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Pflegestandard "Therapiepuppen in der Betreuung von demenziell veränderten Senioren"

Therapiepuppen für Demenzkranke? Noch in den 80ern war das eine geradezu lächerliche Idee. Heute werden auf Altenpflegemessen diese Puppen an jedem zehnten Stand verkauft. Grund genug, Möglichkeiten und Grenzen dieses Konzepts kritisch zu hinterfragen.


Pflegestandard "Therapiepuppen in der Betreuung von demenziell veränderten Senioren"


Definition:

  • Viele demenziell erkrankte Bewohner sind zeitlich desorientiert. Ihnen ist nicht klar, dass sie bereits hochbetagt sind und in einem Pflegeheim leben. Stattdessen fallen sie oftmals in die Zeit zurück, in der sie Eltern waren. Viele entwickeln einen großen Beschützerwunsch.
  • Das Fürsorgebedürfnis ist ein Urtrieb, der bis in fortgeschrittene Stadien der Altersverwirrtheit erhalten bleibt. Wird diesem Bedürfnis nicht entsprochen, führt das ggf. zur inneren und motorischen Unruhe. Wir nutzen therapeutische Puppen, um diese Handlungsimpulse zu kanalisieren. Die Puppen sind dann "etwas zum Liebhaben", ganz ähnlich wie Puppen aus der Kindheit.
  • Gleichzeitig nutzen wir diese Puppen, um mit Bewohnern zu kommunizieren, die mittels einer direkten verbalen Ansprache nicht mehr erreicht werden können. Wir beschaffen daher nur solche Puppen, deren Arme, Hände und Mund ("Klappmaulpuppen") bewegt werden können.
  • Bewohnerinnen scheinen für dieses Angebot empfänglicher zu sein als Bewohner. Dieses ist offenbar im Rollenbild der Mutter begründet.
  • Den meisten Demenzkranken ist bewusst, dass es sich bei den Puppen um keine realen Menschen handelt, was aber i. d. R. nicht als Widerspruch empfunden wird. Sie sehen die Puppen eher als ein Spiel.
  • Die Puppen können von Angehörigen beschafft werden. Sie sind dann das persönliche Eigentum des Bewohners. Wir halten zusätzlich eigene Puppen bereit, die wir im Rahmen der Kommunikationsförderung einsetzen. Wir nutzen dabei den Effekt, dass Demenzkranke oftmals mit Puppen intensiver interagieren als mit Menschen.

Grundsätze:

  • Die Puppen schaffen eine Brücke zwischen unserer rationalen Erwachsenenwelt und der irrationalen Welt der Demenzkranken.
  • Therapiepuppen sind kein Spielzeug. Sie sind Teil der pflegerischen Betreuung von demenziell erkrankten Senioren.
  • Die Pflegekraft sollte beim Einsatz der Puppen gesellschaftliche Tabus kritisch hinterfragen. Etwa wird Senioren in unserer Gesellschaft das Recht auf Spielen mit Puppen oftmals abgesprochen, da sie "ja keine Kinder mehr sind".
  • Wir arbeiten eng mit den Ergotherapeuten zusammen.

Ziele:

  • Der bei demenziellen Erkrankungen oftmals auftretende Beschützerwunsch wird sinnvoll kanalisiert.
  • Der Bewohner kann in die vertraute Rolle eines Vaters, einer Mutter, eines großen Bruders oder einer großen Schwester zurückgehen.
  • Wir etablieren eine Form der Kommunikation mit Bewohnern in einem fortgeschrittenen Demenzstadium.
  • Es entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Bewohner und der Puppe. Wir können diese emotionale Bindung nutzen, um den Bewohner auch für unbeliebte, aber notwendige Pflegemaßnahmen zu motivieren.
  • Es werden Gefühle sichtbar, die sonst verborgen bleiben.

Vorbereitung:

Organisation

  • Bevor Pflegekräfte erstmals Therapiepuppen einsetzen, sollten sie deren Verwendung einige Male bei Kollegen beobachten.
  • Die Angehörigen werden frühzeitig über den Einsatz der Puppen informiert. Im persönlichen Dialog erklären wir die Ziele dieses Therapieansatzes und bauen Vorbehalte ab.
Hinweis: Viele Angehörige empfinden den Einsatz der Therapiepuppen als entwürdigend oder als kindisch. Hier sollte die Pflegekraft im Dialog verdeutlichen, dass das Wohlgefühl der Demenzkranken entscheidend ist.
  • Wir führen eine umfassende Biografiearbeit durch. Die gewonnenen Informationen können insbesondere auch bei der Arbeit mit den Puppen genutzt werden.
  • Es ist zu vermeiden, dass eine Puppe von verschiedenen Pflegekräften gespielt wird. Die abweichende Stimme und Gestik würden den Bewohner verwirren. Daher ist die Arbeit mit der Puppe i. d. R. Aufgabe der jeweiligen Bezugspflegekraft.

Kaufkriterien

  • Die Puppen sollten rund 60 Zentimeter groß und solide verarbeitet sein. Das Material sollte insbesondere eine 30-Grad-Wäsche schadlos überstehen.
  • Die optische Gestaltung sollte kinderähnlich sein. Mäuse-, Katzen- oder Hundepuppen sind zu vermeiden, sofern die Puppe auch zur Stärkung der Kommunikation dienen soll.
  • Die Puppen sind komplett ausziehbar.
Hinweis:
  • Therapiepuppen sind im Vergleich zu Spielpuppen für Kinder deutlich größer und auch erheblich schwerer. Die großen Puppen und deren Mimik sind für alte Menschen leichter zu erkennen. Zudem bieten schwere Puppen deutlichere Spürinformationen.
  • Ein weiterer Faktor ist das biografisch vertraute Größenverhältnis zwischen Mensch und Puppe. Ein vierjähriges Kind ist zumeist knapp über 100 Zentimeter groß. Eine passende Puppe hat eine Länge von etwa 35 bis 40 Zentimetern. Wenn ein demenzkranker Erwachsener eine Puppe mit vergleichbaren Proportionen erhalten soll, muss diese mindestens 60 Zentimeter groß sein.
  • Bei vielen Puppen liegt der Gewichtsschwerpunkt am Po. Dieses führt dazu, dass die Puppen beim Tragen ganz ähnlich wie Babys gehalten werden müssen.

Durchführung:

Allgemeines

  • Der Stuhl des Bewohners und der Stuhl der Pflegekraft sollten in einem 90°-Winkel zueinanderstehen. In dieser Position kann die Pflegekraft den Bewohner ansehen, während dieser seinen Blick auf die Puppe fokussiert.

  • Der Bewohner und die Pflegekraft sollten sich nicht frontal gegenüber sitzen. Die Pflegekraft ist dann zu präsent im Blickfeld des Bewohners. Dieser kann sich dann nicht auf die Puppe konzentrieren.
  • Der Bewohner und die Pflegekraft sollten auch nicht nebeneinandersitzen. In dieser Position müssten beide Personen sich sehr zur Seite drehen, was auf Dauer unbequem ist.

Anwendung als klassische "Puppe zum Liebhaben"

  • Wir bringen jeden Bewohner vorsichtig mit der Puppe in Kontakt. Insbesondere wird die Puppe einem Bewohner nicht sofort in den Arm gelegt, sondern zunächst in Sichtweite platziert. Ob und wie der Bewohner mit der Puppe in Kontakt tritt, bleibt ihm überlassen.
  • Wir prüfen, ob die Puppe für den Bewohner zum Kindersatz wird. Dieses ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn die Puppe dem Kindchenschema entspricht. Achtung: Hier kann es passieren, dass der Bewohner annimmt, dass das Kind (also die bewegungslose Puppe) tot sei. Belastende biografische Schlüsselerlebnisse können dadurch erneut durchlebt werden.
  • Oftmals entwickelt sich eine so enge Bindung zwischen dem Bewohner und der Puppe, dass diese in das Einschlafritual integriert wird und so insbesondere auch Einschlafstörungen mildert. Wir legen also ggf. dem Bewohner die Puppe ins Bett.

Anwendung als Mittel zur Förderung der Kommunikation

  • Wir stellen dem Bewohner die Puppe vor. Wir geben ihr einen Namen und eine kurze, aber nachvollziehbare Lebensgeschichte.
  • Wir starten stets mit einem Begrüßungsritual. Die Puppe begrüßt den Bewohner mit ausgestreckter Hand oder winkt ihm zu. Die Puppe kann dann eine Einstiegsfrage stellen, etwa: "Wie fühlen Sie sich heute?"
  • Wir geben dem Pflegebedürftigen die Möglichkeit, die Puppe zu berühren. Wir prüfen, wie der Bewohner auf Berührungen durch die Puppe reagiert.
  • Die Pflegekraft spricht mit einer etwas veränderten Stimme und bewegt sich dabei selbst so wenig wie möglich. Dieses erleichtert es dem Bewohner, seine Aufmerksamkeit auf die Puppe zu fokussieren.
  • Die Puppe sollte stets Augenkontakt zum Bewohner haben. Augenkontakt ist das zentrale Element bei der Aktivierung durch Therapiepuppen.
  • Wir nutzen Puppen insbesondere im Rahmen der Einzelbetreuung, da dann eine intensivere Kommunikation entsteht. Wir prüfen aber auch, wie sich die Puppen sinnvoll in Gruppenangebote integrieren lassen.
  • Wir prüfen, wie Bewohner auf das Spiel zweier Puppen reagieren, etwa in Form des klassischen Kasperletheaters. Oftmals weckt dieses Erinnerungen, fördert die Bewegung und bietet taktile Reize.
  • Ggf. nutzen wir die Puppen im Rahmen der Musiktherapie. Wir lassen also die Puppen singen und tanzen.
  • Wir verwenden die Puppen, um Bewohner zur notwendigen Kooperation zu motivieren; insbesondere zur Körperpflege, zur Nahrungsaufnahme oder bei unangenehmen Pflegemaßnahmen.
  • Die Pflegekraft sollte die Puppe nicht lügen lassen. Wenn der Bewohner dieses bemerkt, ist die Vertrauensbasis oftmals beschädigt.
  • Bei demenziell erkrankten Senioren kann die Puppe genutzt werden, um schmerzende Körperbereiche zu bestimmen. Die Puppe fragt z. B., wo es dem Bewohner wehtut. Dieser zeigt dann auf die Stelle der Puppe, die seinem eigenen Schmerzpunkt entspricht.

Nachbereitung:

Auswertung

  • Der Erfolg der Maßnahme wird regelmäßig hinterfragt. Wir beobachten das Verhalten des Bewohners und seine Reaktionen auf die Puppe. Also:
    • Streichelt und befühlt der Bewohner die Puppe?
    • Trägt der Bewohner die Puppe mit sich herum?
    • Spricht der Bewohner mit der Puppe?
  • Lehnt der Bewohner die Puppe ab, kann alternativ dazu der Einsatz des Tierbesuchsdienstes erwogen werden.

Pflege der Puppe

  • Die Puppen können in der Waschmaschine kalt oder bei max. 30 Grad im Schonwaschgang mit Feinwaschmittel gewaschen werden.
  • Die Puppe wird völlig ausgezogen und in einen Kopfkissenbezug gesteckt. Dieses schützt die Augen.
  • Die entfernte Kleidung wird separat gewaschen.
  • Zum Trocknen kann ein Trockner genutzt werden, allerdings in möglichst kühler Stufe. Die Puppe bleibt eingepackt im Kopfkissenbezug. Schonender ist es zumeist, die Puppe an der Luft trocknen zu lassen.
  • Die Haare der Puppe werden mit einer normalen Haarbürste oder auch mit einer weichen Tierbürste gebürstet.
  • Milben und ähnliche Parasiten töten wir ab, indem die Puppe über Nacht eingepackt im Plastikbeutel im Gefrierschrank gelagert wird.

weitere Maßnahmen

  • Die Maßnahme sowie alle Beobachtungen werden dokumentiert.

Dokumente:

  • Biografiebogen
  • Pflege- und Maßnahmenplanung
  • Berichtsblatt
  • Leistungsnachweise

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Pflegekräfte



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