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Version 2.05 - 2017

Standard "Benzodiazepinvergiftung"

 
Jedes Jahr werden 230 Millionen Tagesdosen an Benzodiazepinen verschrieben. Vor allem Senioren bekommen diese Beruhigungsmittel in rauen Mengen. Pflegekräfte sollten sich frühzeitig auf Überdosierungen und auf Vergiftungen vorbereiten.
 

Wichtige Hinweise:

  • Zweck unseres Musters ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
  • Unverzichtbar ist immer auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.
  • Dieser Standard eignet sich für die ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen "Patient".


Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (doc-Format) verfügbar. Klicken Sie hier!

 

Standard "Benzodiazepinvergiftung"
Definition:
  • Benzodiazepine zählen zu den Tranquilizern und werden als Angstlöser und als Beruhigungsmittel verwendet. Sie zählen trotz des hohen Suchtpotenzials zu den meistverordneten Medikamenten. Und obwohl Benzodiazepine nicht für eine Langzeitbehandlung zugelassen sind, werden diese Wirkstoffe oftmals über Jahre etwa als Schlafmittel konsumiert.
  • Die eigenständige Medikamenteneinnahme ist Bestandteil einer selbstbestimmten Lebensführung und Teil unseres Konzepts der aktivierenden Pflege. Viele Krankheitsbilder machen es jedoch erforderlich, dass wir bei der Medikamenteneinnahme stärker assistierend und kontrollierend eingreifen. So konsumieren Demenzpatienten häufig eine doppelte oder dreifache Tagesdosis, da sie den Überblick über die regelmäßige Einnahme verloren haben.
  • Andere Betroffene täuschen die Einnahme nur vor und horten die vermeintlich eingenommenen Medikamente; dieses etwa als Vorbereitung für eine Selbsttötung. In der Mehrzahl der Fälle ist eine Benzodiazepinvergiftung kein Unfall, sondern ein Suizidversuch.
  • Bei alleiniger Einnahme von Benzodiazepinen ist das Risiko einer lebensbedrohlichen Intoxikation vergleichsweise gering. Viele Betroffene konsumieren jedoch parallel Alkohol, Barbiturate oder opioide Rauschmittel. Nicht selten werden Benzodiazepine auch mit anderen Tabletten gemeinsam eingenommen.
  • Benzodiazepin wird vergleichsweise langsam resorbiert. Wenn sich erste Vergiftungserscheinungen zeigen, kann sich ggf. ein Teil des Wirkstoffs noch im Magen befinden. Erfolgt die Einnahme erst vor kurzer Zeit, ist ggf. eine Magenspülung oder die Applikation von Aktivkohle sinnvoll. Um diese Entscheidung zu treffen, muss der behandelnde Arzt möglichst genau wissen, wann der Bewohner das Medikament konsumiert hat.
Grundsätze:
  • Wenn hinreichende Anzeichen für eine Vergiftung sprechen, wird immer ein Notarzt gerufen. Die Folgen eines oder ggf. auch mehrerer Fehlalarme wiegen weniger schwer als eine verzögerte Behandlung bei einem echten Notfall.
  • Der Notruf erfolgt auch dann, wenn der Bewohner diesen nicht wünscht, etwa weil er als Folge der Intoxikation die Gefährdung nicht korrekt einschätzt.
  • Bei einer Vergiftung geht es zwar um Minuten, dennoch dürfen Maßnahmen nicht überhastet werden.
  • Die schriftliche Patientenverfügung wird beachtet, insbesondere bei einer Reanimation.
Ziele:
  • Eine Vergiftung wird frühzeitig bemerkt.
  • Durch eine zeitnahe Behandlung wird das Leben des Bewohners geschützt.
  • Der Vorfall wird analysiert. Durch geeignete Vorsichtsmaßnahmen werden weitere Vergiftungen vermieden.
  • Das Selbstbestimmungsrecht des Bewohners bleibt so weit wie irgend möglich erhalten.
Vorbereitung: Prophylaxe
  • Bei allen Senioren, die Benzodiazepine einnehmen, wird geprüft, ob eine Medikamentensucht vorliegt. Das Vorgehen ist im Pflegestandard "Versorgung von alten Menschen mit Benzodiazepinabhängigkeit" beschrieben.
  • Wir wägen ab, ob es wirklich sinnvoll ist, dass der Bewohner die Medikamente eigenständig einnimmt. Eine Applikation durch die Pflegekräfte stellt sicher, dass Benzodiazepine weder vergessen noch gehortet oder versehentlich überdosiert werden.
Symptome
Wir achten auf Symptome, die für eine Benzodiazepinvergiftung sprechen:
  • Der Bewohner ist verwirrter als sonst. Er wirkt schläfrig und spricht undeutlich. Sein Bewegungsbild ist unkoordiniert.
  • Er klagt über Sehstörungen (Doppelbilder, verschwommenes Sehen oder Augenzittern).
  • Es treten Sinnesstörungen auf; etwa Halluzinationen.
  • Einige Betroffene entwickeln eine Hypoxie (Minderversorgung mit Sauerstoff). Es wird eine Zyanose (bläuliche Verfärbung der Haut) sichtbar.
  • Bei einer erheblichen Überdosis kommt es zu Bewusstlosigkeit, zu Atemdepressionen und zu einem Blutdruckabfall.
(Hinweis: Tückisch bei einer Benzodiazepinvergiftung ist das sog. "Sleep-like-Koma". Der Bewohner wirkt, als würde er lediglich schlafen. Die Pupillenreflexe, die Darmgeräusche und die Muskeldehnungsreflexe sind dabei erhalten. Tatsächlich jedoch ist der Bewohner bereits komatös.)
Durchführung: Erstmaßnahmen
  • Die Pflegekraft löst über die Rufanlage Alarm aus und ruft weitere Kollegen herbei.
  • Eine Pflegekraft alarmiert den Notarzt.
  • Eine Pflegekraft bleibt permanent beim Bewohner. Der Bewohner wird (soweit möglich) beruhigt.
  • Wir befragen den Bewohner. Ggf. kann er Angaben zur Ursache machen.
  • Der Zustand des Bewohners wird genau überwacht. Wir prüfen den Bewusstseinszustand, die Hautfarbe, die Atmung, den Blutdruck und den Puls.
  • Wir führen eine Blutzuckermessung durch. (Hinweis: Nicht selten entpuppt sich eine Benzodiazepinvergiftung als Stoffwechselentgleisung.)
  • Bei Herz-Kreislauf-Stillstand wird der Bewohner sofort reanimiert. Die Reanimation wird fortgesetzt, bis der Notarzt eingetroffen ist oder das Herz des Bewohners wieder schlägt. (Hinweis: Bei Benzodiazepinvergiftungen ist das Zeitfenster für eine Herz-Lungen-Wiederbelebung vergleichsweise groß. Die Reanimation sollte daher nicht zu früh abgebrochen werden.)
  • Ggf. erhält der Bewohner Sauerstoff. (Falls ein Pulsoximeter verfügbar ist, sollte auch die Sauerstoffsättigung erfasst werden.)
  • Es ist damit zu rechnen, dass sich der Bewohner übergibt. In diesem Fall müssen die Atemwege umgehend wieder freigemacht werden. Hinweis: Ein Erbrechen ist in diesen Fällen mitunter sogar hilfreich, da es den Mageninhalt samt eines Teils des Medikaments entleert. Ein absichtliches Erbrechen führen wir jedoch nicht herbei.

  • Wir bringen den Bewohner in eine stabile Seitenlage. Er wird ggf. zugedeckt, um ein Auskühlen zu vermeiden.
  • Wir suchen das Zimmer des Bewohners nach leeren Tablettenschachteln u. Ä. ab, um weitere Informationen über das auslösende Medikament und über die mögliche Dosis zu erhalten.
  • Bei Ankunft des Rettungstransportwagens und des Notarztes wird der Arzt ausführlich eingewiesen.
  • Alle weiteren im Standard "Krankenhauseinweisung" beschriebenen Maßnahmen werden umgesetzt.
Nachbereitung: nach Abfahrt des Bewohners im Rettungstransportwagen
  • Das Ereignis wird sorgfältig dokumentiert.
  • Die Pflegedienstleitung und die Heimleitung werden (sofern noch nicht geschehen) informiert.
  • Ggf. werden die Angehörigen informiert.
  • Im Rahmen einer Fallbesprechung wird das Ereignis im Team diskutiert. Wir prüfen, ob es in Zukunft notwendig ist, dass die Medikamentenversorgung des Bewohners ganz oder teilweise von den Pflegekräften übernommen wird.
weitere Maßnahmen
  • Wir suchen den Dialog mit dem Bewohner. Wir versuchen zu ergründen, ob die Vergiftung die Folge eines Unfalls oder eines versuchten Suizids war. Ggf. regen wir eine psychotherapeutische Versorgung an. (Hinweis: In vielen Fällen kommt es nach einer Benzodiazepinvergiftung zu einer retrograden Amnesie. Der Bewohner erinnert sich dann weder an einen etwaigen Suizidversuch noch an die auslösende Situation.)
  • Viele Betroffene erleiden nach einer Benzodiazepinvergiftung eine Pneumonie. Wir intensivieren die Prophylaxemaßnahmen und achten auf etwaige Krankheitszeichen.
  • Wir passen die Pflegeplanung / Maßnahmenplanung an.
Prognose
  • Wenn der Bewohner nur Benzodiazepine eingenommen hat, ist die Mortalitätsrate mit 0,2 Prozent sehr gering.
  • Falls gleichzeitig Alkohol und andere Suchtstoffe konsumiert wurden, steigt die Sterblichkeit rapide an.
  • Die Überlebenschancen bei einer Benzodiazepinvergiftung sinken auch, wenn der Betroffene sehr alt ist oder an chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen leidet.
Dokumente:
  • Berichtsblatt
  • Vitaldatenblatt
  • Medikamentenblatt
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
  • alle Pflegekräfte
 
 
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Notfall; Vergiftung; Mitigans; Neuroleptikum; Sedativum; Temperantium; Tranquilizer; Tranquillans; Beruhigungsmittel; Benzodiazepin
Genereller Hinweis zur Nutzung des Magazins: Zweck unserer Muster und Textvorlagen ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Alle Muster müssen in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden. Unverzichtbar ist häufig auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.