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Version 1.07b

Standard "Pflege und Betreuung von Senioren mit depressiven Störungen"

 
Die Pflege von depressiven Senioren zählt zu den schwierigsten Aufgaben. Dieses liegt vor allem daran, dass viele sonst erfolgreiche Betreuungstrategien bei Depressionen nicht wirken oder gar die Krankheit noch verfestigen.
 

Wichtige Hinweise:

  • Zweck unseres Musters ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
  • Unverzichtbar ist immer auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.
  • Dieser Standard eignet sich für die ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen "Patient".

 

Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (rtf-Format) verfügbar. Klicken Sie hier!

 

Standard "Pflege und Betreuung von Senioren mit depressiven Störungen"

Definition:
  • Der häufig schlechte Gesundheitszustand und die Pflegebedürftigkeit unserer Bewohner erhöht deren Risiko, an Depressionen zu erkranken. Es ist daher unsere Aufgabe, betroffenen Senioren die bestmögliche Unterstützung zu gewähren, damit sie diese psychische Krankheit überwinden können.
  • Gleichzeitig bedeutet die Versorgung von Erkrankten auch für die Pflegenden eine enorme Herausforderung. Insbesondere für Bezugspflegekräfte ist es sehr schwierig, die notwendige Distanz zu wahren. Gelingt dieses nicht, kann die Belastung zu einem „Burn-Out-Syndrom“ führen.
Grundsätze:
  • Auch ein depressiver Bewohner ist ein mündiger und eigenverantwortlicher Mensch.
  • Eine akzeptierende Grundhaltung im Umgang mit depressiven Bewohnern ist die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Pflege.
  • Die Pflege und Betreuung von depressiven Senioren ist insbesondere für die Bezugspflegekraft eine fordernde und schwierige Tätigkeit. Wir berücksichtigen bei allen Maßnahmen stets auch die Belastungsgrenzen unserer Mitarbeiter.
  • Wir halten stets eine professionelle Distanz zum depressiven Bewohner. Eine Pflegekraft, die sich in den depressiven Sog mitziehen lässt, kann dem Betroffenen nicht mehr helfen.
  • Wir sind uns der Gefahr bewusst, dass die Hilflosigkeit gegenüber dem Krankheitsbild auch unterschwellige Aggressionen bei Pflegekräften freisetzen kann.
  • Wenn wir Absprachen mit dem Bewohner treffen, so halten wir unseren Teil der Vereinbarung stets ein. Gleiches erwarten wir - im Rahmen der Erkrankung - auch vom Bewohner.
  • Wir können einen depressiven Menschen auf seinem Weg nur begleiten und unterstützen, nicht aber ihm unsere Problemlösungen vorgeben. Eine Lösung zu finden bleibt seine eigene Aufgabe.
  • Mitleid darf niemals offen gezeigt werden, da dieses die Selbstzweifel verstärken würde.
Ziele:
  • Der Bewohner spürt, dass wir seine Probleme ernst nehmen.
  • Die Probleme des Bewohners werden für uns sichtbar und begreifbar.
  • Wir ermöglichen es dem Bewohner, sich aktiv mit seinen Problemen auseinander zu setzen.
  • Wir schützen unsere Bewohner vor den körperlichen Folgen einer Depression, wie etwa übermäßiger Gewichtsreduktion oder Exsikkose.
  • Wir schützen unsere Pflegekräfte vor übermäßigen psychischen Belastungen.
Vorbereitung:
  • Einem depressiven Bewohner wird stets eine Pflegekraft als Bezugspflegekraft zugeteilt, die mit diesem Krankheitsbild Erfahrungen hat. Naturgemäß kommen Berufseinsteiger für diese Aufgabe nicht in Betracht.
  • Die Anzahl der weiteren Pflegekräfte, die für die Betreuung des Bewohners zuständig ist, sollte klein gehalten werden. Eine personelle Kontinuität ist wichtig.
  • Gleichzeitig muss die Aufgabenverteilung möglichst gerecht geschehen. Es ist zu vermeiden, dass eine unangemessen große Zahl von „Problemfällen“ auf den Schultern nur weniger Pflegekräfte lastet.
  • Wir halten engen Kontakt mit dem behandelnden Arzt. Sofern die Depressionen auch medikamentös behandelt werden, setzen wir die Maßnahmen des Standards „medikamentöse Behandlung von depressiven Bewohnern“ um.
  • Wir fordern alle Pflegekräfte auf, sich innerlich mit dem Thema Depressionen auseinander zu setzen. Dazu zählt es etwa, eine Antwort zu finden auf die Frage „Wie fühle ich mich, wenn ich sehr traurig bin?“
  • Wir erstellen für jeden Bewohner eine umfangreiche Biographie. Wichtige Kriterien dafür sind:
    • Welche Lebenseinschnitte haben den Bewohner positiv wie negativ geprägt?
    • Welche Problemlösungsstrategien hat der Bewohner in der Vergangenheit entwickelt, um Schwierigkeiten zu meistern? Oder versuchte er sie zu umgehen bzw. mit Alkohol erträglich zu machen?
    • Welche externen Umstände beeinflussen seine Depressionen (finanzielle Nöte, Streit mit Angehörigen usw.)?
    • Hat der Bewohner Freunde und Verwandte, auf die er zurückgreifen könnte?
    • Anhand welcher religiösen oder weltanschaulichen Leitlinien trifft er seine Entscheidungen?
    • Welche weiteren Ressourcen könnte der Bewohner nutzen, um die Depressionen zu überwinden?
Durchführung: allgemeine Maßnahmen
  • Wir erstellen für jeden depressiven Bewohner eine individuelle Pflegeplanung. Wir konzentrieren uns dabei auf kleine realistische Ziele, um dem Bewohner Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
  • Wir nehmen dem Bewohner nur solche Aufgaben ab, die er trotz Unterstützung selbst nicht leisten kann. Bei depressiven Bewohnern ist aktivierende Pflege besonders wichtig, da eine „Bemutterung“ vorhandene Minderwertigkeitsgefühle verstärken könnte.
  • Wir sorgen für eine freundliche Gestaltung des Bewohnerzimmers. Dazu zählt insbesondere durch unverstellte Fenster Tageslicht hineinzulassen. Wandschmuck und frische Blumen können ebenfalls den optischen Eindruck verbessern.
  • Wir prüfen gemeinsam mit dem behandelnden Arzt, ob es bislang unentdeckte körperliche Beschwerden gibt, die die Depressionen (mit)auslösen, etwa Rückenschmerzen, schwindende Sehkraft, Hörprobleme usw. Wichtig ist etwa eine sorgfältige Versorgung mit Hilfsmitteln wie Gehwagen, Hörgerät, Brille usw.
  • Bei schwer depressiven Menschen ist es besonders wichtig auf die notwendigen Prophylaxen zu achten, insbesondere gegen Pneumonie, Dekubitus, Mangelernährung und Exsikkose.
  • Wir beachten, dass Depressionen eine schwächende Wirkung auf das Immunsystem haben können.
  • Viele Depressive überbetonen körperliche Probleme, um sich die Aufmerksamkeit von Ärzten und Pflegekräften zu sichern. Dieses darf aber nicht dazu führen, dass irgendwann eine reale Krankheit als „Simulieren“ des Bewohners abgetan wird. Häufig verbirgt sich dahinter schlicht der Wunsch nach einem Gespräch oder menschlicher Zuwendung.
  • Wir stellen ggf. den Kontakt zu lokalen kirchlichen Gemeinden her und bitten um geistlichen Beistand.
  • Nichtdepressives Verhalten wird gelobt. Depressives Verhalten wird nicht kritisiert, sondern neutral hingenommen.
soziale Vernetzung
  • Wir versuchen, den Bewohner in der sozialen Gemeinschaft der Einrichtung stärker zu verankern. Wir regen etwa die Teilnahme an der Gymnastikgruppe oder der Spielegruppe an.
  • Wir informieren die Familienangehörigen über das Krankheitsbild und legen ihnen die notwendigen Verhaltensgrundsätze nahe.
  • Wir erklären den Angehörigen, dass der Senior weder „faul“ noch „gefühlskalt“ ist.
  • Wir vermitteln Familienangehörigen den Kontakt zu Selbsthilfegruppen.
  • Wenn es Streit mit Familienangehörigen gibt, versuchen wir, den Dialog zwischen beiden Seiten wieder in Gang zu bringen.
Schlafprobleme
  • Wir sorgen für einen entspannten Verlauf des Abends und vermeiden es, den Bewohner aufzuregen.
  • Wir empfehlen dem Bewohner Entspannungsübungen durchzuführen.
  • Feste Einschlafrituale (Nachrichten sehen, Schlummertrunk, Zigarillo, warmes Fußbad usw.) können Einschlafprobleme abbauen.
  • Den Einsatz von Schlafmitteln (Hypnotika) versuchen wir zu vermeiden. Stattdessen prüfen wir, ob warme Milch, pflanzliche Wirkstoffe oder Tees als Alternative genutzt werden können. Häufig sind auch atemstimulierende Einreibungen hilfreich.
  • Ggf. kann ein Dämmerlicht eingeschaltet werden.
Kommunikation mit dem Bewohner
  • Es ist wichtig, dem Bewohner zu zeigen, dass seine Gefühle von uns wahrgenommen werden. Wenn also ein Bewohner traurig ist, könnte die Pflegekraft ihn darauf ansprechen: „Sie sehen heute aber ziemlich unglücklich aus.“
  • Wir unterlassen alle Bewertungen des Bewohnerverhaltens wie etwa „Lassen Sie sich nicht so hängen“.
  • Nicht hilfreich sind auch wohlmeinende Floskeln wie etwa „Davon geht die Welt nicht unter“ oder „Das wird schon alles wieder“.
  • Ggf. prüfen wir, ob nonverbale Kommunikation den Bewohner erreicht, etwa sich neben ihn zu setzen und seine Hand zu halten.
  • Wir bitten den Bewohner, über das, was ihn bedrückt, zu reden. Wir ermuntern ihn, seine Gefühle offen zu beschreiben.
  • Äußerungen des Bewohners werden akzeptiert, auch wenn sie aus unserer Sicht schwer zu verstehen sind.
  • Wir sprechen im Dialog mit dem Bewohner positive Aspekte seiner Biographie an, etwa einen schönen Urlaub.
achten auf Äußeres
  • Wir ermutigen Bewohnerinnen, ggf. auch Schmuck und Parfüm zu tragen.
  • Ggf. kann ein Friseurbesuch nicht nur die Frisur, sondern auch das Selbstbild deutlich verbessern.
  • Bei Männern regen wir eine tägliche Rasur und die Nutzung von Rasierwasser an.
  • Wenn der Bewohner nach Schweiß oder Urin riecht, wird ihm dieses nicht offen gesagt. Hilfreicher ist es, gemeinsam mit dem Bewohner eine Körperwäsche vorzunehmen.
  • Wir können den Bewohner nicht dazu zwingen, ein gewisses Maß an Körperhygiene zu wahren. Gleichzeitig jedoch darf das nicht dazu führen, dass die Pflegekräfte die Verwahrlosung irgendwann hinnehmen. Der Bewohner muss permanent angeleitet und aufgefordert werden.
  • Wenn der Bewohner beginnt, sich äußerlich zu pflegen, so wird er dafür nachdrücklich gelobt.
sorgen für körperliche Aktivität
  • Wir versuchen zu verhindern, dass sich der Bewohner in sein Bett zurückzieht. Dieses hemmt jedes soziale Leben.
  • Wir versuchen, den Bewohner für unsere Gymnastikgruppe zu gewinnen.
  • Depressive Bewohner sollten mindestens einmal täglich einen Spaziergang an der frischen Luft unternehmen. Wenn sich der Bewohner dazu nicht aufraffen möchte, so könnte ihn ein Zivildienstleistender, eine Auszubildende oder eine Praktikantin begleiten.
  • Sofern der Bewohner über entsprechende Fähigkeiten verfügt, ermuntern wir ihn, diese in die Gemeinschaft einzubringen; etwa: dekorieren, gärtnern, Klavier spielen usw.
Ernährung
  • Der Bewohner sollte seine Mahlzeiten im Speisesaal einnehmen und nicht auf seinem Zimmer.
  • Wir regen eine an Tryptophan reichhaltige Ernährung an, wie etwa Tilsiter Käse, Emmentaler, Hafer oder Soja. (Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure, die antidepressiv und schlaf anregend wirkt und die Ausgangssubstanz für die körpereigene Herstellung unter anderem von Melantonin, Serotonin bildet. Ein Seretoninmangel wird in der Fachwelt als eine mögliche Ursache der Depression diskutiert.)
  • Wenn der Bewohner unter Appetitlosigkeit leidet, bieten wir ihm verstärkt Wunschkost an.
  • Wenn der Bewohner über einen längeren Zeitraum die Nahrung verweigert, setzen wir den Standard „Nahrungsverweigerung“ um.
  • Wir ermitteln regelmäßig den BMI des Bewohners.
  • Depressive Menschen trinken häufig zu wenig. Wir achten daher sehr genau auf die Flüssigkeitsversorgung und erstellen ggf. ein Trinkprotokoll.
Ausscheidung
  • Inkontinenz ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Depressionen. Wir versuchen daher, durch geeignete Maßnahmen die Kontinenz zu stärken.
  • Wir sorgen für eine wirksame Versorgung mit Inkontinenzmaterial.
  • Wir beraten mit dem Bewohner, wie die Inkontinenz bzw. das Tragen von Inkontinenzmaterial am besten vor Mitbewohnern, Angehörigen usw. verborgen werden kann.
  • Eine Einnahme von Antidepressiva kann das Obstipationsrisiko steigern.
Nachbereitung:
  • Pflegekräfte, deren "innere Energie" verbraucht ist, sollten dieses der Pflegedienstleitung mitteilen und nicht etwa warten, bis ein "Burn Out" eintritt. Wenn eine Bezugspflegekraft mit der Betreuung „ihres“ Bewohners überfordert ist, prüfen wir, ob ein Wechsel notwendig ist.
  • Der Zustand des Bewohners wird regelmäßig in Fallbesprechungen thematisiert.
  • Wenn die Gefahr eines Suizides besteht, werden die Maßnahmen umgesetzt, die im Standard „Pflege von suizidgefährdeten Bewohnern“ beschrieben sind.
Dokumente:
  • Pflegebericht.
  • Pflegeplanung
  • Trinkplan
  • Vitaldatenblatt
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
  • alle Pflegekräfte
 
   
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Depression; Suizid; Suizidprävention; Prophylaxe; Selbsttötung
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