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Notfallstandard "erhöhter Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie)"

F ehlende Krankheitseinsicht ist das zentrale Pflegeproblem bei der Therapie von Diabetes mellitus. Die meisten betroffenen Senioren ignorieren konsequent jede ärztliche Vorgabe, wenn damit die Lebensqualität eingeschränkt wird. Es muss dann erst zu einer diabetischen Entgleisung kommen, damit Betroffene umdenken. Vorausgesetzt natürlich, dass sie nach der Krise überhaupt noch am Leben sind.


Notfallstandard "erhöhter Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie)"


Definition:

  • Eine Hyperglykämie liegt vor, wenn der Blutzuckerspiegel einen Wert von 200 mg/dl (11,0 mmol/l) übersteigt. Problematisch ist dabei, dass der Betroffene zunächst keine körperlichen oder mentalen Beeinträchtigungen spürt, sich also in keiner Weise krank fühlt.
  • Wenn die Konzentration einen Wert von 180mg/dl (10 mmol/l) überschreitet, scheiden die Nieren einen Teil des nicht benötigten Zuckers aus. Der Zucker bindet Wasser an sich, das als Harn in erheblicher Menge abgeht.
  • Ist ein kritischer Wert überschritten (rund 400 mg/dl oder 22,2 mmol/l), kommt es häufig zum diabetischen Koma, eine lebensbedrohliche Komplikation bei zu hohem Blutzucker. Es werden zwei Formen unterschieden:
    • Die im Alter häufigste Form ist das hyperosmolare Koma. Es tritt vor allem bei Typ-2-Diabetikern auf. Als Folge von Diätfehlern, unzureichender Insulinzufuhr oder einem plötzlich erhöhten Insulinbedarf kommt es zu einer Blutzuckerspiegelerhöhung. Möglich sind Werte von 700 mg/dl und mehr. Das führt zu einer ausgeprägten Glukosurie und somit zu hohen Verlusten von Flüssigkeit und Elektrolyten. Der Bewohner erleidet eine Exsikkose.
    • Das ketoazidotische Koma ist bei Senioren eher selten, da es vor allem bei Typ-1-Diabetikern vorkommt. Die BZ-Werte liegen bei 300 bis 700 mg/dl (17 bis 39 mmol/l). Das erhebliche Insulindefizit führt nicht nur zur Hyperglykämie, sondern löst auch einen Fettabbau (Lipolyse) aus. Es bilden sich Ketonkörper und eine Azidose. Typisch dafür sind die vertiefte Atmung (Kussmaul-Atmung) und der Azetongeruch in der Ausatemluft.
  • (Hinweis: Beim Diabetes mellitus Typ 2 gibt es zumeist immer noch eine Restproduktion von Insulin. Diese Reserven verhindern den radikalen Fettabbau. Somit bilden sich keine Ketonkörper. Und auch eine Azidose bleibt die Ausnahme.)

Grundsätze:

  • Eine Überzuckerung ist i.d.R. vermeidbar. Daher ist es wichtig, nach einer Hyperglykämie die Auslöser konsequent aufzuarbeiten.
  • Aus dem Beobachten der Symptome kann niemals sicher auf den Auslöser geschlossen werden. Nur das Messen des Blutzuckerwertes schafft Sicherheit.

Ziele:

  • Eine Überzuckerung wird vermieden.
  • Der Bewohner wird in die Lage versetzt, auf eine sich entwickelnde Überzuckerung richtig zu reagieren.
  • Tritt dennoch eine Notlage ein, wird diese korrekt und zeitnah von den Pflegekräften erkannt.
  • Die gesundheitlichen Folgen einer Hyperglykämie werden minimiert.
  • Wir ziehen aus jeder Notsituation die richtigen Schlüsse und reduzieren damit das Risiko einer Wiederholung.

Vorbereitung:

allgemeine Maßnahmen

  • Wir sensibilisieren den Diabeteskranken für die Symptome einer nahenden Entgleisung.
  • Wir informieren die Angehörigen über Symptome und weisen diese in Notfallmaßnahmen ein, damit diese etwa bei einem Familienessen angemessen reagieren können.
  • Wir bilden unsere Pflegekräfte regelmäßig zum Thema Diabetes fort und halten aktuelle Fachliteratur bereit.
  • Wir suchen den Kontakt mit dem Hausarzt. Wir bitten um detaillierte Instruktionen, welche besonderen Maßnahmen bei einer Entgleisung durchzuführen sind und welche Kontraindikationen bestehen. Wir müssen also insbesondere wissen, bei welcher Blutzuckerhöhe welche Insulinmenge appliziert werden soll.

Symptome

Wir achten auf die typischen Symptome einer Überzuckerung:

  • Der Bewohner hat ein krankhaft übersteigertes Durstgefühl. Die Harnausscheidung ist entsprechend krankhaft erhöht. Der Bewohner muss auch in der Nacht eine Toilette aufsuchen. (Hinweis: Später nimmt die Urinmenge deutlich ab.)
  • Der Bewohner ist ausgetrocknet (Exsikkose).
  • Der Bewohner atmet schwer und mühsam.
  • Der Bewohner klagt über Müdigkeit. Er fühlt sich kraftlos.
  • Der Bewohner klagt über Nackensteifigkeit.
  • Der Appetit des Bewohners lässt nach.
  • Der Bewohner leidet unter einer Bewusstseinseintrübung.
  • Die Reflexe sind vermindert.
  • Die Sprache des Bewohners ist zunehmend verwaschen.
  • Nach einigen Stunden, Tagen oder Wochen intensivieren sich die Symptome:
  • Die Haut ist trocken und heiß. Der Bewohner klagt über Juckreiz.
  • Der Bewohner ist empfindlich für Infektionen. (Grund dafür: Die Stoffwechselstörung beeinträchtigt auch die Leukozytenfunktion.)
  • Das Körpergewicht nimmt ab (als Folge des Flüssigkeitsverlustes und des Fettabbaus).
  • Es kommt zu halbseitigen Lähmungen (Hemiparese). Der Umfang der Einschränkungen ist jedoch deutlich geringer als bei einem Schlaganfall.
  • Der Bewohner klagt über Übelkeit und über Bauchschmerzen im Oberbauch. Er muss sich übergeben.
  • Die Pulsfrequenz ist erhöht. Der Blutdruck sinkt ab. (Die Kreislaufstörungen sind die Folge des verminderten Kaliumgehaltes im Blut.)
  • Der Bewohner klagt über Sehstörungen. Das Sehen ist verschwommen. (Grund: Die Linse ist verformt aufgrund des Flüssigkeitsmangels.)
  • In der Ausatemluft ist ein deutlicher Azetongeruch wahrnehmbar. Es riecht obstartig nach verfaulten Äpfeln.
  • Es kommt zur Kußmaul-Atmung
  • Im Urin sind Ketonkörper nachweisbar.
  • Es kommt zu Krampfanfällen.
(Hinweis: Die Symptome des ketoazidotischen Komas und des hyperosmolaren Komas sind hier gemeinsam gelistet, da beide Zustände gleichermaßen gefährlich sind. Pflegekräfte müssen hier keine Differenzialdiagnostik vornehmen. Die Alarmierung des Notarztes ist so oder so zwingend notwendig.)

Unterscheidung zwischen diabetischem Koma und hypoglykämischem Schock

  • Es ist von entscheidender Bedeutung für das Leben des Bewohners, dass ein diabetisches Koma korrekt von einem hypoglykämischen Schock unterschieden wird. Daher muss jede Pflegekraft die zentralen Differenzierungskriterien kennen:
  • diabetisches Koma
    • Die Symptomatik entwickelt sich langsam über Stunden oder über Tage.
    • Der Bewohner ist sehr durstig.
    • Die Haut ist ausgetrocknet.
    • Die Muskulatur ist entspannt.
    • Der Bewohner ist ruhig.
    • Die Atmung ist vertieft (bei ketoazidotischem Koma).
    • Die Ausatmung riecht süßlich, fast apfelartig.
    • Die Augäpfel sind weich und eingefallen.
    • Der Bewohner ist fiebrig.
  • hypoglykämischer Schock
    • Der Schock tritt schnell auf, also mitunter binnen weniger Minuten.
    • Der Bewohner verspürt Heißhunger.
    • Die Haut ist kaltschweißig und feucht.
    • Die Muskulatur ist angespannt. Der Bewohner entwickelt einen Tremor.
    • Der Bewohner ist unruhig.
    • Die Atmung ist normal.
    • Die Augäpfel sind normal.
    • Die Pupillen sind erweitert.
    • Es kommt zu zerebralen Krampfanfällen.

Risikofaktoren

  • Wir prüfen, welche Ursachen zur Hyperglykämie führen könnten. Soweit möglich, sollten diese abgebaut oder kompensiert werden.
  • Der Bewohner injiziert häufig kein Insulin oder wählt die Dosierung zu gering.
  • Der Bewohner leidet unter einer Infektion und hat einen erhöhten Insulinbedarf. Dieses insbesondere bei hohem Fieber.
  • Die Diätvorschriften werden missachtet. Der Bewohner führt in großen Mengen Kohlenhydrate zu.
  • Der Pen bzw. die Insulinpumpe sind defekt.
  • Der Bewohner leidet unter erheblichem Stress oder unter Schmerzen.
  • Der Bewohner nimmt Kortison oder Diuretika ein.
  • Der Bewohner entwickelt eine zunehmende Insulinresistenz.
  • Der Bewohner ist körperlich nicht ausreichend aktiv.

Durchführung:

Maßnahmen bei Überzuckerung

  • Die Vitaldaten und insbesondere der Blutzuckerwert werden erfasst.
  • Ggf. erfolgt eine Urinzuckerkontrolle. Wir nutzen einen Streifen-Schnelltest.
  • Eine leichte Hyperglykämie kann durch körperliche Aktivität reguliert werden. Der Wert sollte dabei 200 mg/dl (11,0 mmol/l) nicht überschreiten. Die Zufuhr von Kohlenhydraten ist einzustellen.
  • Ein Bewohner mit eingetrübtem Bewusstsein wird wach gehalten. Er soll nicht einschlafen.
  • Der Bewohner erhält ausreichend Flüssigkeit zum Trinken, sofern keine Aspiration droht. Ideal sind Wasser oder ein anderes ungezuckertes Getränk.
  • Bei zweifelsfrei vorhandener Überzuckerung erhält der Bewohner Normalinsulin (ggf. Arztanordnung beachten!). Bei hohen BZ-Werten erfolgt die Absenkung unter ärztlicher Aufsicht. I.d.R. sollte der Spiegel um maximal 50mg/dl (2,7mmol/l) gesenkt werden. Ansonsten droht ein Hirnödem.
  • Bei Bewusstlosigkeit:
    • Der Notarzt wird gerufen.
    • Der Bewohner wird in eine stabile Seitenlage gebracht. Die Atemwege werden freigehalten.

Maßnahmen bei unbekannter Ursache

  • Wenn nicht klar ist, ob das Koma durch Über- oder durch Unterzuckerung verursacht wurde, wird niemals Insulin verabreicht. Stattdessen wird dem Bewohner Zucker oral verabreicht (Traubenzuckerstück in die Wangentasche) und der Notarzt alarmiert.
  • Wenn der Bewohner überzuckert ist, richtet der Traubenzucker keine weiteren relevanten Schäden an.
  • Eine Insulingabe bei Unterzuckerung jedoch ist häufig tödlich.

Nachbereitung:

allgemeine Maßnahmen

  • Der Bewohner wird in den nächsten 24 Stunden intensiv überwacht. Puls, Blutdruck und Bewusstsein werden engmaschig überprüft.
  • In einer Fallbesprechung wird erörtert, wie die Entgleisung entstanden sein könnte und wie dieses in Zukunft verhindert werden kann.
  • Dem Bewohner werden in einem Beratungsgespräch noch einmal alle Verhaltensregeln erklärt, die aus dem Diabetes resultieren.

Dokumentation

Die Ereignisse werden dokumentiert. Wichtige Kriterien dafür sind:

  • Beginn und Dauer der Krise
  • aufgetretene Symptome
  • eingeleitete Maßnahmen
  • Verlauf der Entgleisung
  • Kooperationsbereitschaft des Bewohners
  • Messwerte BZ, Puls, Blutdruck usw.
  • ggf. Zeitpunkt der Ankunft des Notarztes
  • ggf. Verlegung in ein Krankenhaus

 Prognose

  • Das hyperosmolare Koma ist mit einer Sterblichkeit von rund 20 Prozent verbunden.
  • Der Schock und die Azidose können ein Lungenödem auslösen.
  • Nach einem diabetischen Koma ist i.d.R. eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich.

Dokumente:

  • Berichtsblatt
  • Vitalwerte bzw. Blutzuckerwerte
  • ärztliches Verordnungsblatt
  • Insulinschema
  • Kommunikationsblatt mit dem Arzt
  • Pflegeplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Pflegekräfte



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