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Recht in der Pflege: rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB

 
Wie weit darf eine Pflegekraft gehen, etwa um einen Suizid zu verhindern oder einen Wegläufer aufzuhalten? Solche Fragen sollten im Team rechtzeitig geklärt werden. Wir haben den aktuellen Stand der Rechtsprechung für Sie zusammengefasst.
 
 
  • Fallbeispiel A: Ein 85-jähriger Bewohner eines Pflegewohnheimes hat die Einrichtung ohne vorherige Abmeldung verlassen. Das Pflegeteam hat erfolglos das Haus samt Grundstück und näherer Umgebung abgesucht. Nun aber drängt die Zeit, denn der Senior ist Diabetiker und benötigt eine Insulininjektion. Die Pflegedienstleitung informiert die Polizei über den Wegläufer, seine Krankheit und die gesundheitlichen Risiken. Sie verstößt damit wissentlich gegen die Schweigepflicht.
  • Fallbeispiel B: Eine 92-jährige Bewohnerin ist schon seit einiger Zeit dementiell erkrankt. Am späten Abend zeigt sie unvermittelt autoaggressives Verhalten. Sie schlägt mit dem Kopf gegen die Wand und zieht sich eine leichte Platzwunde zu. Es gibt keinen richterlichen Beschluss für freiheitsentziehende Maßnahmen. Dennoch entscheidet sich die Nachtwache dazu, die Frau in ihrem Bett zu fixieren, bis sie sich beruhigt.

In beiden Fällen ist das Verhalten der Pflegekräfte für sich genommen zwar rechtswidrig, im Kontext der Situation aber zulässig. Der Gesetzgeber hat dafür den Begriff des "rechtfertigenden Notstandes" geprägt. Wenn dieser besteht, können Pflegekräfte gegen einen strafrechtlichen Tatbestand verstoßen, ohne dass dieses unrechtmäßig wäre.

Bevor sich ein Mitarbeiter zum Handeln entschließt, muss er jedoch genau abwägen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Er darf nur solche Maßnahmen ergreifen, die die Gefahr abwehren und gleichzeitig so wenig wie möglich die Freiheit des Bewohners beschneiden. Wichtig ist, dass das Rechtsgut, das er schützen will, höher zu bewerten ist als das Rechtsgut, das er dem Bewohner nimmt.

§ 34 StGB, rechtfertigender Notstand:

  1. Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
  2. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Folglich ist nicht jeder Notfall ein Blankoscheck für Freiheitsentzug.

  • Fallbeispiel C: Ein 83-jähriger Schizophreniepatient glaubt im paranoiden Wahn von Fratzen umgeben zu sein. Mit einem Stift beschmiert er die Tapeten, um die Erscheinungen zu vertreiben. Zwei Pflegekräfte fixieren ihn daraufhin für fünf Stunden mit einem Gurtsystem im Rollstuhl, um weitere Schmierereien zu vermeiden.

In diesem Fall liegt kein Notfall vor. Eine Tapete zählt zu den eher geringwertigen Gegenständen. Zudem können Freiheitsbeschränkungen nur dann mit einem rechtfertigenden Notstand begründet werden, wenn die Fixierung kurzzeitig erfolgt und gelöst wird, sobald sich der Bewohner beruhigt. Wichtig ist außerdem, zunächst alle anderen Mittel auszuschöpfen, etwa den Bewohner mit einem begleiteten Spaziergang zu beruhigen.

  • Fallbeispiel D: Eine 86-jährige Bewohnerin geht jeden Tag spazieren. Der Weg zum Park führt sie über eine stark befahrene Kreuzung, die sie bislang aber immer problemlos passieren konnte. Heute jedoch steht sie unter dem Einfluss von starken Schmerzmitteln, die ihre Reaktionsfähigkeiten deutlich einschränken. Eine Pflegekraft verstellt der Frau den Ausgang und zwingt sie, auf das Gelände der Einrichtung zurückzukehren.

Diese Maßnahme ist rechtens. Durch die Freiheitsberaubung schützt die Pflegekraft die Bewohnerin selbst und die übrigen Verkehrsteilnehmer vor den Folgen eines Unfalls. Dieses Rechtsgut (Leben und Gesundheit) überwiegt das Recht der Bewohnerin auf einen ungehinderten Spaziergang.

Praxistipp:

Jede Pflegekraft sollte stets das eigene Handeln kritisch hinterfragen:

  • Kann ich die Gefahr anders abwehren?
  • Ist das Rechtsgut, das ich schützen will, höher zu bewerten als das Rechtsgut, das ich verletze?
  • Ist der Grad der Gefahr erheblich?
  • Ist mein Handeln angemessen?
 
 
   
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Notfall; Notstand; Notwehr; Wegläufer; Weglauftendenz; Freiheitsentziehung; Maßnahme, freiheitsentziehende
Genereller Hinweis zur Nutzung des Magazins: Zweck unserer Muster und Textvorlagen ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Alle Muster müssen in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden. Unverzichtbar ist häufig auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.