Halswirbelsäule. Er wird falls notwendig in eine Schocklage gebracht.
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Ansonsten begleiten wir ihn in sein Bett, wo er
bis zum Eintreffen des Notarztes bleiben soll. Er wird dort in eine
leichte 30°-Oberkörperhochlagerung gebracht. Dadurch reduzieren wir den
intrakraniellen Druck.
-
Wir stellen sicher, dass der Notarzt über
relevante Begleiterkrankungen informiert ist, insbesondere
Alkoholismus, Demenz, Drogenmissbrauch, Diabetes mellitus sowie
Epilepsie.
Abwägung eines
Notrufs
Wenn es einen
hinreichenden Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma gibt, wird in jedem
Fall der Notarzt gerufen. Wir verzichten auf einen Notruf nur dann,
wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
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Der Bewohner kann sich an den Unfallablauf
erinnern und darüber berichten.
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Aufgrund des Berichts des Bewohners (oder
anderer anwesenden Personen) ist davon auszugehen, dass er zu keinem
Zeitpunkt bewusstlos war.
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Ihm ist weder schwindelig noch übel.
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Es gibt keine neurologischen Störungen. Der
Bewohner spricht deutlich.
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Blutdruck und Pulsfrequenz sind unauffällig.
Hinweis: Wenn der Bewohner regelmäßig Blut verdünnende Medikamente
einnimmt, sollte er bereits bei einem milden Symptombild
sicherheitshalber den Arzt aufsuchen. Dieses betrifft Wirkstoffe wie
Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel, Phenprocoumon, Rivaroxaban usw.
Weiteres Vorgehen
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Falls ein Sturz ursächlich für die
Kopfverletzung sein sollte, werden die Vorgaben des Standards
"Maßnahmen nach einem Sturz" umgesetzt.
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Wir raten ggf. den Angehörigen, bei
mittelschweren oder schweren Schädel-Hirn-Traumata auf eine Verlegung
in eine Spezialklinik zu drängen. Diese sollte über eine
neurochirurgische Abteilung verfügen und damit in der Lage sein, nicht
nur die Verletzung an sich, sondern auch häufige Komplikationen zu
therapieren.
Nachbereitung:
Prognose
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Bei einer leichten SHT kommt es i. d. R. zur
vollständigen Rückbildung aller Symptome innerhalb von fünf Tagen.
Zumeist wird der Betroffene nach einer 24-stündigen Überwachung wieder
aus dem Krankenhaus entlassen.
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Die Folgen einer mittelschweren SHT klingen
innerhalb von 30 Tagen wieder ab. Defektheilungen sind möglich; diese
beschränken sich aber zumeist auf milde neuronale Störungen.
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Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma führt fast
immer zu bleibenden Funktionsstörungen bis hin zum apallischen Syndrom.
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Es kann zu rezidivierenden epileptischen
Anfällen kommen. In vielen Fällen zeigen sich überdies psychische
Veränderungen, insbesondere eine Antriebsarmut, Reizbarkeit, geringe
Stressresistenz sowie ein Nachlassen der intellektuellen Fähigkeiten.
Nach Rückkehr aus
dem Krankenhaus bei leichter SHT
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In den ersten Tagen nach der Rückverlegung aus
der Klinik sollte der Bewohner noch für ein bis zwei Tage Bettruhe
halten, falls er über erhebliche Kopfschmerzen oder über ein starkes
Krankheitsgefühl klagt. So zeitnah wie möglich wird er danach wieder
mobilisiert.
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Er erhält leichte Kost. Sein Zustand und
insbesondere die Vitalfunktionen werden engmaschig überwacht.
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Bei Kopfschmerzen applizieren wir ggf.
Analgetika. Acetylsalicylsäure ist wegen des gerinnungshemmenden
Effekts jedoch nicht geeignet.
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Soweit ärztlich verordnet, erhält der Bewohner
Antivertiginosa bei Schwindel sowie Antiemetika bei Übelkeit oder
Erbrechen.
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Der Einsatz von Sedativa sollte hinterfragt
werden, da diese Wirkstoffe eine Verschlechterung des
Bewusstseinszustands verschleiern könnten.
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Bei demenziell erkrankten Bewohnern ist in den
folgenden Tagen mit einer gesteigerten Unruhe zu rechnen. Diese kann
sich etwa durch eine intensivierte Weglauftendenz äußern. Das Verhalten
wird daher sorgfältig überwacht.
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Eine über Tage anhaltende Übelkeit kann dazu
führen, dass der Bewohner nicht ausreichend trinkt. Wir achten auf
Anzeichen für eine Dehydratation und leiten falls notwendig Maßnahmen
ein, um diese zu kompensieren.
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In den ersten Wochen nach dem Vorfall soll der
Bewohner keinen oder nur sehr wenig Alkohol trinken. Wir achten auf
Anzeichen einer Überempfindlichkeit.
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Wenn der Bewohner eine Woche nach dem Unfall
noch immer über Kopfschmerzen oder über andere Symptome klagt, sollte
er erneut seinen Hausarzt aufsuchen.
Nach Rückkehr aus
dem Krankenhaus bei mäßiger und schwerer SHT
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Die pflegerische Versorgung bei schwereren
Verläufen orientiert sich an den auftretenden Beeinträchtigungen, etwa
Wachkoma oder Hemiplegie.
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Für die meisten Patienten mit einem schweren
Schädel-Hirn-Trauma sind häufige Lagerungswechsel mit massivem Stress
verbunden. Dieser äußert sich durch instabile Herz-Kreislauf-Funktionen
sowie durch einen Anstieg des intrakraniellen Drucks. Wir wägen dieses
mit den Anforderungen an die Dekubitusprophylaxe ab.
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Bei allen pflegerischen Maßnahmen sollte eine
leichte Oberkörperhochlagerung beibehalten werden. Falls notwendig wird
der Kopf mit einer Kopfschale oder mit Kissen in der Mittelstellung
positioniert.
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Zur Stabilisierung des intrakraniellen Drucks
ist eine konsequente Obstipationsprophylaxe notwendig.
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Bei Senioren mit einem Schädel-Hirn-Trauma
sollten Wechseldrucksysteme nicht verwendet werden, da diese die
Wahrnehmungsfähigkeit des Bewohners beeinträchtigen und zu Spastiken
führen können.
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Wir halten Rücksprache mit dem behandelnden
Arzt, wann eine Spitzfußprophylaxe durchgeführt werden sollte. Diese
kann eine Tonussteigerung und folglich eine Erhöhung des
intrakraniellen Drucks verursachen.
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Das Gewicht des Bewohners wird regelmäßig
gemessen, um einen Gewichtsverlust frühzeitig zu erkennen und durch
eine angepasste Ernährung zu kompensieren.
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Sofern unser Haus fachlich mit der Versorgung
eines schwerstpflegebedürftigen SHT-Patienten überfordert ist, legen
wir den Angehörigen die Überführung in eine darauf spezialisierte
Pflegeeinrichtung nahe.
Dokumente:
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Berichtsblatt
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Vitaldatenblatt
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Unfallbericht
-
Sturzprotokoll / Ereignisprotokoll
Verantwortlichkeit
/ Qualifikation:
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