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Standard "Demenz / Schreien mit unbekannter Ursache"

Der Unterschied zwischen guter und schlechter Versorgung zeigt sich beispielhaft im Umgang mit anscheinend grundlos schreienden Demenzpatienten. Option A: Dem Pflegebedürftigen werden so lange Benzodiazepinderivate appliziert, bis er Ruhe gibt. Option B zeigen wir Ihnen hier.


Standard "Demenz / Schreien mit unbekannter Ursache"


Definition:

  • Im Verlauf einer demenziellen Erkrankung zeigen Betroffene mehr und mehr Verhaltensauffälligkeiten, wie etwa zielloses Umherwandern, Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. Ein weiteres Symptom ist anhaltendes, für uns grundloses Schreien.
  • Zwischen 12 bis 30 Prozent aller Demenzpatienten entwickeln im Verlauf der Erkrankung derartige Verhaltensauffälligkeiten. Die Symptomatik ist vielfältig. Einige Betroffene singen laut, andere rufen Sätze, Worte oder einzelne Silben. Viele Erkrankte schreien komplett unverständlich. Bei verständlichen Inhalten sind diese häufig obszön, etwa Schimpfworte.
  • Wenn Demenzpatienten die Fähigkeit zu einer verständlichen Kommunikation verloren haben, ist das Schreien häufig die letzte Option, um auf sich aufmerksam zu machen. Rufen und Schreien hat also immer eine Bedeutung, auch wenn uns diese verborgen bleibt.
  • Oftmals handelt es sich dabei um Selbststimulation. Der Bewohner kapselt sich von seiner Umgebung ab, ist in sich selbst versunken und spielt mit der eigenen Stimme.
  • Für das Umfeld ist das Schreien häufig eine große Belastung. Permanent schreiende Senioren lassen sich nur schwierig in ein soziales Umfeld integrieren. Nicht selten reagieren Mitbewohner auf lärmende Demenzpatienten mit Aggressivität. Besonders unerträglich ist die Situation für immobile Mitbewohner. Sie können sich nicht von der Geräuschquelle entfernen, sondern sind dem Lärm hilflos ausgeliefert. Sind sie selbst dement, können sie noch nicht einmal mitteilen, dass sie von dem Geschrei gestört werden. Zudem steigt das Risiko, dass auch deren Verwirrtheit steigt und sie ihrerseits damit beginnen zu schreien.
  • Das dauernde Schreien hat also pflegerelevante Auswirkungen auf die Mitbewohner. Wenn ein schreiender Demenzpatient im Speisesaal anwesend ist, reduzieren viele andere Bewohner ihre Nahrungsaufnahme, weil ihnen “der Appetit vergangen ist”. Zudem kommt es als Folge von nächtlicher Lärmbelästigung naturgemäß zu Schlafstörungen im gesamten Wohnbereich.
  • Hinzu kommt die negative Außenwirkung. Ein einziger permanent schreiender Demenzpatient kann den Eindruck des gesamten Wohnbereichs negativ prägen und Interessenten für einen Heimplatz abschrecken. Überdies häufen sich in städtischen Wohnlagen Beschwerden von Nachbarn, die sich durch das Schreien gestört fühlen.
  • In der Vergangenheit wurde dieses Verhalten vor allem mit Sedativa unterdrückt. Der Einsatz solcher Psychopharmaka erfordert immer die Zustimmung des Bewohners oder (bei fehlender Einwilligungsfähigkeit) eine richterliche Genehmigung. Inzwischen jedoch wird von diesem Vorgehen aufgrund der immensen Nebenwirkungen zunehmend abgesehen.
  • Ein weiteres nicht mehr zeitgemäßes Mittel zum Umgang mit schreienden Demenzpatienten ist die Isolation der Betroffenen. Tatsächlich jedoch intensiviert die Abgrenzung deren Verhalten. Isolierte Demenzpatienten schreien noch lauter.
Anmerkungen:
  • Im Grunde genommen ist die Situation des Demenzkranken vergleichbar mit der eines Babys. Er hat ein Bedürfnis oder einen Wunsch, kann sich aber verbal nicht verständlich machen. Die einzige Kommunikationsform ist das Schreien. Folglich ist auch das Vorgehen einer Pflegekraft vergleichbar mit dem einer Mutter. Es werden der Reihe nach so lange alle potenziellen Bedürfnisse geprüft und ggf. erfüllt, bis das Schreien nachlässt. Wie bei einem Baby kann auch schon Körperkontakt oder langsame rhythmische Schaukelbewegungen eine Normalisierung des Verhaltens bewirken.
  • Schreien als Folge einer hirnorganischen Degeneration ist nicht allein auf Menschen beschränkt, sondern tritt auch bei anderen Säugetieren auf. So äußert sich eine Demenz von Katzen ebenfalls u. A. durch grundloses Schreien.

Grundsätze:

  • Der Einsatz von Sedativa kommt erst dann in Betracht, wenn alle anderen Optionen zuvor ausgeschöpft wurden.
  • Scheinbar grundloses Schreien wird von uns nicht tabuisiert.
  • Auch schreiende Bewohner sind wertvolle Mitglieder unserer Hausgemeinschaft.

Ziele:

  • Wir finden den Grund für das Schreien. Das Bedürfnis des Bewohners wird soweit möglich erfüllt.
  • Der Bewohner schreit nicht mehr. Er kann sich sinnvoll beschäftigen.
  • Der Bewohner bleibt sozial integriert. Insbesondere bleibt der Kontakt zu Freunden und zu Angehörigen erhalten.

Vorbereitung:

Schreien kann verschiedene Gründe haben. Wir versuchen, diese zu finden.

  • körperliche Auslöser
    • Schmerzen
    • Hunger
    • Durst
    • Frieren
    • durchfeuchtete Vorlagen
    • Widerstand gegen Fixierungen
    • Reaktion auf Medikamente
  • psychische Auslöser
    • Angst, Hilferufe
    • Trauer
    • Erregung, Wut
    • Verfolgungswahn
    • Gefühl, von der Pflegekraft bei der Intimwäsche missbraucht zu werden; dieses insbesondere bei Opfern sexueller Gewalt
  • religiöse Auslöser
    • Klagen gegen Gott
    • Hilfeschrei nach Gott
  • soziale Auslöser
    • Einsamkeit
    • mangelnde positive Berührungen
    • Nachahmen von anderen Bewohnern, die ebenfalls schreien
    • Versuch, Aufmerksamkeit zu erreichen und Zuwendung zu erzwingen
(Hinweis: Die Suche nach dem Auslöser ist trotz intensiver Recherche in rund neun von zehn Fällen erfolglos.)

Durchführung:

  • Wir setzen konsequent auf das System der Bezugspflege.
  • Wir prüfen die Notwendigkeit einer strikt gleichgeschlechtlichen Pflege.
  • Wir erstellen eine Bewohnerbiografie und überprüfen, welche Rückschlüsse daraus gezogen werden können.
  • Im Umgang mit dem Bewohner bleiben wir stets ruhig. Lautstarke Vorwürfe werden dessen Verhalten nicht normalisieren.
  • Der Bewohner erhält Zuwendung, sobald er nicht mehr schreit. Wir verstärken damit „richtiges“ Verhalten. Wir führen dann etwa beruhigende Ganz- und Teilwaschungen durch. Ggf. wird der Bewohner massiert.
  • Snoezelen kann auch ein gutes Angebot sein, um eine Reizarmut zu überwinden.
  • Wir suchen den Kontakt mit Angehörigen und bitten diese darum, den Bewohner häufiger zu besuchen.
(Anmerkung: In der Praxis ist es oftmals genau gegenteilig. Angehörige von schreienden Bewohnern sehen keinen Sinn mehr in einem Besuch und verkürzen die Besuchsdauer. Der Bewohner schreit daraufhin noch mehr. Das wiederum führt dazu, dass die Angehörigen noch seltener zu Besuch kommen.)
  • Wir stellen den Kontakt zur Gemeinde her und bitten um den Besuch eines Geistlichen.
  • Sofern es in der Einrichtung Haustiere gibt, bringen wir diese mit dem Bewohner in Kontakt.
  • Der Bewohner wird für eine kurze Spazierfahrt in den Rollstuhl mobilisiert.
  • Wir setzen den Bewohner in einen Schaukelstuhl.
  • Der Bewohner wird in eine Nestlagerung gebracht.
  • Wir spielen dem Bewohner Musik vor, von der wir wissen oder glauben, dass er diese mag.
(Hinweis: Dieses gilt insbesondere bei Senioren, die permanent singen. Wer gerne singt, spricht oft positiv auf eine Musiktherapie an.)
  • Wir legen ein Stofftier in das Bett des Bewohners.
  • Wir bieten dem Bewohner Speisen oder Getränke an. Seine Vorlieben entnehmen wir der Pflegedokumentation.
  • Wir stellen sicher, dass das Hörgerät funktioniert und dass der Bewohner seine Brille trägt. Wir prüfen, ob der Gehörgang durch Ohrenschmalz verstopft ist.
  • Die Vorlage wird auf Durchfeuchtung kontrolliert und ggf. gewechselt.
  • Wir passen die Raumtemperatur an.
  • Wir nutzen Duftöle.
  • Soweit möglich statten wir das Zimmer des Bewohners mit vertrauten Gegenständen aus, also insbesondere mit eigenen Fotos, mit eigenen Teppichen oder mit kleinen Möbelstücken aus der ehemaligen Wohnung des Bewohners.
  • In der Nacht lassen wir zumindest ein Dämmerlicht brennen.
  • Die Notwendigkeit einer eventuellen Fixierung wird kritisch hinterfragt. Wir prüfen, ob es sinnvolle Alternativen gibt.
  • Wenn es hinreichende Anzeichen für eine starke Schmerzbelastung gibt, bitten wir den Hausarzt um die Verschreibung wirksamer Analgetika.
(Anmerkung: Da Schmerzen ein häufiger Auslöser für akute Verhaltensstörungen sind, lohnt sich zumeist ein Therapieversuch. Ggf. hilft nur das testweise Hochfahren der Dosierung zunächst von konventionellen Schmerzmitteln und ggf. auch von Opiaten. Bleibt die Verhaltensänderung aus, müssen die Analgetika schrittweise wieder zurückgefahren werden.)
  • Sofern keine andere Option mehr bleibt, prüfen wir die Notwendigkeit von Sedativa und von Antidepressiva.
(Anmerkung: Psychopharmaka führen mitunter lediglich dazu, dass der Bewohner immobil wird und ohne Hilfe weder essen noch trinken kann. Das Schreien jedoch wird unvermindert fortgeführt. In anderen Fällen lässt sich die Symptomatik damit hingegen erheblich reduzieren. Wichtig ist in jedem Fall, die Angehörigen einzubeziehen. Bei diesen besteht oftmals ein erheblicher Widerwille gegen den Einsatz von Psychopharmaka.)
  • Sind alle Optionen erschöpft, sollte die Überstellung des Bewohners in einen speziellen Wohnbereich für Demenzkranke geprüft werden.
(Hinweis: In einem segregativen Wohnbereich für Menschen mit Demenz wird dieser zwar weiterhin schreien, allerdings ist dieses Verhalten dort eher die Regel als die Ausnahme und wird daher weniger stören.)

Nachbereitung:

  • Das Verhalten des Bewohners wird genau dokumentiert.
  • Wir nutzen Supervision, um die Kräfte unserer Pflegekräfte zu schonen und einen Burn-out zu vermeiden.
(Hinweis: Kaum ein anderes Demenzsymptom ist für Pflegekräfte so belastend wie permanentes Schreien.)
  • Der behandelnde Arzt wird über alle relevanten Veränderungen umgehend informiert.

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • Pflegeplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Mitarbeiter



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