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Version 1.12h

Standard "Bewegungsübungen zur Vermeidung von Kontrakturen des Knie- und des Hüftgelenks"

 
Theorie trifft auf Praxis. Bei der Kontrakturenprophylaxe ist dieser Zeitpunkt gekommen, wenn schmerzgeplagte oder kurzatmige Senioren die verordneten Bewegungsübungen regelmäßig durchführen sollen. In unserem umfangreich bebilderten Standard verraten wir Ihnen die Motivationstricks und kleinen Kniffe der Physiotherapeuten.
 

Wichtige Hinweise:

  • Zweck unseres Musters ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
  • Unverzichtbar ist immer auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.
  • Dieser Standard eignet sich für die ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen "Patient".

 

Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (doc-Format) verfügbar. Klicken Sie hier!

 

Standard "Bewegungsübungen zur Vermeidung von Kontrakturen des Knie- und des Hüftgelenks"

Definition:
  • Kontrakturen sind dauerhafte Beweglichkeitseinschränkungen von Gelenken, die daraufhin in unphysiologisch gebeugten oder gestreckten Positionen verharren. Es werden verschiedene Formen von Kontrakturen unterschieden:
    • Beugekontrakturen, also Gelenksteifen in Beugestellung
    • Streckkontrakturen, also Gelenksteifen in Streckstellung
    • Abduktions- oder Adduktionskontrakturen, die vor allem die Daumen betreffen
  • Eine Kontraktur kann verschiedene Ursachen haben:
    • unflexibles Narbengewebe oberhalb eines Gelenkes
    • Degeneration des Muskelgewebes, etwa in Folge einer Entzündung, Immobilität oder eines Unfalls
    • Verwachsungen der Gelenkflächen, Schrumpfung der Gelenkkapseln
    • neuronale Ursachen wie Multiple Sklerose oder Rückenmarksverletzungen
    • Eine Kontrakturenprophylaxe soll die Entwicklung solcher Beweglichkeitseinschränkungen und Fehlstellungen verhindern oder abmildern. Zentraler Bestandteil dieser Vorsorge sind frühzeitige Maßnahmen zur Mobilisierung, insbesondere das Durchbewegen der betroffenen Gelenke.
  • Wir unterscheiden zwischen verschiedenen Übungsformen:
    • passive Bewegungsübungen: Die Bewegungen werden von der Pflegekraft durchgeführt. Die Muskulatur des Bewohners wird nicht genutzt. Passive Bewegungsübungen führen wir nur durch, wenn sich der Bewohner in einem schlechten Gesundheitszustand befindet, etwa bei Lähmungen oder völliger Entkräftung.
    • aktiv-assistive Bewegungsübungen: Der Bewohner führt die Bewegung durch, wird dabei aber von der Pflegekraft unterstützt. Dieses ist immer dann erforderlich, wenn der Bewohner z.B. mit dem Gewicht der eigenen Extremität überfordert ist. Oftmals auch sind Bewohner bei Rotationen nicht in der Lage, mit ihrer Muskulatur den gesamten Bewegungsspielraum des Gelenks zu nutzen. Wir setzen diese Form bei Bewohnern ein, deren Herz-Kreislaufsystem und/oder Bewegungsapparat beeinträchtigt sind.
    • aktive Übungen: Der Bewohner führt die Bewegung eigenständig durch. Die Rolle der Pflegekraft beschränkt sich darauf, den Bewohner anzuleiten, diesen zu motivieren und Fehler zu korrigieren.
    • resistive Übungen: Die Pflegekraft leistet bei den Bewegungsübungen moderaten Widerstand und erhöht damit den Kraftaufwand für den Bewohner. Bei dieser Durchführung steht neben einer Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit auch das Ziel der Steigerung der Muskelkraft im Vordergrund.
Grundsätze:
  • Das primäre Mittel gegen Kontrakturen ist Bewegung.
  • Bewegungsübungen machen nur dann Sinn, wenn sie diszipliniert durchgeführt werden; also regelmäßig und im vom Physiotherapeuten vorgegebenen Umfang.
  • Bewegungen, die nur unter Schmerzen möglich sind, werden strikt vermieden. Sie verringern den Kooperationswillen des Bewohners und schädigen ggf. dessen Gelenke.
  • Wir arbeiten eng mit dem Physiotherapeuten und dem Arzt zusammen. Deren Vorgaben werden sorgfältig umgesetzt. Gleichzeitig erwarten wir, dass auch unsere Beobachtungen und Rückmeldungen bei der Planung der weiteren Therapie berücksichtigt werden.
Ziele:
  • Die Beweglichkeit der Gelenke wird erhalten und gefördert.
  • Eine Muskelatrophie wird vermieden. Die Muskulatur wird gekräftigt.
  • Das Körperbild des Bewohners bleibt gewahrt. Er erkennt, dass er sich aktiv beteiligen muss, um die Funktionsfähigkeit seines Bewegungsapparates zu erhalten und auszubauen.
  • Das Herzkreislauf-System wird gestärkt.
  • Der Zustand des Bewohners wird soweit verbessert, dass er die Bewegungsübungen in einem immer größeren Umfang eigenständig durchführen kann.
Vorbereitung: Organisation
  • Die Übungen werden vom Physiotherapeuten vorgegeben. Wir bitten diesen darum, die Bezugspflegekraft entsprechend anzuleiten.
  • Die Bewegungskapazitäten aller Gelenke werden in der Pflegedokumentation so genau vermerkt, dass jede Pflegekraft die Übungen durchführen kann. Eine Über- und Unterforderung wird dadurch ausgeschlossen.
  • Wenn die Pflegekraft den Zustand des Bewohners nicht genau kennt, verschafft sie sich über die Pflegedokumentation einen Überblick. Relevant sind insbesondere die Bewegungsmöglichkeiten der Gelenke sowie relevante Krankheitsbilder wie Gicht oder rheumatische Erkrankungen.
Indikation
  • Wir nutzen Bewegungsübungen bei verschiedenen Krankheitsbildern:
    • Bewusstlosigkeit
    • Lähmungen
    • starke körperliche Schwäche
    • nach längerer Ruhigstellung einzelner Gelenke, etwa nach einer Fraktur mit Gipsbehandlung
  • Bewegungsübungen sind unter verschiedenen Umständen nicht sinnvoll:
    • Das Gelenk zeigt Entzündungszeichen, also insbesondere Rötungen, Schwellungen, Überwärmung oder Schmerzempfindlichkeit.
    • Der Bewohner ist krank, leidet etwa unter Fieber, Übelkeit oder Kopfschmerzen.
    • Der Bewohner befindet sich im Sterbeprozess.
  • weitere Hinweise:
    • Die hier beschriebenen Maßnahmen gelten nicht für Hemiplegie-Patienten. Bei dieser Gruppe kommen Bewegungsübungen aus dem Bereich des Bobath-Konzeptes zum Einsatz.
Durchführung: Organisation
  • Der Bewohner liegt in Rückenlage. Das Kopfteil wird flach gestellt.
  • Die Bettdecke wird entfernt. Verzichtbare Lagerungshilfsmittel und andere störende Gegenstände werden aus dem Bett genommen.
  • Infusionen, Drainagen und Blasenverweilkatheter werden fixiert.
  • Die Pflegekraft klärt den Bewohner über die geplante Maßnahme auf. Insbesondere bittet sie ihn, sich bei Schmerzen sofort zu melden.
  • Das jeweils nicht bewegte Bein kann in der Kniekehle mit einem Kissen unterstützt werden.
Flexion und Extension des Kniegelenks
  • Die Pflegekraft umfasst mit einer Hand die Vorderseite des Oberschenkels.
  • Die andere Hand liegt auf der Oberseite des Unterschenkels knapp oberhalb des Fußknöchels.

(Hinweis: Dieses Vorgehen zieht sich als roter Faden durch alle Übungen: Die erste Hand bewegt das Gelenk, die zweite verhindert, dass sich andere Körperabschnitte ungewollt mitbewegen.)

  • Aus der Neutral-Null-Stellung bewegt die Pflegekraft den Fuß nun in Richtung Gesäß. Das Kniegelenk wird gebeugt. Danach wird das Kniegelenk wieder durchgestreckt. Das Bein wird auf der Matratze abgelegt.
Flexion und Extension des Hüftgelenks
  • Der Bewohner wird ggf. aufgefordert das Bein anzuspannen und den Fuß nach oben zu bewegen.
  • Mit der flachen Hand an der Kniekehle unterstützt die Pflegekraft das Bein des Bewohners.
  • Die andere Hand der Pflegekraft liegt am Becken oberhalb des Hüftgelenks.
  • Aus der Neutral-Null-Stellung wird das gestreckte Bein von der Matratze abgehoben, bis es einen 80°-Winkel erreicht hat. Es folgt nun die Bewegung zurück in die Neutral-Null-Stellung.
  • Danach soll der Bewohner das Bein wieder locker lassen.

(Hinweis: Dass zunächst das Knie und erst danach die Hüfte durchbewegt werden, ist kein Zufall. Man arbeitet sich stets von außen in Richtung Körperzentrum vor. Dieses liegt vor allem am gesteigerten Kooperationswillen des Bewohners. Kleinere Gelenke lassen sich zumeist schonender und folglich mit weniger Schmerzen bewegen. Etwaige Belastungen steigern sich also nur langsam, und der Bewohner kann sich besser darauf einstellen.)

Abduktion und Adduktion des Hüftgelenks
  • Eine Hand der Pflegekraft liegt an der Unterseite des Oberschenkels des Bewohners nahe bei der Kniekehle.
  • Die andere Hand der Pflegekraft liegt am Becken oberhalb des Hüftgelenks.
  • Der Bewohner wird ggf. wieder aufgefordert das Bein anzuspannen und die Fußspitze nach oben zeigen zu lassen.
  • Die Pflegekraft hebt das Bein einige Zentimeter von der Matratze ab und führt es in eine seitliche Abspreizung (Abduktion) mit 45°. Danach bewegt die Pflegekraft das Bein wieder in die neutrale Ausgangslage zurück. Der Bewohner soll wieder entspannen. Nach einer kurzen Pause soll er es ggf. wieder anspannen.
  • Danach wird das Bein erneut angehoben, nun aber in die andere Richtung bewegt (Adduktion). Der Fußknöchel des bewegten Beines wird also über den Fußknöchel des nicht bewegten Beines geführt. Abschließend wird das Bein wieder in der Neutral-Null-Stellung abgelegt. Und der Bewohner soll das Bein wieder entspannen.
Innen- und Außenrotation
  • Eine Hand der Pflegekraft umfasst den Unterschenkel des Bewohners, die andere Hand liegt am Oberschenkel des Bewohners. Der Bewohner wird wieder aufgefordert in der gleichen Art und Weise das Bein anzuspannen.
  • Das gesamte Bein wird nun nach außen gedreht, bis es in einer 45°-Außenrotation liegt. Danach geht es zurück in die Ausgangsposition. Der Bewohner soll kurze Zeit entspannen, danach wieder anspannen.
  • Als nächstes wird das Bein nach innen gedreht, allerdings nur in eine Innenrotation von 30°. Schließlich legt die Pflegekraft das Bein in der Neutral-Null-Stellung ab.
allgemeine Durchführung
  • Es ist wichtig, den Bewegungsspielraum der Gelenke größtmöglich auszunutzen. Wird ein Gelenk nur unzureichend bewegt, wird es die ungenutzten Bewegungsmöglichkeiten letztlich verlieren. Gehen wir über den maximalen Bewegungspunkt hinaus, fügen wir dem Bewohner Schmerzen zu und schädigen ggf. das Gelenk.
  • Bei bewusstlosen Bewohnern wird der Bewegungsspielraum besonders vorsichtig erkundet. Der Bewohner ist nicht in der Lage, sich durch Schmerzäußerungen bemerkbar zu machen und seine Gelenke vor Überforderung zu schützen.
  • Jede der oben beschriebenen Bewegungen wird 10 bis 12 Mal pro Übungseinheit wiederholt. Je nach Gesundheitszustand des Bewohners sollten zwei bis drei Übungseinheiten pro Tag geplant werden.
  • Die Bewegungen werden langsam und rhythmisch durchgeführt.
  • Wir vermeiden es an den Gelenken zu ziehen, denn durch den Zug können leicht Verletzungen herbeigeführt werden.

(Hinweis: Dieser Punkt ist unsicher. Einige Therapeuten empfehlen, die Bewegungen zumindest unter leichtem Zug durchzuführen. Dieses ermöglicht ein Gleiten und verhindert ein Reiben der Gelenkflächen aufeinander.)

  • Die Pflegekraft steht immer auf der Seite des Bettes, auf der auch das zu bewegende Gelenk liegt. Die Pflegekraft wird also während der Übungseinheit mehrfach von einer Bettseite auf die andere wechseln.
  • Die Pflegekraft achtet auch auf nonverbale Schmerzäußerungen wie etwa Grimassen, Zusammenzucken usw.
Nachbereitung:
  • Der Schwierigkeitsgrad der Übungen wird ggf. angepasst. Beispiel: Statt passiven Übungen können zukünftig aktiv-assistive Bewegungsabläufe genutzt werden.
  • Die Maßnahme wird sorgfältig dokumentiert.
  • Wenn die Pflegekraft relevante Beobachtungen macht, werden der Physiotherapeut bzw. der Hausarzt informiert.
Dokumente:
  • Berichtsblatt
  • Leistungsnachweis
  • Kommunikationsblatt mit dem Arzt
  • Pflegeplanung
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
  • Pflegefachkräfte
 
   
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Prophylaxe; Kontraktur; Kontrakturenprophylaxe; Spitzfußprophylaxe
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