|
|
Version 1.09a |
|
Standard "Pflege
von Senioren mit Zwangshandlungen" |
|
Schon in jungen Jahren können
Zwangshandlungen die Lebensqualität massiv einschränken. Wenn
jedoch im Alter noch eine dementielle Erkrankung hinzu kommt,
entgleitet vielen Betroffenen die Kontrolle über ihre
"Altersschrullen" vollends. Dann liegt es an den Pflegekräften,
stabilisierend einzugreifen. |
|
Wichtige Hinweise:
- Zweck unseres Musters ist es nicht,
unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert
und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
- Unverzichtbar ist immer auch eine
inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte,
da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen.
Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten
Krankheitsbildern kontraindiziert.
- Dieser Standard eignet sich für die
ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen
jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen
"Patient".
Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (rtf-Format)
verfügbar.
Klicken Sie hier!
|
|
Standard "Pflege
von Senioren mit Zwangshandlungen" |
Definition: |
- Bei einer Zwangsstörung leidet der Bewohner
unter Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen. Dem Bewohner ist
bewusst, dass diese nutzlos sind. Dennoch schafft er es nicht, diese
unangenehmen Gedanken und Handlungen zu unterbinden.
- Zwangsgedanken werden vom Bewohner zumeist
als quälend empfunden. Häufig haben sie einen sexuellen oder
gewalttätigen Inhalt.
- Zwangshandlungen sind Bewegungsabläufe, die
sich mehrmals täglich wiederholen. Betroffene Bewohner führen
Zwangshandlungen ritualisiert durch. Von der vorgegebenen
Reihenfolge wird nicht abgewichen. Bei einmaliger Durchführung sind
sie zumeist sinnvoll (Beispiel: Gegenstände werden geordnet). Die
mehrfache Durchführung jedoch ist sinnlos und oftmals sogar
schädlich (das ununterbrochene Ordnen lähmt den Tagesablauf).
- Frauen leiden gehäuft unter einem Waschzwang.
Die Hände werden mehrfach in der Stunde intensiv gewaschen. Es kommt
zu Hautschädigungen.
- Bei Männern tritt der Kontrollzwang gehäuft
auf. Schlösser, Schalter oder Wasserhähne werden ununterbrochen
kontrolliert.
- Zwei bis drei Prozent der deutschen
Bevölkerung sind von Zwangsstörungen betroffen.
- Zwangsstörungen treten familiär gehäuft auf.
Neben einer genetischen Disposition werden auch soziologische
Faktoren diskutiert.
|
Grundsätze: |
- Nicht jede Zwangshandlung ist
therapiebedürftig. Wenn eine Zwangshandlung den Bewohner im Alltag
nicht einschränkt und deren Intensität nicht zunimmt, verzichten wir
auf entsprechende Korrekturmaßnahmen.
- Sobald der Bewohner spürbar unter den
Zwangshandlungen leidet, greifen wir ein. Die Zwangshandlung ist
dann eine ernstzunehmende seelische Störung.
|
Ziele: |
- Der Bewohner vertraut der Bezugspflegekraft
soweit, dass er mit dieser über die Zwangshandlungen reden kann.
- Der Bewohner kann die Impulse kontrollieren
oder sich ihnen zumindest widersetzen.
- Ist dieses nicht erreichbar, wird die Dauer
der Zwangshandlungen auf ein Minimum reduziert. Zumindest verhindern
wir, dass sich die Intensität und die Anzahl der Zwangshandlungen
ausweiten.
|
Vorbereitung: |
- Wir setzen das Konzept der Bezugspflege um.
Dem Bewohner wird eine Pflegekraft zugeteilt, die im Bereich der
Gerontopsychiatrie bereits Erfahrungen sammeln konnte.
- Die Pflegekraft sucht den Dialog mit dem
Bewohner. Sie ermutigt ihn, ihr seine Zwangsgedanken mitzuteilen.
Wir machen dem Bewohner dabei keine Vorhaltungen.
- Wir befragen den Bewohner, welche Strategien
er selbst im Laufe der Zeit entwickelt hat, um die Zwangshandlungen
zu unterbrechen.
- Wir führen mit dem Bewohner eine intensive
Biografiearbeit durch, da viele Zwangsstörungen in der Jugend und
Erziehung begründet sind. So ist ein ausgeprägter Waschzwang im
Alter oftmals die Folge einer zu strengen Reinlichkeitserziehung.
|
Durchführung: |
Beobachtung |
- Das Verhalten des Bewohners wird unauffällig
überwacht.
- Wir versuchen zu ergründen, ob es
wiederkehrende Ereignisse gibt, die einem zwanghaften Verhalten
vorausgehen und es möglicherweise auslösen oder begünstigen.
- Wir prüfen, ob der Bewohner seine
Zwangshandlungen bevorzugt unbeobachtet durchführt; dieses etwa,
weil ihm sein Verhalten peinlich ist. Wir testen weiterhin, was
passiert, wenn er die Anwesenheit einer Pflegekraft bemerkt.
- Wir schätzen ab, inwieweit die
Zwangshandlungen den Bewohner im Alltag einschränken und die
Lebensqualität beeinträchtigen.
- Wir suchen den Kontakt zu den Angehörigen.
Oftmals verfügen diese über wirksame Strategien, um die
Zwangshandlungen zu unterbrechen.
- Wir prüfen, ob der Bewohner unter weiteren
Krankheiten leidet, die häufig mit Zwangserkrankungen verbunden
sind, etwa Kolitis (Dickdarmentzündung), Migräne, Angina pectoris,
Hypertonie, Arthritis oder Potenzstörungen.
- Wir prüfen, ob der Bewohner bereits unter
Folgeerkrankungen leidet, die durch Zwangsstörungen ausgelöst oder
gefördert werden. Etwa: Depressionen, Alkoholabhängigkeit oder
Medikamentensucht.
|
Maßnahmen und Hilfestellungen |
- Wir prüfen, ob der Bewohner seine Handlungen
einstellt, wenn wir ihn dazu auffordern.
- Alternativ kann es in Einzelfällen sinnvoll
sein, dem Bewohner einen für die Zwangshandlungen notwendigen
Gegenstand wegzunehmen. Seine Reaktionen werden sorgfältig
beobachtet. (Hinweis: Oftmals führen Betroffene die Zwangshandlungen
dann in abgewandelter Weise fort. Andere Senioren reagieren mit
Angstzuständen, die sich etwa durch starkes Schwitzen zeigen.)
- Zwangshandlungen, die dem Bewohner oder
Dritten körperlichen oder materiellen Schaden zufügen, werden
umgehend unterbunden.
- Wir versuchen den Bewohner mit anderen
Tätigkeiten zu beschäftigen und abzulenken, etwa durch
hauswirtschaftliche Tätigkeiten, Fernsehen, Musik hören usw.
- Wir animieren den Bewohner, seine sozialen
Kontakte aufrecht zu erhalten.
- Wenn es dem Bewohner gelingt, die
Zwangshandlungen für eine gewisse Zeit zu kontrollieren, wird er
dafür ausdrücklich gelobt. Wir ermutigen den Bewohner immer wieder,
sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Wir verdeutlichen
ihm, dass die Überwindung von Zwangsstörungen viele Jahre in
Anspruch nehmen kann.
- Wir versuchen ggf. die Zwangshandlungen
stufenweise abzubauen, insbesondere also derartige Phasen sukzessive
zu verkürzen. Dabei ist es wichtig, als Pflegekraft nicht in die
Zwangshandlungen "eingebaut" zu werden. Ansonsten wird die
pflegerische Intervention zu einem festen Bestandteil des
ritualisierten Ablaufes.
- Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt prüfen
wir, ob sich die Störungen durch Antidepressiva lindern lassen, wie
etwa durch Fluvoxamin oder Clomipramin. Unabhängig davon sollte der
Bewohner eine Verhaltenstherapie erhalten.
|
weitere Maßnahmen: |
- Wir arbeiten eng mit dem Psychotherapeuten
zusammen. Insbesondere kooperieren wir bei der Erstellung und
Anpassung der Pflegeplanung.
- Wir stellen sicher, dass der Bewohner die
Therapiestunden konsequent besucht. Ggf. wird er dorthin begleitet.
Wir beachten, dass Bewohner mit Zwangsstörungen häufig eine sehr
lange Vorbereitungszeit brauchen, bis sie sich für das Verlassen der
Einrichtung bereit fühlen. Dieser zeitliche Mehraufwand wird bei der
Terminplanung berücksichtigt.
|
Nachbereitung: |
Prognose: |
- Wenn eine Behandlung unterbleibt, nimmt die
Erkrankung einen oftmals chronisch-progressiven Verlauf. Die
gestörten Phasen werden häufiger auftreten und länger andauern.
- Selbst bei optimaler Versorgung ist eine
vollständige Heilung sehr selten. Der Bewohner wird die Impulse
weiterhin spüren, kann sie aber kontrollieren.
- Bei einer Psychotherapie zeigen sich erste
Fortschritte erfahrungsgemäß nach 6 bis 8 Wochen. Ggf. kann die
gesamte Behandlung bis zu einem Vierteljahr dauern.
- Wenn Zwangsstörungen durch Antidepressiva
behandelt werden, sollte ein Absetzen kritisch hinterfragt werden.
In vier von fünf Fällen kommt es zu einem Rückfall.
|
weitere Maßnahmen |
- Wir dokumentieren, wann die Zwangshandlungen
auftreten, wie lange sie andauern und welches Verhalten sie beim
Bewohner auslösen.
- Alle relevanten Beobachtungen werden an den
behandelnden Arzt und Psychotherapeuten weitergegeben.
- Wir prüfen, welche der genutzten Strategien
effektiv nutzbar sind, um die Zwangshandlungen zu unterbrechen.
Diese werden zukünftig vermehrt eingesetzt und in der Pflegeplanung
vermerkt.
- Wir bieten unseren Pflegekräften regelmäßig
Supervision an, um die mentalen Belastungen im Umgang mit diesen
Senioren zu verarbeiten.
- Etwaig aufgetretene Probleme werden im
Qualitätszirkel thematisiert.
|
Dokumente: |
|
Verantwortlichkeit /
Qualifikation: |
|
|
|
|
|
|
|
Weitere Informationen
zu diesem Thema |
|
|
Schlüsselwörter für diese Seite |
Gerontopsychiatrie;
Zwangshandlung; Impuls; Zwangsgedanke; Kontrollzwang |
|
Genereller
Hinweis zur Nutzung des Magazins: Zweck unserer Muster und
Textvorlagen ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch
kopiert zu werden. Alle Muster müssen in einem Qualitätszirkel
diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
Unverzichtbar ist häufig auch eine inhaltliche Beteiligung der
jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt
angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen
bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert. |
|