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Version 2.05d - 2014

Standard "Anwendung von Hüftprotektoren"

 
Hüftprotektoren bieten einen effektiven Schutz vor Schenkelhalsbrüchen. Zumindest theoretisch. In der Praxis schmilzt dieser Wert jedoch schnell zusammen. Die Kassen verweigern die Kostenübernahme. Viele Senioren lehnen die unförmigen Unterhosen kategorisch ab. Und schon kleine Anwendungsfehler machen den Schutzeffekt zunichte.
 

Wichtige Hinweise:

  • Zweck unseres Musters ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
  • Unverzichtbar ist immer auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.
  • Dieser Standard eignet sich für die ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen "Patient".


Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (doc-Format) verfügbar. Klicken Sie hier!

 

Standard "Anwendung von Hüftprotektoren"
Definition:
  • Rund jeder dritte Mensch über 65 Jahre stürzt mindestens einmal pro Jahr. Bei den über 80-Jährigen steigt dieser Wert auf 50 Prozent. Wenn es dabei zu einem ungeschützten Aufprall auf einem harten Untergrund kommt, erleiden viele Betroffene einen Schenkelhalsbruch. Rund 120.000 dieser Verletzungen treten pro Jahr in Deutschland auf. Ein Teil davon könnte durch die Nutzung von Protektoren vermieden werden.
  • Der Fachhandel bietet eine Vielzahl verschiedener Protektoren, die sich im Preis, in der Materialbeschaffenheit und hinsichtlich des Tragekomforts unterscheiden. Bei einigen Produkten sind die Kunststoffpolster in die Unterwäsche eingenäht. Andere Systeme bestehen aus spezieller Unterwäsche, in deren taschenförmige Aussparungen der Protektor eingeschoben wird. Darüber hinaus werden Sicherheitsgürtel mit eingenähten Schutzschalen und Klettverschluss angeboten. Die Gestaltung ermöglicht ein unkompliziertes An- und Ablegen. Es gibt Damen-, Herren- und Unisexmodelle.
  • Hüftprotektoren nutzen je nach Modell zwei unterschiedliche Wirkungsprinzipien. Polsterprotektoren sind etwas voluminöser, können sich aber bei einem Sturz verformen und damit einen Teil der auftretenden Kräfte absorbieren. Hartschalenprotektoren hingegen verteilen die Aufprallenergie auf eine möglichst große Fläche um den zu schützenden Knochen herum.
  • Ein Teil der Schutzwirkung eines Protektors ist ein psychologischer Effekt:
    • Angst vor einem Sturz ist selbst ein relevanter Risikofaktor. Übermäßig besorgte Senioren vermeiden es, zu Fuß unterwegs zu sein. Sie glauben, dass sie dann weniger sturzgefährdet sind. Außerdem achten sie auf jeden ihrer Schritte. Dadurch werden Bewegungsabläufe weniger flüssig. In der Folge erhöht sich die individuelle Unfallgefährdung.
    • Ein Protektor kehrt diese Entwicklung um. Der Bewohner verlässt sich auf die Schutzwirkung des Protektors. Er traut sich mehr zu, ist häufiger zu Fuß unterwegs und steigert damit seine Kondition. Zudem fokussiert er seine Konzentration nicht mehr allein auf das Gehen. Das Gangbild verbessert sich dadurch.
  • Wir sind verpflichtet, unsere Bewohner auf den möglichen Einsatz von Hüftprotektoren hinzuweisen. Wir setzen uns sonst gegebenenfalls haftungsrechtlichen Regressansprüchen aus.
Grundsätze:
  • Protektoren bieten einen begrenzten Schutz vor Schenkelhalsfrakturen. Als isolierte Maßnahme ist dieses Schutzsystem hingegen unzureichend. Es ist unverzichtbar, dass zusätzlich weitere Präventionsmaßnahmen ergriffen werden.
  • Die Motivation des Bewohners ist ein entscheidender Faktor. Protektorsysteme machen nur dann Sinn, wenn sie auch kontinuierlich getragen werden.
  • Wir respektieren, wenn Bewohner den Protektor als Symbol der Pflegebedürftigkeit ablehnen. Gleichwohl verdeutlichen wir dem Bewohner die Sturzfolgen, wenn er auf ein notwendiges Schutzsystem verzichtet.
Ziele:
  • Wir schätzen das Sturz- und das Verletzungsrisiko jedes Bewohners so genau wie möglich. Wir wägen korrekt ab, ob die Nutzung eines Protektors die Sicherheit des Bewohners wirklich erhöht.
  • Das Körpergefühl insbesondere von demenziell veränderten Senioren bleibt weitgehend erhalten.
  • Die Autonomie des Bewohners wird so weit wie möglich gewahrt. Vor allem sind Betroffene trotz Protektorsystem in der Lage, eigenständig eine Toilette aufzusuchen.
Vorbereitung: Organisation
  • Unser Personal wird regelmäßig zum Thema Sturz geschult. Dazu zählt auch der richtige Einsatz von Hüftprotektoren.
  • Die Vorgaben des Expertenstandards "Sturzprophylaxe in der Pflege" werden sorgfältig umgesetzt und die Abläufe im QM-Handbuch abgebildet.
  • Wir arbeiten eng mit den Anbietern der Protektoren zusammen. Es ist uns dabei wichtig, über ein möglichst breites Spektrum verschiedenster Systeme verfügen zu können. Nur so ist es möglich, auf die individuellen Bedürfnisse jedes Bewohners eingehen zu können.
Durchführung: Indikation für die Nutzung von Protektoren
  • Die individuelle Sturzgefährdung unserer Bewohner wird regelmäßig eingeschätzt. Wir erfassen zusätzlich Faktoren, die im Fall eines Sturzes die Verletzungsrisiken erhöhen. Dazu zählen insbesondere Osteoporose sowie Blutgerinnungsstörungen. Bewohner mit erheblichen Risikofaktoren sollten einen Protektor tragen. Sie werden daher über die Vorzüge, Nachteile und Kosten von Protektoren beraten. Wir arbeiten eng mit dem behandelnden Hausarzt zusammen.
  • Viele Bewohner haben übertriebene Angst vor einem Sturz. In diesen Fällen kann die Nutzung von Protektoren auch dann sinnvoll sein, wenn keine relevant erhöhten Risiken vorhanden sind. Die Schutzsysteme geben den Betroffenen die notwendige Selbstsicherheit, um mobil zu bleiben.
Kontraindikationen und Risiken bei der Nutzung von Protektoren
  • Wir wägen den Sicherheitsgewinn durch die Protektoren mit den Nachteilen und Risiken ab.
  • Eng anliegende Modelle lassen sich bei einem eiligen Toilettengang häufig nicht schnell genug ausziehen. Die Kleidung wird dann durch Stuhl und Urin verschmutzt. (Hinweis: Es ist sinnvoll, verschiedene Modelle zu testen und sich nicht gleich vom ersten Misserfolg abschrecken zu lassen.)
  • Bei demenziell erkrankten Senioren kann das veränderte Körperbild zu Orientierungsstörungen führen und die Verwirrtheit intensivieren.
  • Die Kunststoffschalen können Druck auf die darunter befindlichen Hautbereiche ausüben; dieses insbesondere beim Liegen oder im Sitzen. Das Dekubitusrisiko könnte steigen.
  • Bei stark unterernährten Senioren sind Hartschalenprotektoren kontraindiziert. Diese Betroffenen verfügen nicht über das notwendige Fettgewebe, um die auftretenden Energien abzuleiten. Kachektische Bewohner erhalten daher Polsterprotektoren.
Information des Bewohners und der Angehörigen
  • Wir stellen klar, dass mit Protektoren die Anzahl der Stürze nicht sinken wird. Dieses Schutzsystem wird lediglich das Risiko einer Schenkelhalsfraktur vermindern. Wir weisen auch darauf hin, dass verschiedene Pflegewissenschaftler die Schutzwirkung der Protektoren für vergleichsweise gering halten.
  • Wir vergleichen ggf. die Schutzwirkung eines Hüftprotektors mit der Schutzkleidung eines Eishockeyspielers. Diese Sportler würden niemals ohne Schutzkleidung auf das Eis gehen.
  • Wir machen deutlich, dass Protektoren zumeist weder von den Kassen bezahlt noch von uns gestellt werden. Daraus folgt: Wenn der Bewohner und seine Angehörigen bzw. Betreuer die Kosten nicht tragen können oder wollen, werden keine Protektoren beschafft. Dieses auch bei einem hohen Verletzungsrisiko.
  • Wir regen an, dass die Kleidung zukünftig einige Nummern größer gewählt wird, damit der Protektor ausreichend Platz findet. Insbesondere sollte der Bewohner beim Anprobieren neuer Kleidung den Protektor tragen.
  • Bei inkontinenten Senioren kann es sinnvoll sein, mehrere Exemplare zu beschaffen. Der Bewohner ist dann auch geschützt, wenn eine Protektorhose verschmutzt wurde.
Sicherstellung der Kooperationsbereitschaft
  • Erfahrungsgemäß ist die Einsicht bei kognitiv gesunden Menschen am höchsten. Auch ein unlängst zurückliegender Sturz erhöht zumeist die Bereitschaft, die Protektoren zu nutzen. Wir fordern den Bewohner beharrlich dazu auf, vorhandene Protektoren auch tatsächlich dauerhaft zu tragen.
  • Zumeist ist der Widerwille gegen das Tragen von Protektoren bei leichter oder bei mittlerer Demenz stärker. Diese Betroffenen verstehen den Zweck von Hüftprotektoren nicht und entfernen diese häufig. Ein solches Verhalten ist problematisch, da in dieser Phase der Bewegungsdrang und somit das Unfallrisiko besonders hoch sind.
  • Bei Demenz-Patienten ist der Tragekomfort besonders wichtig. Die Schalen sollten den Bewohner so wenig wie möglich einschränken. Idealerweise vergisst der Bewohner, dass er einen Protektor trägt.
  • In vielen Fällen lässt sich die Akzeptanz erhöhen, wenn dem Bewohner jedes Mal vor dem Anlegen der Sinn der Protektoren in angemessener Weise erklärt wird.
  • Mit Fortschreiten der demenziellen Erkrankung baut sich ein etwaiger Widerwille gegen das Tragen von Protektoren ab.
  • Wenn sich der Bewohner weigert, die Protektoren durchgehend zu tragen, schlagen wir als Kompromiss eine zeitlich begrenzte Nutzung vor. Wir prüfen, ob es beim Bewohner eine tageszeitliche Häufung von Sturzereignissen gibt. In der Folge könnte der Bewohner die Schutzschalen nur am Nachmittag und am Abend tragen, nicht aber am Vormittag.
  • Viele Bewohner lehnen Protektoren aus optischen Gründen ab, da sie die Figurlinie beeinträchtigen. Solchen Senioren empfehlen wir, weite Kleidung zu tragen, die die Schutzkleidung überdeckt. Wir suchen zudem nach Modellen, die möglichst flach sind.
  • Ethisch umstritten, aber ggf. sehr effektiv ist die Täuschung eines demenziell erkrankten Bewohners über den Zweck des Protektors. Die Pflegekraft kann einer Bewohnerin erläutern, dass die Protektor-Unterwäsche der Figurformung dient. Derartige "Schlankheitsgürtel" sind vielen Seniorinnen biografisch vertraut. Sie werden ggf. dann besser akzeptiert.
  • Bei vielen Männern kann darauf aufgebaut werden, dass Protektoren aus dem Sport oder aus dem Arbeitsleben bekannt sind. Auch schon in den 50er-Jahren wurden im Radrennsport, im Boxsport oder im Fußball Protektoren genutzt.
Weiteres
  • Wir halten weiche Sitzgelegenheiten bereit, die auch Senioren mit angelegten Protektoren einen bequemen Sitzkomfort ermöglichen.
  • Im Fall einer gleichzeitigen Inkontinenz ist es wichtig, dass der Bewohner die Unterkleidung schnell ausziehen kann und dass insbesondere die parallele Nutzung von Inkontinenzmaterial möglich ist. Wir prüfen dann, welche der am Markt verfügbaren Modelle infrage kommen.
  • Die Pflegekräfte achten auf einen optimalen Sitz des Protektors. Wenn dieser nicht korrekt über dem Oberschenkelhals platziert wird, kann es bei einem Sturz sogar zu einer Intensivierung der einwirkenden Kräfte kommen. Die Energien werden dann in Richtung Oberschenkelhals gebündelt.
Nachbereitung: Bei relevanten Beobachtungen wird ggf. der Hausarzt informiert. Faktoren dabei sind:
  • Standstabilität
  • Körperhaltung
  • Gangbild
  • Kooperationsbereitschaft
Dokumente:
  • Berichtsblatt
  • ärztliches Verordnungsblatt
  • Therapieblatt
  • Pflegeplanung
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
  • alle Pflegekräfte
 
 
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Sturz; Sturzprophylaxe; Fermur; Hüftprotektor; Oberschenkelhalsknochen; Fraktur
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