Viele pflegerische Maßnahmen
sind zwar durchaus im Interesse des Bewohners oder Patienten,
stellen genau genommen aber eine Körperverletzung dar. Dieses
betrifft nicht nur Injektionen oder Katheterisierungen, sondern
alle Handlungen, die beim Bewohner Schmerzen oder Unwohlsein
auslösen. Letztlich stellt sogar das Schneiden von Haaren und
Fingernägeln einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
dar. Ohne einen angemessenen Rechtfertigungsgrund ziehen diese
Pflegehandlungen ggf. strafrechtliche Konsequenzen nach sich.
In der Praxis ist die Einwilligung des Bewohners der wichtigste
Rechtfertigungsgrund. Wenn der Bewohner also mit einer
Insulininjektion einverstanden ist, bleibt die applizierende
Pflegekraft straffrei. Bei Bewohnern mit Migrationshintergrund
sollte eine Pflegekraft mit entsprechenden Sprachkenntnissen die
Aufklärung leisten.
Beispiel: Ein 76-jähriger ehemaliger Gastarbeiter aus
der Türkei leidet an einem Dekubitus. Für diesen Tag ist ein
Verbandswechsel mit Wundspülung geplant. Es muss mit einer
erheblichen Schmerzbelastung gerechnet werden.
Der Bewohner kann seine Einwilligung jederzeit zurücknehmen.
Dieses bedeutet, dass dann alle pflegerischen Maßnahmen
einzustellen sind. Wird er trotzdem behandelt, ist dieses
rechtswidrig und somit strafbar.
Angehörige können ohne weiteres nicht wirksam einwilligen.
Beispiel:
Eine 86-jährige Heimbewohnerin hat keinen Betreuer und
soll eine subkutane Injektion erhalten. Die Pflegekraft
glaubt, dass die Bewohnerin die Situation nicht mehr
überblicken kann. Sie bittet daher die Tochter um Erlaubnis
und appliziert nach deren Zustimmung das Medikament.
Es gab für diese Maßnahme keine wirksame Zustimmung. Sie ist
rechtswidrig und erfüllt den Tatbestand einer Körperverletzung.
Dritte dürfen nur dann die Zustimmung erteilen, wenn sie die
gesetzlichen Vertreter sind, also etwa zum Betreuer bestellt
wurden.
Zudem darf der Betreuer dem Bewohner die Entscheidung nur
dann abnehmen, wenn dieser selbst nicht mehr einwilligungsfähig
ist. Schwere Demenzen oder Wachkoma sind Krankheitsbilder, bei
denen die Betroffenen nicht mehr einwilligungsfähig sind.
"Einwilligungsfähigkeit" darf nicht mit "Geschäftsfähigkeit"
verwechselt werden. Ein Bewohner kann auch dann
einwilligungsfähig sein, wenn er die Geschäftsfähigkeit bereits
ganz oder teilweise verloren hat.
Für die Einwilligungsfähigkeit muss der Bewohner lediglich in
der Lage sein, die Tragweite und die Folgen seiner Entscheidung
zu erfassen. Stimmt ein "einsichtsfähiger" und somit
"einwilligungsfähiger" Bewohner einer Maßnahme nicht zu, muss
diese unterbleiben. Die Ansichten des Betreuers sind dann
zweitrangig.
Ganz anders die Lage, wenn ein Notfall eintritt. Beispiel:
Ein immobiler Patient zieht sich eine Pneumonie zu. Da
er nicht abhusten kann, verschleimen die Luftwege. Er droht
zu ersticken und ist desorientiert. Die Pflegefachkraft
erkennt die Notlage und saugt den Bewohner ab, ohne ihn oder
seinen Betreuer zuvor um Zustimmung gebeten zu haben.
Diese Handlungsweise ist nicht zu beanstanden. Die
Pflegekraft handelte nach dem mutmaßlichen Willen des Bewohners.
Sie darf vermuten, dass dieser nicht ersticken will und dafür
die unangenehme Prozedur in Kauf genommen hätte. Im Anschluss an
die Maßnahme sollte die Pflegekraft das Vorkommnis sorgfältig
dokumentieren und insbesondere auch darlegen, dass es nicht
möglich war, eine Einwilligung einzuholen.
Falls der Bewohner bewusstlos wird, sind Pflegekräfte
ebenfalls berechtigt und verpflichtet, alles zu unternehmen, um
das Leben des Bewohners zu retten. Der Mitarbeiter kann
voraussetzen, dass der Bewohner gerettet werden möchte.
Von dieser Pflicht kann die Pflegekraft nur im Rahmen eines
Patiententestaments entbunden werden. Ein solches Dokument kann
aber nur von Personen aufgesetzt werden, die im vollen Ausmaß
einsichtsfähig sind. Ein Alzheimerpatient etwa, der aufgrund der
dementiellen Erkrankung nicht mehr einsichtsfähig ist, kann per
Patiententestament lebensverlängernde Maßnahmen nicht
rechtswirksam ausschließen. Ohnehin kann es Pflegekräften nicht
zugemutet werden, im Eifer des Notfalls juristische Recherchen
anzustellen. Daher sollte im Zweifel stets reanimiert werden.
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